Forschen und Intervenieren

Sonderforschungsbereiche über Afghanistan und andere Krisenregionen dienen immer häufiger der Rechtfertigung einer Remilitarisierung deutscher Außenpolitik. Von Ralf Hutter

  • Ralf Hutter
  • Lesedauer: 4 Min.

Seit wenigen Wochen kann sich Mechthild Exo Frau Doktor nennen. Anfang Februar hat die 49-Jährige ihre Doktorarbeit erfolgreich am Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften der Freien Universität (FU) Berlin verteidigt. Der etwas sperrige Titel der Arbeit »Das ausgeschlossene Friedens- und Konfliktwissen basispolitischer Organisationen in Afghanistan. Eine dekolonialisierende Forschung zur Kritik des liberalen Peacebuilding« birgt jedoch politischen Sprengstoff. Exo stellt darin die These auf, dass die NATO-Invasion in Afghanistan ab 2001 die Marginalisierung säkularer und freiheitlicher Akteure gefestigt hat, ebenso Armut, Korruption, Gewalt und Straflosigkeit.

Der Untertitel zeigt, dass es auch um eine bestimmte Art sozialwissenschaftlicher Forschung geht. Die studierte Friedens- und Konfliktforscherin wendet sich nicht nur gegen das vorherrschende Politikmodell der bewaffneten Interventionen zur Errichtung bestimmter staatlicher Einrichtungen, die selbst dann als Errungenschaften dargestellt werden, wenn sie von undemokratischen Politikern besetzte Attrappen sind. Neben diesem »liberalen Peacebuilding«, das Frieden eher formal als sozial versteht, kritisiert Exo in ihrer Doktorarbeit auch ihre eigene Disziplin, die Sozialwissenschaft, die eine solche Politik rechtfertigt.

»Alles was man hier erfährt, auch im akademischen Bereich, verschweigt viele Zustände und Stimmen in Afghanistan«, sagt Exo im nd-Gespräch. Wenn der Öffentlichkeit der Eindruck vermittelt werde, in Afghanistan herrsche Friede, werde dieser Begriff damit entpolitisiert und, so Exo, »ein koloniales Projekt verschleiert«.

Claudia Brunner, Assistenzprofessorin an der Universität Klagenfurt und Leiterin eines vom österreichischen Wissenschaftsfonds geförderten Projektes zu diesem Thema, lobte im November beim Kongress der Tübinger Informationsstelle Militarisierung Mechthild Exos Doktorarbeit: Die Autorin versuche, das Wissen von Basisgruppen als anerkanntes Wissen zu etablieren - im Gegensatz zur üblichen Friedensforschung, »die mittlerweile ganz anders funktioniert«. Auch die Beziehung zu den Beforschten verändere sich dadurch, es gebe einen »beziehungsorientierten Umgang« und »kein Privileg des letzten Wortes« auf Seiten der Forschenden. Den Grund für dieses methodische Umdenken erläutert Exo in ihrer Arbeit so: »Würde ich das Wissen der afghanischen Basisorganisationen ohne diesen Perspektivwechsel und ohne eine dekoloniale Ethik erforschen, könnte ich diesen damit möglicherweise schaden«. Ohne dieses Umdenken würde sie »dem kolonialen Interventionskriegskonzept« zuarbeiten.

Das Brisante darin ist, dass gerade der Fachbereich, an dem Exo promoviert hat, von dem Ansatz geprägt ist, den sie kritisiert. Der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierte Sonderforschungsbereich 700, »Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit«, verbindet mehrere Universitäten und Forschungseinrichtungen, darunter etliche Fakultäten der FU Berlin. Einer größeren Öffentlichkeit bekannt ist er seit dem Semester 2008/09, als studentischer und außeruniversitärer Protest zu konfliktgeladenen Debatten in FU-Hörsälen führte. Stein des Anstoßes war vor allem eine Forschungsarbeit, die zwei SFB-700-Mitarbeiter 2007 privat für die Bundeswehr in Afghanistan geleistet hatten. Nach der Irak-Invasion 2003 hatte die US-Armee ethnologische Forschungen anstellen lassen, um im asymmetrischen Krieg die diversen Bevölkerungsteile einschätzen zu können. Das strebte die Bundeswehr in Afghanistan ebenfalls an. Bei den Diskussionen an der FU offenbarten die SFB-Forscher bemerkenswertes Unverständnis für die Kritik an ihrer Arbeit. Einer der Protagonisten betonte seine Neutralität, ließ aber in seinen Texten die neue Ordnung für Afghanistan hochleben und stellte sie im Prinzip als alternativlos dar.

Zur Seite sprang ihm wiederholt und sehr engagiert ein damaliger Gastwissenschaftler des SFB 700: Michael Daxner. Der Soziologe und ehemalige Präsident der Uni Oldenburg kritisierte in einem Brief an die Organisationsgruppe einer Anti-SFB-700-Veranstaltung, dass die sich »vor den Karren der sich selbst so bezeichnenden ›Linken‹ spannen lasse«. Daxner, der von 2000 bis 2002 Teil der UNO-Verwaltung in Kosovo war, arbeitete seit 2003 in Afghanistan, ab 2006 wissenschaftlich. Seitdem versucht er, die »Interventionskulturforschung«, wie ein 2010 von ihm mitherausgegebenes Buch heißt, zu etablieren. 2008 hielt er einen Vortrag zum Thema auf dem Zweijahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie.

Der Text dazu ist nicht im Konferenzband enthalten, war aber eine Zeit lang im Internet zu finden. Darin grenzt Daxner sich von »postkolonialen und postimperialistischen Studien« ab, da »die sozialen Folgen von Interventionen nicht mehr als Fortschreibung traditioneller Besatzungs- und Besetzungspraktiken verstanden werden können«. Er postuliert weiter: »Die Theorie der Interventionskultur ist (...) ohne den Aspekt der wissenschaftlichen Politikberatung schwer vorstellbar.«

Im Vorwort des Buchs »Interventionskulturforschung« steht: »Ob diese neue Dimension der internationalen Einmischung legitim ist oder nicht, wollen wir in diesem Sammelband nicht diskutieren.« Das kann als paradigmatisch angesehen werden. Dieser Ansatz betrachtet die militärischen »Interventionen« vor allem als »sozialreformerisch« und »Modernisierung«.

Die Ausrichtung auf Politikberatung zeige sich auch darin, dass das heute von Daxner geleitete und Ende 2017 auslaufende SFB-700-Teilprojekt zu Afghanistan nur in dem Teil des Landes forscht, in dem die Bundeswehr stationiert und verantwortlich war, bemerkt Mechthild Exo. Der einzige wissenschaftliche Mitarbeiter des Projekts ist übrigens Mit-Autor der Bundeswehrstudie von 2007.

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