Der große Mauernazihundeschwindel
Stammten die Grenzhunde der DDR von KZ-Hunden ab? Wie das Hannah-Arendt-Institut auf eine Satire hereinfiel
Das »Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung« (HAIT) in Dresden folgt ohne Zweifel einer speziellen geschichtspolitischen Agenda. Dennoch ist nicht alles, was dort erarbeitet und veröffentlicht wird, als bloß politisch gewollt abzutun. In einem aktuellen Fall scheint sich jedoch der Wissenschaftshabitus der Dresdner Antitotalitaristen als Generator blühenden Unsinns zu erweisen: Die jüngste Ausgabe des Hausmagazins »Totalitarismus und Demokratie« zum Thema »Jugend und Jugendpolitik in Deutschlands Diktaturen« enthält einen Artikel einer Christiane Schulte zum Thema »Der deutsch-deutsche Schäferhund – Ein Beitrag zur Gewaltgeschichte des Jahrhunderts der Extreme«.
Der Text behauptet unter anderem, das erste Maueropfer sei Rex gewesen, ein Westberliner Polizeihund. Es folgt ein Abschnitt zur »Staatswerdung des Schäferhundes«: Waren »deutsche Hunde (…) immer schon deutsche Täter«? Dann kommt Hitler-Blondi – und eine Genealogie des Schäferhunds der DDR-Grenzer: Zumindest für Buchenwald lasse sich nachweisen, dass »direkte Nachfahren von KZ-Wachhunden um 1947 auch im Speziallager Nr. 2 eingesetzt wurden«. Also seien »beide totalitären Diktaturen des 20. Jahrhunderts« durch eine »Gewalttradition« verbunden: »In einem fast schon dynastischen Verhältnis wurden mehrere Generationen von Schäferhunden als Instrument totalitären Terrors eingesetzt.«
Mehr noch: Man könne »von einer Kontinuität zwischen dem Hundeeinsatz in den sowjetischen Speziallagern und der späteren NVA« ausgehen, aus deren Hundestaffeln sich die Grenzhunde rekrutiert hätten. Am Ende scheint dann belegt, dass diese Hunde von KZ-Hunden abstammten. Hatte man das nicht irgendwie schon immer geahnt?
Ferner fühlt sich der Text in die Seelen jener Westhunde beim Bundesgrenzschutz ein, die nach 1990 an der EU-Außengrenze plötzlich »aggressiv gegen Flüchtlinge und ›Schleuser‹ vorgehen« mussten, statt solche »wie zuvor im Schutz der Leine mit freundlichem Gebell willkommen zu heißen«. Wenig verwunderlich: Aus der »Elite der Fasshunde« übernommene Osthunde hatten damit kein Problem.
Diese Absurdität auf 16 Seiten ist offenbar frei erfunden. Das Onlinemagazin »Telepolis« veröffentlichte am Montag eine Stellungnahme von »Christiane Schulte und Freund_innen«, die den Text eine »satirische Intervention« nennt. Demnach gibt es keine Christiane Schulte, die in Bochum über das Thema »der deutsch-deutsche Schäferhund – eine vergleichende Gewaltgeschichte im 20. Jahrhundert« promoviert. Sondern ein Autorenkollektiv, das »akademische Mode« und »politischen Konformismus« als »klassische Strategien akademischer Ein- und Unterordnung« problematisieren will.
Die Gruppe hält sich sehr bedeckt. »nd« liegt aber der in Dresden eingereichte Text mit redaktionellen Korrekturhinweisen vor. Der stellvertretende Institutsdirektor Uwe Backes hat diesen demnach persönlich bearbeitet – durchaus peinlich für den streitbaren Extremismusexperten. Gegenüber »nd« erklärte Backes am Dienstag, er »habe gestern Nachmittag erst von dem Vorgang erfahren« und sei »dabei, ihn aufzuklären«. Die Frage, ob die Darstellung zutreffe, dass ein solcher Text nach nur »wenigen Tagen« durchgewunken worden sei, ließ er offen.
Dass etwas so Bizarres für wahr genommen wird, zeigt den Wunsch als Vater des Gedankens. Es liegt aber auch daran, dass der Artikel als Vortrag im Februar 2015 bei einer Konferenz in Berlin unbeanstandet durchging. Die Tagung am »Center for Metroplitan Studies« befasste sich mit »Auswirkungen der SED-Ideologie auf gesellschaftliche Mensch-Tier-Verhältnisse in der DDR«.
Auf dem führenden Sozialwissenschaftsportal H-Sozkult steht ein von der Mitorganisatorin Anett Laue verfasster Konferenzbericht. Schulte zeige »weitreichende Kontinuitäten, sowohl was die Funktion der Hunde als Instrumente totalitärer Staatsgewalt als auch die züchterische Generationsfolge betrifft«. Sie belege, dass »trotz des eingeschränkten Handlungsspielraums der ›Kettenhunde‹ jene durchaus ›eigen-sinniges Verhalten‹ an den Tag legten, das dem Grenzregime zuwiderlief«.
Die Institutsdirektorin und Mitorganisatorin Dorothee Brantz empfindet »das, was da in Telepolis steht« »eher als eine Polemik als einen ernstgemeinten Versuch, ins Gespräch zu kommen.« Wie die falsche Referentin mit ihren wilden Thesen durchgehen konnte, sagt sie nicht. »Schulte« berichtet gegenüber »nd«, es habe »niemand überlistet« werden müssen: »Wir haben erzählt, was die dort hören wollten und sie haben es nicht nur mit Wurm und Haken geschluckt, sondern uns auch noch in den Arm gebissen, um mehr vom Köder zu bekommen. Es reichte völlig, die Textsorte zu treffen und den Unsinn ohne Lachen vorzutragen.«
Auf Telepolis schreibt die Gruppe, sie habe spätestens bei der Forderung, dem geplanten Freiheits- und Einheitsdenkmal »eine symbolische stählerne Hundeleine zur Erinnerung an die angeblich 34 Schäferhunde unter den Mauertoten« beizufügen, mit Zweifeln gerechnet. »Doch es folgte Applaus.« Backes hat immerhin dies gestrichen. Die Forderung sei »legitim«, sprenge aber »die Perspektive des Beitrags, der doch im Kern regimevergleichend angelegt ist«, so seine Randbemerkung.
Gelungen ist dieser universitären Köpenickiade der Nachweis, dass akademische Wissensproduktion nicht weniger eine körperlich-sinnliche Performance ist als eine mentale Leistung: Inhalt konstituiert sich in der Form, als Zeigen der richtigen Haltung, als Treffen des Tons. Neben dieser wissenssoziologischen Kollateralerkenntnis ging es der Gruppe darum, nicht nur die Totalitarismustheorie, sondern auch die »Human Animal Studies« zu kritisieren. Diese aus der Tierrechtsbewegung hervorgegangene Richtung weist die Unterscheidung nach Mensch und Tier als kulturelle Konstruktion zurück und fordert eine »posthumanistische« Gesellschaftswissenschaft auch aus der Perspektive von Tieren, die als gesellschaftlich Handelnde zu konzipieren seien. Das ist kein Randphänomen, sondern findet seine Arbeitsgruppen etwa auf Historikertagen. Ein Einreißen der kategorialen Barriere zwischen Mensch und Tier, so nun »Schulte«, sei besorgniserregend: »Sobald die Trennung von Natur- und Kulturgeschichte entfällt, ist der Rassismus des atlantischen Sklavenhandels nicht mehr unterscheidbar vom ›Speziesismus‹ eines Schweinemastbetriebes.«
Darüber lässt sich diskutieren. Was aber an der Intervention von »Schulte« bedenklich stimmt, ist die klandestine Form. Ganz offenbar regiert im geisteswissenschaftlichen Nachwuchs im Zeitalter von Google und angesichts prekärer Stellen inzwischen eine tiefe Angst: Sich nämlich kritische, vielleicht auch einmal heillos überzogene Diskussionsbeiträge unter Klarnamen nicht mehr »leisten« zu können. Schon vergangenes Jahr wurde das in den Debatten um studentische Blogger deutlich, die anonym Professoren kritisierten.
Neben der Reichweite der Totalitarismustheorie und des Sinns oder Unsinns von »Human Animal Studies« ist vor allem dies der Punkt, der nach dem Mauernazihundeschwindel besprochen werden muss. Denn diese Angst konterkariert alles, was freie Wissenschaft kann, will und soll.
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