TV-Duell: Scholz hat gegen Merz voll aufgedreht

Mit dem »nd« durch die TV-Duelle (2)

Mundwinkel nach unten: Bundeskanzler mit Trauer-Smiley gegen Nochnichtkanzler
Mundwinkel nach unten: Bundeskanzler mit Trauer-Smiley gegen Nochnichtkanzler

Am Sonntagabend gab es bei ARD und ZDF »Das Duell« zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und seinem aussichtsreichsten Herausforderer Friedrich Merz (CDU). Anders als suggeriert liegen zwischen beiden keine Welten, nur Umfrageergebnisse. CDU/CSU rangieren zurzeit bei etwa 30 Prozent, die SPD schafft nur etwas mehr als die Hälfte. Man sagt, dass es bei solchen Events weniger um die Beeinflussung des Fernsehpublikums gehe als um die Berichterstattung darüber. Glaubt man den großen Medien am Tag danach, ist es unentschieden ausgegangen. Man ist also nicht schlauer als vorher.

Und das, obwohl sich der allgemein als charismafern eingestufte Scholz stark anstrengte, einen Rollentausch zu inszenieren. Als hätte er eine Art Lebendigkeitsspritze erhalten, gab er den tendenziell aggressiven Herausforderer des Umfragemeisters Merz, der süffisant lächelnd so auftrat, als sei er der in sich ruhende Kanzler. Wäre der Gesichtsausdruck von Scholz ein Emoji, dann wäre es das Trauer-Smiley mit den heruntergezogenen Mundwinkeln. Unvorteilhaft für Scholz war auch der merkwürdige Regieeinfall, die beiden Kontrahenten an Pulten direkt nebeneinander zu platzieren, was im Split Screen bei Scholz, der fast einen Kopf kleiner als Merz ist, so wirkte, als sei er drei Meter hinter diesem aufgestellt, wie eine Kollegin aus der nd-Redaktion bemerkte. Um Merz anzuschauen, musste er zu ihm aufblicken. Meistens sahen die beiden nach vorn zu Sandra Maischberger und Maybrit Illner, die sitzen durften und selbstbewusst moderierten.

Auch politisch gab sich Scholz Merz-nah, als er sich beim Thema Abschiebung rühmte, er habe die »härtesten Gesetze« durchgesetzt und auch beim Bürgergeld »die härtesten Sanktionen« erlassen. Dass CDU/CSU erstmals bewusst mit der AfD abgestimmt hatten, war ihm weniger Betonung wert. Die FDP dagegen scheint unwichtig geworden zu sein. Für Merz wäre Deutschland ohne diese Partei »ärmer, aber lebensfähig«, worauf Scholz meinte: »Das kann ich nicht besser sagen.«

Von der Klimakatastrophe wurde gar nicht gesprochen, von der Mietpreisexplosion kaum: Scholz will die – untaugliche – Mietpreisbremse beibehalten. Den von seiner Partei noch nicht vollends aufgebenen Anspruch auf soziale Gerechtigkeit wagte er nur in Verbindung mit dem Aufrüstungsprogramm zu artikulieren. Um nach dem Auslaufen des Sonderfonds ab 2028 Militärausgaben in Höhe von mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu gewährleisten, bedürfe es der »Reform der Schuldenbremse«, führte Scholz aus, denn sonst müsste das Geld »bei Rente, Gesundheit, Straße, Bahn, Pflege geholt werden«. Merz setzt einfach auf mehr Wirtschaftswachstum, kann sich aber eine Schwächung der Schuldenbremse durchaus vorstellen – aha. Lustig war sein Vorwurf, die Bundesregierung habe auf Druck der Grünen die letzten drei Atomkraftwerke abgeschaltet, obwohl sie tipptopp gelaufen seien, woraufhin Scholz ihm mathematisch entgegnete, das habe doch »nur 0,00002 Prozent mit der wirtschaftlichen Entwicklung«, zu tun.

Spurenelemente eines sozialdemokratischen Programms waren in Scholz’ vagem Vorhaben, die reichsten Einkommen mit zwei Prozent mehr besteuern zu wollen, erkennbar, was Merz so verstehen wollte, als entspräche das einer Anhebung des Spitzensteuersatzes auf 60 Prozent (derzeit beträgt er 42 Prozent). Abgesehen von diesen Rechenkunststückchen konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren, als würden sich hier zwei künftige Großkoalitionäre schon ganz gut verstehen, auch wenn einer von ihnen dann wahrscheinlich nicht mehr mitmachen darf. Kleiner Mann, was dann?

Die Kandidaten in der Einzelwertung: Körperspannung: Merz bewegungsarm und leicht gebückt am zu niedrigen Pult. Scholz mit Zeigefingergesten, latent tänzelnd zwischen Disco und Boxring. Staatsmännigkeit/Getragenheit: bei beiden hoch. Unfallfreier Vortrag: Leichter Vorteil für Merz, weil Scholz »etwas zu überschießend« war, wie Markus Söder im Anschluss urteilte. Wichtigste Sätze: »Herr Scholz, Herr Scholz...« (Merz), »Uns fehlt vorne und hinten das Geld« (Scholz).

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