Massiver Anstieg antisemitischer Angriffe in Berlin
34 Prozent mehr Vorfälle als im Vorjahr / Mindestens 151 Personen wurden Opfer von Angriffen, Bedrohungen, Beleidigungen und Pöbeleien
Berlin. Die Zahl antisemitischer Vorfälle in Berlin ist 2015 massiv angestiegen. Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (Rias) zählte vergangenes Jahr 401 judenfeindliche Übergriffe und Anfeindungen in der Bundeshauptstadt. Das seien 34 Prozent mehr als im Vorjahr, wie die »Berliner Zeitung« (Donnerstagsausgabe) berichtet. Mindestens 151 Personen wurden Opfer von Angriffen, Bedrohungen, Beleidigungen und Pöbeleien. Dabei waren 57 von ihnen (38 Prozent) als Juden erkennbar oder ihre jüdische Identität war den Tätern bekannt.
Die meisten Vorfälle waren laut der auf Facebook-Seite von Rias veröffentlichten Statistik Bedrohungen und Beleidigungen (210 Fälle). Dazu zählen unter anderem auch antisemitische Pöbeleien in sozialen Netzwerken. Auch bei der Recherchestelle selbst gingen insgesamt 92 antisemitische Zuschriften über das Meldeformular oder per E-Mail ein. Dabei habe es sich zumeist um Massenmails gehandelt, die immer an Dutzende jüdische und nicht-jüdische Institutionen adressiert waren, heißt es.
31 Personen wurden bei antisemitischen Gewalttaten verletzt oder waren unmittelbar durch 19 Angriffe betroffen. Bei zwölf Vorkommnissen waren die Opfer nicht-jüdisch, wurden aber von den Tätern angegriffen, bedroht oder beleidigt weil sie zuvor Antisemitismus kritisiert hatten, sich nicht von Israel distanziert hatten oder sich schlicht auf Englisch unterhielten. In 17 Fällen wurden Vertreter jüdischer oder israelischer Institutionen angegriffen, bedroht, beleidigt oder beschimpft. In 62 Fällen sei der Hintergrund entweder nicht bekannt oder es gab keine unmittelbar betroffenen Personen.
In 102 Fällen waren die Adressaten von Angriffen und Pöbeleien Einzelpersonen oder Organisationen, die sich für die Erinnerung an den Nationalsozialismus engagieren oder im Bereich der Antisemitismus-Bekämpfung tätig sind. Sechs weitere Vorfälle richteten sich gegen Polizeibeamte, drei gegen Vertreter der Presse. In einem Fall wurde ein Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses bedroht.
»Auch wenn die Zahl von 401 Vorkommnissen erschreckend hoch ist, gehen wir immer von einer großen Dunkelziffer nicht bekannt gewordener Fälle aus«, erklärte Rias-Koordinator Benjamin Steinitz. Die Recherche- und Informationsstelle AntisemitismusBerlin (Rias) wurde im Januar 2015 durch den Verein für Demokratischen Kultur in Berlin gegründet. Seit Sommer können entsprechende Vorfälle online gemeldet werden.
Der jüngste Vorfall liegt erst wenige Tage zurück. Während einer Veranstaltung der Israel-Boykott-Bewegung »BDS-Berlin« in Berlin-Kreuzberg wurden laut der Recherchestelle israelfreundliche Demonstranten von pro-palästinensischenTeilnehmern massiv beschimpft und bedroht. Eine Frau forderte, alle Demonstranten »zu vergasen«, andere zeigten den »Hitlergruß« und skandierten »Scheiß Juden«. epd/nd
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