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Landeskriminalamt Berlin: Familiennamen unter Verdacht

Linksfraktion im Abgeordnetenhaus hält Clan-Datei der Berliner Polizei für stigmatisierend

Es kann auch Falsche treffen: Geraten Berliner*innen nur wegen ihres Nachnamens in Verdacht?
Es kann auch Falsche treffen: Geraten Berliner*innen nur wegen ihres Nachnamens in Verdacht?

Remmo, Abou-Chaker, Al-Zein: Es gibt nicht viele Nachnamen aus dem arabischen Sprachraum, unter denen sich die deutsche Mehrheitsgesellschaft etwas vorstellen kann. In den genannten Fällen ist die Ehre zweifelhaft. Nach Razzien in Berliner Villen und Shisha-Bars tauchen die Familiennamen in den Schlagzeilen auf, Polizei und Medien prägen den Begriff der »Clankriminalität«.

In der Berliner Linken gilt der Begriff als problematisch. Niklas Schrader, innenpolitischer Sprecher im Abgeordnetenhaus, warnt vor der Stigmatisierung ganzer Familien und vor Ermittlungen, bei denen unschuldige Menschen allein ihres Nachnamens wegen ins Visier der Behörden geraten. Nun sieht sich Schrader nach seiner jüngsten Anfrage an den Senat bestätigt.

Mehr als 7200 vollständige Personendatensätze haben die Berliner Behörden in der Datei »Gruppierungen aus dem arabischen Sprachraum« zusammengetragen, wie der Senat dem Linke-Abgeordneten mitteilt. Es geht demnach um Verfahrensdaten, die durch das Landeskriminalamt dem »Phänomenbereich Clankriminalität« zugerechnet werden. »Das Ganze befördert natürlich unsere Kritik am Clan-Konzept«, sagt Schrader zu »nd«.

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Unter den Eingetragenen verfügen 3290 Personen über eine deutsche Staatsbürgerschaft. Auch Daten zu Nicht-Tatverdächtigen werden laut Senat gespeichert. Wer in der Datenbank landet, werde hierüber von den Behörden nicht informiert.

Hinterlegt ist die Datei im einheitlichen Fallbearbeitungssystem (eFBS), das die Polizeien des Bundes und der Länder seit März 2022 nutzen. In ihm können Datensätze über verschiedene Fachverfahren hinweg verknüpft werden. »Das eFBS bietet die Möglichkeit, eine verwandtschaftliche Beziehung zwischen zwei in der Datei gespeicherten Personen in Form einer Verknüpfung zu erfassen«, erklärt der Senat zudem. Insgesamt befinden sich über 333 500 Personendatensätze im eFBS.

»Das Clan-Konzept an sich setzt den Fokus auf das Familiäre und nicht den kriminellen Zusammenhang, wie es eigentlich sein sollte.«

Niklas Schrader (Linke) Innenpolitischer Sprecher im Abgeordnetenhaus

Bisher hatte sich Schrader in Anfragen vor allem mit der Speicherung personengebundener Hinweise befasst – Daten, die Polizist*innen etwa bei Personenkontrollen abrufen können. »Auf die Datei im eFBS wurde ich durch Bekannte aufmerksam gemacht«, sagt er. Den Umfang des Datensatzes hält der Linke-Politiker für gewaltig. Für ihn gilt es als ausgemacht, dass unter »Gruppierungen aus dem arabischen Sprachraum« etliche Berliner*innen abgespeichert werden, die mit einschlägigen Clan-Familien nichts weiter gemein haben als deren Nachnamen.

»Es wird in keinster Weise ersichtlich gemacht, wie Personen da hineingelangen«, kritisiert Schrader. Allein der Name der Datei lege schon nahe, dass sich die Behörden hier auf Gruppenzugehörigkeiten konzentrierten und damit eben auch auf Familiennetze. »Natürlich können für Ermittlungen familiäre Verbindungen markiert werden, aber es muss eben auch Relevanz haben.« Entsprechende Familien hätten zum Teil Hunderte von Mitgliedern, die allesamt unter Verdacht gestellt würden. »Wir stehen hier wieder vor einem grundlegenden Problem«, sagt Schrader. »Das Clan-Konzept an sich setzt den Fokus auf das Familiäre und nicht den kriminellen Zusammenhang, wie es eigentlich sein sollte.«

Gegenüber »nd« sprachen Betroffene wie der Schauspieler Mohamed Chahrour bereits von Diskriminierungserfahrungen, unter anderem durch deutsche Vermieter*innen bei der Wohnungssuche, aber auch in migrantischen Milieus selbst. Kritiker*innen sehen im Clan-Begriff Parallelen zur Arbeitsbezeichnung »Nafri«, durch den sich die Polizei in Nordrhein-Westfalen infolge der Silvesternacht 2015 scharfe Kritik eingehandelt hatte.

Die deutsche Hauptstadt gilt als Hotspot sogenannter Clankriminalität. Für das Jahr 2023 zählten die Berliner Behörden insgesamt 1063 Straftaten durch 293 Tatverdächtige, die dem Feld zugerechnet werden – rund 200 Fälle mehr als noch im Jahr zuvor. Innensenatorin Iris Spranger kündigte an, »den kriminellen Strukturen gezielt den Nährboden entziehen« zu wollen.

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