Ein bisschen Buh für ein bisschen Haarmann

Das Musical um Hannovers Serienmörder hatte schon vorab für viel Aufregung gesorgt - jetzt war Premiere

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Ankündigung, in Hannover werde ein Musical um den Serienmörder Fritz Haarmann vorbereitet, hatte vor neun Monaten zahlreiche Proteste zur Folge. Wie also verlief nun die Uraufführung?

Sein Kopf, den ihm Scharfrichter Carl Gröpler am 15. April 1925 mit dem Fallbeil abhackte, wurde nach langem Aufenthalt in der Göttinger Universität 2014 eingeäschert. Doch Fritz Haarmann ist nach wie vor in Niedersachsens Hauptstadt präsent. Alljährlich auf einem Hannover-Adventskalender, im bekannten Hackebeilchen-Lied und nun auch in einem Musical, das in der vergangenen Woche seine Uraufführung hatte.

In jenem Stück des mehrfach ausgezeichneten Dramatikers Nis-Momme Stockmann erklingt er nicht, der Song vom Hackebeil, mit dem der Besungene seine Opfer zerlegte. Und statt des Beils hat der Böse auf der Bühne des Hannoverschen Schauspielhauses eine Axt in der Hand, die er an einer elektrischen Schleifmaschine schärft. Dem echten Haarmann stand zur Werkzeugpflege wohl nur ein Wetzstein zur Verfügung in seiner schäbigen Behausung, in der er mindestens 24 Jungen und jungen Männern die Kehlen durchbiss.

Doch dieses Geschehen zählt ebenso wenig zum Inhalt des Stücks wie »authentische« Haarmann-Accessoires - der markante Hut ausgenommen. Im Haarmann-Musical ist wenig Haarmann drin. Das mag jene enttäuscht haben, die sich einen Grusel-Abend versprachen, und das mag alle beruhigen, die eine Bühnenversion Haarmannschen Grauens befürchteten und schon einen Skandal witterten.

Rückblende: Als im Mai vergangenen Jahres bekannt wurde, im Schauspielhaus solle ein Musical präsentiert werden, das sich um den Serienmörder dreht, wurden Proteste laut. Der Neffe eines Haarmann-Opfers sprach von »perversen Plänen«, erwog juristische Schritte gegen die Aufführung. Leserbriefschreiber wetterten wider das Werk, das den Namen des Mörders nicht einmal im Titel trägt. »Amerikanisches Detektivbüro Lasso« heißt das Stück, benannt nach der Aufschrift auf Visitenkarten, mit denen Haarmann wohl jene Zehn- bis 22-Jährigen beeindrucken wollte, die er in seine Wohnung lockte.

Mit Spannung war nun die Uraufführung erwartet worden. Wie wird Haarmann präsentiert? Als Monster? Als bedauernswerter Psychopath? Wird es Andeutungen an seine Gräueltaten geben? Proteste aus dem Zuschauerraum, in Zeitungen? Weder noch. Das Ensemble um Schauspielhaus-Regisseur Lars-Ole Walmburg schildert die Probleme eines Autoren, der ein Musical schreiben möchte - über Haarmann, im Stück mit verbundenem Gesicht agierend. Nicht der Mörder steht im Mittelpunkt des Musicals, sondern der Kunstbetrieb, Fragen zu seinem Sinn, zu seiner gesellschaftlichen Rolle. Protest gab es nicht bei der Uraufführung. Die Schauspieler und das Musiker-Duo Les Trucs durften sich über Applaus freuen, und ein bisschen Buh mussten Autor und Regisseur einstecken. Kommentare aus Kulturredaktionen reichten von der Frage »Viel Lärm um nichts?« über das Resümee »Weder Musical noch Haarmann« bis zum Urteil »Premiere mit Gähn-Faktor«. Wieder zornige Leserbriefe? Fehlanzeige. Der Aufreger vom vergangenen Mai entpuppte sich nicht als ein solcher.

Für Aufregung dürfte Haarmann aber im Sommer sorgen: Vom 4. Juni an wird in Hannovers Sprengel-Museum wieder der Haarmann-Fries des österreichischen Bildhauers Alfred Hrdlicka ausgestellt. Die Bronzearbeit zeigt den nackten Haarmann, wie er eines seiner Opfer ausweidet. Als das Werk 1992 erstmals präsentiert wurde, entfachte es einen Proteststurm; die Museumsleute verbargen es daraufhin im Depot.

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