Angst als Herrschaftsmittel

Rui Zink treibt ein absurdes Spiel mit Floskeln, die uns täglich um die Ohren sausen

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 7 Min.
Jene »Installation der Angst«, die der Novelle des portugiesischen Schriftstellers den Titel gab, ist längst erfolgt. In diesem Horrorszenario geht es nicht um Gespenster, Wölfe oder Spinnen, sondern um Europas Gegenwart.

Der Weihnachtsmann sieht alles - oder eben der Osterhase -, für andere Kinder war’s der »liebe Gott«. Sind die Zeiten vorbei, dass die Eltern ihren lieben Kleinen drohen, um sie zur Räson zu bringen? Sperre für Fernsehen und Computerspiel als härteste Strafe? Wird kein Kind mehr in den Keller gesperrt? Ist der »schwarze Mann« ohne Verwendung, der früher die Unartigen holen sollte?

Aber selbst wenn sie nicht mehr bedient werden, die Angstmechanismen stecken - vielleicht von Geburt an - in jedem Menschen. Meine Mutter erzählte, dass sie als Kind immer einen weiten Umweg um eine bestimmte Straße machte, weil sie auf einem Schild »Rinderschlächterei« den ersten Buchstaben als »K« gelesen hatte. Meine jüngere Schwester war nicht davon abzubringen, dass bei Einbruch der Dunkelheit Wölfe in die Stadt kommen. Es gab keinen Anlass für diese Vorstellungen. Aber manchmal genügt ja schon ein Märchenbuch. Ich hatte Nacht für Nacht vor einem Nähtischchen davonzulaufen, das sich ruckartig klickend auf mich zu bewegte.

Viele Kinder, die wohlbehütet und friedlich aufwachsen, werden von schlechten Träumen geplagt. Womöglich liegt uns tatsächlich noch etwas von den Schrecken früherer Generationen auf der Seele. Angst hat ja eine Schutzfunktion. Unsere fernen Vorfahren mussten in der Lage sein, auf Gefahren schnell zu reagieren. Diese Fähigkeiten werden heute normalerweise nicht mehr abgerufen. Aber man kann mit ihnen spielen.

Warum sind denn Horrorfilme und -schmöker so beliebt? Weil sich an ihnen etwas abreagieren lässt. Aber die Leute bekommen es eben doch nicht los, was sie an den verschiedensten Gefühlen der Beklemmung mit sich herumtragen. Die werden verleugnet oder umgedeutet, unter der einen Angst kann eine ganz andere stecken, dabei weiß man doch, dass es zu anderen Zeiten und an anderen Orten viel mehr reale Bedrohungen gab und gibt. Es ist eine Chimäre; für jeden scheint sie sich in der für ihn passenden Form zu präsentieren.

Ja, eigentlich ist »Die Installation der Angst«, wie Rui Zink seine Novelle nennt, schon längst erfolgt. Aber hier geht es nicht um Gespenster, Wölfe oder Spinnen, sondern um das, was man alltäglich in der Zeitung lesen, auf den Straßen hören kann. Der Roman spielt in Portugal, aber beim Lesen läuft es einem kalt den Rücken herunter, wie entlarvend der Text auch für die hiesige Wirklichkeit ist.

Zwei Männer klingeln abends an der Tür einer alleinstehenden Frau, die nackt gewesen war, sich schnell etwas überzieht und ihr schlafendes Kind aus dem Schlafzimmer holt und ins Badezimmer bringt. Warum? Wir werden es nur ahnen können.

Etwas Schreckliches muss ihr geschehen sein, etwas, das sie immer noch fürchtet. Dagegen sind die beiden Männer Witzfiguren. Aber das wissen wir in diesem Moment noch nicht. Sie sind wirklich bedrohlich, weil sie in ihre Wohnung eindringen, und das mit behördlichem Auftrag. Ein Geschniegelter und ein Grobschlächtiger, ein Wortgewaltiger und einer mit starken Fäusten - sie sollen »die Installation der Angst« besorgen. Zum »Wohle aller«, versteht sich, »damit die Gesellschaft besser funktioniert«. Die Frau »weicht zurück. Aber da ist nichts mehr, wohin sie zurückweichen könnte, sie steht bereits mit dem Rücken zur Wand, und der Besucher atmet ihr schon fast ins Gesicht.«

Wir kennen solche Szenen aus Kriminalfilmen. Wir können vor uns sehen, was Rui Zink beschreibt. Und fürchten uns schon fast selbst dabei. Man ist allein, jemand klingelt und dringt in die Wohnung ein - was würde man da tun? Oder er klingelt nicht, sondern kommt irgendwie … Es liegt natürlich an der Waffenlobby, dass es in den USA bis heute nicht gelingt, das Waffenrecht so zu verändern, dass nicht jeder Gewehr oder Pistole im Hause haben kann. Aber viele Leute dort sagen auch, dass sie sich sonst nicht sicher fühlen würden.

Sicherheit - ein grundlegendes Bedürfnis, für einen großen Teil der Bevölkerung vielleicht noch wichtiger als Freiheit und Menschenrechte. Auch das kann schon Angst machen. Und es ist keine grundlose Panik. Ein Wahlverhalten wäre möglich, das vorrangig dem Versprechen von Sicherheit folgt. Und man könnte den Leuten nicht ausreden, dass sie nicht wirklich bedroht wären, jedenfalls nicht so sehr, wie sie es empfinden.

Über Gefühle lässt sich nicht streiten. Aber man kann sie evozieren und bestärken. Im Roman hört die Frau, wie in ihrem Wohnzimmer ein Bohrhammer zum Einsatz kommt, »Metall kreischend auf Glas, Plastik, Metall«. Die Installation, um die es hier geht, ist nicht bloß virtuell. Aber das Materielle muss, wie sich zeigt, geistig untersetzt werden. Dazu wird mehrmals das Licht gelöscht.

Wieder trifft einen die Urangst beim Lesen. Aber dann erlebt man sich selbst, beim Nicken und Kopfschütteln und wieder beim Nicken. Das Ungeheuer, das durch die Toilette kommt, ist bloß Kinderkram im Vergleich zu dem, was Carlos und Sousa der Frau an Bedrohlichem vorführen. Dabei gerät der Text mitunter fast zu einem Kabarettstück, treffsicher, pointiert, entlarvend - womöglich auch für den Leser. Als ob Carlos und Sousa auch hier schon ihr Werk getan hätten. Portugal ist ja gar nicht so weit weg. Die Krise des Kapitalismus - ja, wachen wir auf aus dem Horrorszenario des Buches - betrifft doch die ganze westliche Welt.

Dass ein gesellschaftlicher Umbau stattfindet, wird manch einem womöglich erst rückblickend klar werden. Es ist das Verdienst von Rui Zink, alles zusammengekehrt zu haben, was als Begründung dafür durch die Medienöffentlichkeit wabert. Direkt oder nur angedeutet - letzteres wirkt nicht weniger stark. Atavistische Ängste verklammern sich mit Xenophobie, da dient das Gegenargument »Rassismus« lediglich dem Selbstschutz. Wenn »die Märkte« verrückt spielen, ist man doch ausgeliefert. Oder?

»Wenn Sie jemand einschüchtern wollen … Löschen Sie einfach das Licht … Das Licht löschen und flüstern … Raunen.« - Da sehe ich ein bestimmtes Gesicht sehr ernst vom Fernsehschirm schauen. Jemand möchte Vollmachten, über die ich nicht verfüge, aber in mir soll die Erkenntnis reifen, dass es zu meinem besten ist, wenn er sie hat. »Wir alle müssen Opfer bringen«, das verkündete man uns hier noch nicht. Aber ist es unmöglich, dass wir sowas irgendwann zu hören bekommen? »Die Europäer erleben zur Zeit eine Art Horrorfilm. Von allen Seiten strömt die Katastrophe auf sie ein.« Das wird im Buch von den »Agenten der Angst« mehrfach wiederholt, und im nächsten Moment erscheinen sie als Komikerduo.

Aber auch das gehört zum Spiel: Das Ernstnehmen und das Nicht-Ernstnehmen wechseln einander ab. Wird das, was Angst macht, nicht auch gleichzeitig zu unserer Unterhaltung aufgeführt? Freizeit am Bildschirm - Information als Infotainment, vom Ernst der Lage können wir uns bei einem Spannungsfilm erholen, bei dem uns auch das Herz schneller schlägt. Vogelgrippe, Rinderwahn, Ebola … Alzheimer … »Und wieder kommen die Russen … Oder die Chinesen … Oder die Terroristen …«

Immer schneller wird der Dialog. Der Leser möchte etwas einwenden, so wie die Frau auch. Aber die beiden Eindringlinge reden sich in Rage, schwadronieren über die Ausländer, über die Renten, die die Wirtschaft in Gefahr bringen, jonglieren mit Schlagwörtern, die wir auch bestens kennen. Großartig, wie der Übersetzer Michael Kegler den Text zu uns herüberholt. Aber vor dem Hintergrund der sogenannten »Schuldenkrise« bekommen diese Floskeln in Portugal eine noch größere Schärfe.

»Lohnsenkung ist keine Politik, sondern Notwendigkeit«, wird António Borges zitiert. Wen es interessiert, der kann sich weiter über den portugiesische Banker informieren, Managing Director von Goldman Sachs und 2011 vom Premierminister dazu bestimmt, in Abstimmung mit der »Troika« die Privatisierungen zu überwachen. »Dringende Maßnahmen … Entschlossener Handlungsbedarf … Strukturelle Reformen … Schmerzhafte Einschnitte.«

Zu solchen kommt es im wahrsten Sinne des Wortes übrigens am Schluss auch im Buch. Völlig überraschend, völlig anders als gedacht. Vielleicht hätte man es sich sogar weniger gespenstisch gewünscht. Doch alles in allem: Indem Rui Zink das uns umgebende ideologische Gefüge durchschaut - viele Menschen gibt es nicht, die das so können wie er -, ist ihm ein grandioser Text gelungen.

Rui Zink: Die Installation der Angst. Novelle. Aus dem Portugiesischen von Michael Kegler. Weidle Verlag. 110 S., br., 18 €.

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