Oppositionelle in Haft
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International stellt der Weltgemeinschaft in ihrem aktuellen Report ein miserables Zeugnis aus
160 Länder und Territorien hat Amnesty International (AI) unter die Lupe genommen. In 122 kommt es zu Folter oder anderen Formen von Misshandlung. In gut zwei Dritteln der Staaten gibt es keine Versammlungs- und Pressefreiheit. In mindestens 48 Ländern werden Menschen systematisch aus politischen Gründen ins Gefängnis gesteckt. Das sind die ernüchternden Ergebnisse, zu denen die Menschenrechtsorganisation in ihrem aktuellen Bericht zur weltweiten Situation der Menschenrechte für 2015/16 kommt. Am dramatischsten sei die Lage im Bürgerkriegsland Syrien. »Vor den Augen der Weltöffentlichkeit hat sich in Syrien ein bewaffneter Konflikt entwickelt, der inzwischen geschätzt 250 000 Menschen das Leben gekostet hat und bei dem es zu massenhaften Menschenrechtsverletzungen kommt«, erklärt Selmin Çalışkan, Generalsekretärin von AI-Deutschland. Die internationale Gemeinschaft habe mit Blick auf die Syrienkrise versagt. Angesichts von 60 Millionen Flüchtlingen weltweit, fordert Amnesty eine Neuausrichtung der Politik und ein Ende der Abschottungsbestrebungen in Europa.
Generell sei die Zahl ungelöster Kriege und Konflikte im vergangenen Jahr gestiegen. Zu den bestehenden Konflikten kämen neue Krisen hinzu. Eine dieser ungelösten Herausforderungen ist die unverändert hohe Zahl an politischen Gefangenen, die AI auch im diesjährigen Bericht anprangert. An deren Schicksal wird am 18. März, dem internationalen Tag der Politischen Gefangenen, erinnert. Die 1961 in London gegründete Menschenrechtsorganisation legt einen ihrer Arbeitsschwerpunkte auf die Unterstützung von Menschen, die zu Unrecht in Haft sitzen. Dazu zählen nach AI-Definition die Verfolgung aufgrund von Überzeugung, Herkunft, Hautfarbe, Sprache, Geschlecht, Glauben oder sexueller Orientierung. Wer aus diesen Gründen im Knast sitzt und selber kein Gewalttäter ist, kann sich der Unterstützung von AI sicher sein.
Nach Amnesty-Recherchen zählen Iran, China, Russland, Bahrain und Saudi-Arabien zu den Top-Five der Länder mit den an der Einwohnerzahl gemessen meisten politisch Inhaftierten. Die Mehrheit der Gefangenen sind Kritiker des jeweiligen Regimes und Oppositionelle. In Iran, Bahrain und Saudi-Arabien kommen Männer und Frauen hinzu, denen angebliche Verstöße gegen das islamische Sharia-Recht vorgeworfen werden. Genaue Zahlen sind aber kaum zu bekommen. Zu häufig verschleiern die autoritären Regime die eigentlichen Haftgründe. Zu intransparent arbeiten die juristischen Systeme. In Staaten wie Syrien oder Somalia, in denen ganze Landesteile von nicht-staatlichen Akteuren kontrolliert werden, sieht die Informationslage noch schlechter aus. Für Iran reichen die Schätzungen beispielsweise von 500 bis 800 politischen Gefangenen.
Es sind aber nicht allein die absoluten Zahlen, für die sich Amnesty interessiert. Die Skandalisierung des individuellen Einzelfalls steht im Fokus. Dieser Ansatz in Kombination mit dem unabhängigen und überparteilichen Anspruch macht das politische Erfolgsrezept der Organisation aus. Kommt Kritik aus anderen Staaten, verweisen die Delinquenten gerne auf Einseitigkeit und das völkerrechtliche Nichteinmischungsgebot. Bei einer internationalen Nichtregierungsorganisation wie Amnesty, die weltweit über Renommee verfügt und keinerlei staatliche Gelder annimmt, zielen solche Schutzbehauptungen ins Leere.
AI kann mit seinen Kampagnen durchaus Erfolge vorweisen. Im Fall des in Saudi-Arabien wegen Blasphemie zu vier Mal 150 Peitschenhieben verurteilten Internetbloggers Raif Badawi bewirkte Amnestys Kampagne und der darauf folgende internationale Aufschrei im letzten Jahr die Aussetzung der Strafe. Auch eine Freilassung können sich die Menschenrechtler auf ihr Konto anrechnen lassen: Nach jahrelangem Einsatz für den Afro-Amerikaner Albert Woodfox, der über 40 Jahre im US-Bundesstaat Louisiana in Einzelhaft saß, kam der heute 69-jährige Mitte Februar frei. Der frühere Black Panther Aktivist war 1979 in einem fragwürdigen Verfahren verurteilt worden. Auch dank des öffentlichen Drucks der Menschenrechtsgruppe wurde ihm jetzt späte Gerechtigkeit zuteil.
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