Gut gedacht, schlecht gemacht
Im Jahr 2012 veröffentlichte der Biogeograf Jared Diamond ein Buch mit dem viel versprechenden Titel »Vermächtnis. Was wir von traditionellen Gesellschaften lernen können«. Was offenkundig als Plädoyer für mehr interkulturelle Toleranz gedacht war, stieß überraschend auf harsche Kritik, bei Anthropologen wie bei Vertretern indigener Völker. So behauptet Diamond etwa, dass traditionelle Kulturen gewalttätiger seien als industrialisierte Gesellschaften. Erst durch die Einführung von Nationalstaaten sowie einer Zentralregierung ließe sich das Leben indigener Völker friedlicher gestalten. Stephen Corry, der Direktor der Menschenrechtsorganisation »Survival International«, widerspricht: Erstens beruhten Diamonds Argumente auf einer viel zu schmalen Datenbasis und zweitens ähnelten sie fatal der kolonialen Idee, dass indigene Bevölkerungen befriedet werden müssten. Auch von mehr Staat hält Corry in diesem Zusammenhang wenig: »Der Hauptfaktor, der zur Vernichtung indigener Völker führt, sind Nationalstaaten. Die Einführung staatlicher Regierungen rettet keine Völker, sondern bringt sie um.«
Kritik erntete Diamond auch für seine Auffassung, dass die Menschen in indigenen Sozietäten großenteils so lebten wie unsere Vorfahren vor vielen tausend Jahren. »Wie alle Gesellschaften müssen auch indigene Völker sich ständig verändern und sich ihrer Umgebung anpassen«, entgegnet Corry. Das heißt: Sie leben nicht in der Vergangenheit, sondern im Hier und Heute und sind genauso Teil der modernen Welt wie jede andere Gesellschaft.
In West-Papua, wo infolge der indonesischen Invasion Hunderttausende von Indigenen ermordet wurden, fordern Angehörige der Opfer eine Entschuldigung Diamonds. Zwar finde sich in dessen Buch nicht das vielerorts übliche neorassistische Vokabular. Doch darauf komme es nicht an, meint Dominikus Surabut, der im Gefängnis saß, weil er West-Papua friedlich für unabhängig erklärt hatte. Die Unterdrückung von Völkern werde oft schon dadurch gerechtfertigt, dass man sie als rückständig und kriegerisch schildere. Letzteres tut auch Diamond. Ihm deswegen jedoch »unlautere« Absichten zu unterstellen, wäre vermutlich verfehlt. Denn aus einem hat der 1998 mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnete Wissenschaftler niemals einen Hehl gemacht: Nicht den neuen Kolonisatoren gilt seine Sympathie, sondern den vom Untergang bedrohten Kulturvölkern, deren Lebensbedingungen er bis heute vielerorts aus erster Nähe erforscht. mak
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