Wohin mit dem verseuchten Wasser?

Die Sicherungsarbeiten im AKW Fukushima stehen fünf Jahre nach der Katastrophe noch ziemlich am Anfang

In die Region Fukushima kehrt allmählich ein Stück Normalität zurück. Im zerstörten Atomkraftwerk kann davon jedoch noch lange keine Rede sein.

Beim großen Tohoku-Beben am 11. März 2011 nordöstlich von Japan und den nachfolgenden Überschwemmungen starben mehr als 18 000 Menschen. Ganze Siedlungsgebiete und Küstenstriche wurden vom anschließenden Monstertsunami weggeschwemmt. Während sich mit dem Vorstoßen der Hilfskräfte das Ausmaß der Katastrophe zu offenbaren begann, nahm bei den Atomanlagen von Fukushima Daiichi eine neue Katastrophe ihren Lauf, an deren Folgen Japan noch Jahrzehnte leiden wird.

Fünf Jahre nach den zeitgleichen Kernschmelzen in den Reaktoren 1 bis 4 des Kraftwerkes haben sich die Anlagen in ein riesiges Areal voller Speichertanks und Räumungsschutt verwandelt. Ganze Waldgebiete rundum wurden gerodet, um Platz für die Lagerung von verseuchtem Kühlwasser zu schaffen. Und bei den zerstörten Anlagen bietet sich mit Schutzanzügen gesicherten Arbeitern und Besuchern ein Bild, das sich wenig von den Tagen nach dem GAU unterscheidet - als hätte eine Bombe eingeschlagen, mit verrostetem, verdrehtem Metall.

AKW-Betreiber Tokyo Electric Power Company (Tepco), beauftragt mit den Sicherungsarbeiten, beteuert, die Situation habe sich sehr verbessert, die Anlagen seien ausreichend gesichert. Auf einem Hügel vor dem Kraftwerk betrage die Strahlung mehr als 200 Mikrosievert pro Stunde, was über einen längeren Zeitraum zwar als gefährlich gelte. Nach dem Unglück betrugen die Werte aber Hunderte Male mehr.

Seinerzeit gingen nur 20 Prozent des radioaktiven Fallouts auf die Landmasse nieder, doch die Verschmutzung ist enorm und weit verbreitet. Der GAU setzte langlebige radioaktive Elemente wie Cäsium 137 und geringe Mengen Strontium 90 frei, die von Pflanzen und Tieren aufgenommen wurden. Laut Greenpeace weisen bereits jetzt viele Bäume, aber auch Schmetterlinge, Süßwasserfische und Vögel Schädigungen auf.

Mehr als neun Millionen Kubikmeter Atommüll lagert an einigen Tausend Standorten in der Region Fukushima. In einem 20-Kilometer-Radius sind oberste verseuchte Erdschichten abgetragen und in schwarze Plastiksäcke verpackt worden.

Im März sollen Menschen in die nahe Ortschaft Naraha zurückkehren können und nächstes Jahr sogar nach Tomioka, das weniger als zehn Kilometer von den Atomanlagen entfernt liegt. Noch bleiben viele Orte aber Geisterstädte mit leeren Läden und Restaurants, verwilderten Gärten, herrenlosen Autos und Fahrrädern.

Weit schwieriger gestaltet sich die Sicherung der Kernanlagen, vor allem die Bergung der zerstörten Brennstäbe. Diese sind so hochgiftig, dass lediglich Roboter in ihrer Nähe arbeiten können. Dabei bleibt unklar, in welchem Zustand sich die Trümmer befinden, denn noch immer konnte keine Kamera in die tiefen Kammern vordringen.

»Die Bergung der Brennstäbe wird die größte Herausforderung sein«, sagt Akira Ono, der Tepco-Verantwortliche vor Ort. Soweit seien zehn Prozent der Stilllegung abgeschlossen. Die Arbeiten können laut Experten noch ein halbes Jahrhundert dauern. Dazu benötigte Technologie muss nämlich erst erfunden werden.

Das Hauptaugenmark richtet sich seit Längerem auf das Problem mit dem Grundwasser. Dieses dringt über beschädigte Leitungen, Mauern und Röhren in die Untergeschosse der zerstörten Reaktoren ein und vermischt sich mit radioaktiv verseuchtem Wasser, das zur Kühlung der Brennstäbe benötigt wird. Damit die Brühe nicht ins Meer läuft, wird sie abgepumpt und gelagert. Doch wohin mit dem Kühlwasser, aus dem 62 Nuklide gereinigt gehören? Viele der älteren Speichertanks sind undicht, die neueren sollen 20 Jahre halten. 750 000 Tonnen kontaminiertes Wasser lagern schon jetzt in mehr als 1000 Tanks. Mit den 2100 Tonnen, die jede Woche neu anfallen, ließe sich ein olympisches Schwimmbecken füllen.

Meilenstein der Sicherungsarbeiten soll eine 1,4 Kilometer lange, unterirdische Eiswand sein, die verhindern soll, dass weiter große Mengen Grundwasser in die Keller der Reaktoren laufen. Der bis in 30 Meter durch Rohre mit Tiefkühlflüssigkeit gefrostete Boden leitet es um die Gebäude herum ins Meer - so die Idee. Wenngleich eine teure: Die Regierung hat bereits umgerechnet 270 Millionen Euro dafür bereitgestellt. Hinzu kommen auf lange Zeit riesige Stromkosten bei der Kühlung. Und nun befürchtet die Atomaufsicht, dass das verseuchte Wasser in den Reaktorkellern im Boden versickern könnte, wenn der Grundwasserspiegel sinkt. Deshalb darf die kürzlich fertiggestellte Eiswand zunächst nur teilweise in Betrieb gehen.

Eine von der Regierung beauftragte Taskforce entscheidet über das weitere Vorgehen - auch mit dem bereits verseuchten Wasser: Entweder reinigt Tepco das hochgiftige Tritium aus dem Wasser, bevor es ins Meer abgelassen wird. Oder man lässt das Wasser verdunsten wie nach der Kernschmelze beim AKW Three Mile Island in den USA im Jahr 1979. Oder aber man pumpt es tief ins Erdreich mit ähnlicher Technologie wie beim Fracking von Schiefergas.

Auch ist im Gespräch, rund zehn Kilometer vor der Küste in der Meerestiefe Atommüllspeicher zu bauen. Ein Tunnel würde diese mit dem Festland verbinden. Nicht nur Fischer laufen dagegen Sturm. Das Gebiet liegt in einer tektonisch hochaktiven Zone, die regelmäßig von Erdstößen erschüttert wird.

Das Nichtvorankommen stört den Plan des konservativen Premierministers Shinzo Abe, die Sicherungsarbeiten an der zerstörten Atomanlage vor den Olympischen Spielen 2020 in Tokio abzuschließen. »Die Umweltfolgen von Fukushima werden noch Jahrhunderte andauern«, sagt dagegen Heinz Smital, Atomexperte von Greenpeace. »Die Abe-Regierung täuscht vor, alles unter Kontrolle zu haben. Doch das ist eine Farce und eine Missachtung der Opfer.«

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