Hallo Norwegen
Leipziger Handwerkskammer schickt Azubis in die Welt
Als Lehring nach Frankreich, Norwegen oder Ungarn? Ein EU-Förderprogramm macht es möglich. Auch Lehrlinge aus der Leipziger Region nutzen die Chance, so wie Marco Köhler zum Beispiel. Der 20-Jährige arbeitete vor einiger Zeit für drei Wochen in Norwegen in der Nähe von Molde, einer Stadt mit 25 000 Einwohnern. »Das war eine gute Erfahrung, mal was anderes. Ich konnte sehen, wie dort gearbeitet wird.« Marco Köhler hat seine dreieinhalbjährige Ausbildung als Elektroniker in der Fachrichtung Energie- und Gebäudetechnik gerade abgeschlossen. Er arbeitet in einem Elektro-Meisterfachbetrieb in Bennewitz bei Leipzig. Sein Meister und Firmenchef Holger Zur musste zustimmen, dass sein einziger Lehrling für drei Wochen nach Norwegen geht, immerhin musste er weiter das Lehrlingsentgelt zahlen: »Das habe ich aber gern gemacht«, sagt Holger Zur, in dessen Elektrofirma acht Angestellte arbeiten. Er sieht das Ganze rückblickend positiv, hat sein Azubi doch Erfahrungen gesammelt, die ihm jetzt im besten Fall in der täglichen Arbeit zugute kommen.
Marco Köhler war nicht allein in Norwegen, sondern mit anderen Lehrlingen: Zimmerer, Tischler, Steinmetze. »Wir waren zu zwölft«, erinnert er sich. Jeder arbeitete in einer Firma seines Gewerkes, Marco also in einer Elektrofirma. Er war einem norwegischen Kollegen zugeteilt, alles lief in Englisch. Vieles war in der täglichen Arbeit ähnlich zu Deutschland. Sie verlegten Kabel und Steckdosen in Eigenheimen: »Aber die Leute dort sind entspannter. Was fertig wird, wird fertig oder eben nicht. Hier bei uns ist der Termindruck viel größer.«
Marco Köhler musste für seine Lebenshaltungskosten in Norwegen selbst aufkommen, Unterkunft und Fahrt bekam er finanziert. Untergebracht waren er und die anderen Jungs auf einem Campingplatz in Bungalows. Am freien Wochenende haben sie Ausflüge gemacht, waren zum Beispiel in Oslo. »Es waren drei schöne Wochen«, erinnert er sich.
Möglich gemacht hat den Austausch die Handwerkskammer zu Leipzig. Mobilitätsberater Thomas Krause kümmert sich um das Projekt, das es deutschlandweit seit 2006 gibt: »Zum einen geht es darum, die Firmen und Azubis zu informieren, dass es die Möglichkeit gibt.« Immer mehr sächsische Firmen orientieren sich europaweit, nehmen auch Aufträge aus dem Ausland an. Da ist ein Mitarbeiter, der schon mal in einem ausländischen Betrieb gearbeitet hat, Gold wert. Auch Gesellen und Meister können ins Ausland gehen, bisher wird das aber wenig genutzt.
Etwa 40 Lehrlinge aus dem Kammerbezirk Leipzig nehmen jährlich an dem Programm teil - Frisörinnen, Tischler, Zimmerer, Maler und Elektroniker wie Marco Köhler. Die Jungs und Mädchen waren in Frankreich, Griechenland, Österreich, Ungarn oder eben Norwegen. In allen Fällen läuft das Lehrlingsentgelt weiter. Thomas Krause: »Da müssen wir bei manchen Firmenchefs auch Überzeugungsarbeit leisten.« Umgekehrt gibt es auch Anfragen von ausländischen Lehrlingen, die in Deutschland ein paar Wochen arbeiten möchten. Diese Anfragen gehen zentral ein und werden dann verteilt. Thomas Krause: »Vor kurzem hätte ich einen Kfz-Elektroniker vermitteln können, hatte auch schon ein Autohaus gefunden. Aber da war er schon in Nordrhein-Westfalen untergekommen.« Insgesamt gibt es wenig ausländische Azubis, die im Kammerbezirk Leipzig für ein paar Wochen arbeiten. Häufiger kommt es vor, dass zum Beispiel junge Spanier hier eine komplette Lehre absolvieren, denn die Jugendarbeitslosigkeit in ihrem Land ist hoch.
Der Aufenthalt von Marco Köhler und den anderen Austausch-Azubis wurde und wird gefördert von der EU über das Erasmus Plus-Programm. Darüber werden Kosten für Fahrt, Unterbringung, Versicherung und eventuelle Sprachkurse finanziert. Generell ist, so Krauses Erfahrung, die Resonanz bei den Jugendlichen sehr gut: »Die meisten kommen begeistert zurück.«
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