Hänschen trifft Pippi

Peter Abraham und Harri Parschau: »Faulpelzchen« stammt von 1963

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 3 Min.

»Gib mir eine Schnecke«, sagt der Junge zum Bäcker. Der aber hört ihm gar nicht zu. »Schön, dass du kommst«, sagt er. »Spielst du Zirkus mit?«


Peter Abraham: Faulpelzchen. Eine schlimme Geschichte. Ill. v. Harri Parschau. LeiV Verlag. 32 S., geb., 10,90 €.


Erstaunlich der Mann: baut sich eine Pyramide aus Stühlen, Milchflaschen und Kuchenformen. Da wäre sein Kopfstand, wie ihn Harri Parschau malte, tatsächlich fast eine Zirkusleistung. Und spätestens jetzt wird es beim Vorlesen der Geschichte Gelächter geben.

Klar ist doch von Anfang an, worauf Peter Abraham mit seinem »Faulpelzchen« abzielt: Dass es zu einem unglaublichen Durcheinander führt, wenn jeder nur das tut, worauf er gerade Lust hat. Das Hänschen bleibt im Bett, statt zur Schule zu gehen, der Straßenbahnfahrer setzt sich auf das Dach seines Wagens und trällert »Das Wandern ist des Müllers Lust«, »Schokoladen-Katrin« klappt ihren Sonnenschirm zu - egal, ob ihre Waren schmelzen - und behauptet, zum Mond fliegen zu wollen, der Briefträger löst lieber Kreuzworträtsel, statt die Post auszutragen ...

Viele lustige Einfälle. Kinder werden sich amüsieren, auch ein wenig schadenfroh, was das »Faulpelzchen« betrifft. Erwachsene indes, vielleicht schon müde von ihrer täglichen verordneten Plackerei, werden womöglich, von den Autoren gar nicht beabsichtigt, einen doppelten Boden entdecken. Ein Einerseits und Andererseits, über das mit Kindern zu sprechen auch interessant sein könnte. Aber erst einmal muss man sich selber drüber klar werden.

Soll man dem Jungen zugestehen, die Schule zu schwänzen? Natürlich nicht. Aber ist die vielbewunderte Pippi Langstrumpf etwa zur Schule gegangen? Dafür wird sie ja bewundert, dass sie sich überhaupt nicht an die Regeln der Erwachsenen hält. Leb dich aus, wie du willst - oder tu wenigstens so! Kann es sein, dass der gern gepflegte Schein von Unangepasstheit die tatsächliche Anpassung kaschiert, die Menschen heute abverlangt wird?

Wobei Anpassung das falsche Wort ist für die heitere Pädagogik, die in dieser Geschichte obwaltet. Es war die erste Buchpublikation von Peter Abraham 1963. Nicht um Gehorsam ging es da, sondern um Verantwortung in einem Gemeinwesen. Wenn das alle machen würden - das sollte man beim eigenen Verhalten bedenken. Für das Zusammenleben im Alltag gilt das wohl nach wie vor. Zu lernen ist aber auch, in Ausbeutungsverhältnissen die eigenen Interessen einzufordern.

Ermutigung zu Selbstbewusstsein und Widerstand - dieser Gedanke war mit Pippi Langstrumpf verbunden, die es auf dem Buchmarkt der DDR erst ab 1975 gab. Aber das lässt Abrahams »schlimme Geschichte« (Kinder mögen schlimme Geschichten ja) nicht überholt erscheinen. Auch wenn Lehrer nicht mehr mit Anzug und Schlips zum Unterricht erscheinen, sondern in T-Shirt und Jeans, Pünktlichkeit wird von Schülern nach wie vor verlangt.

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