Im Kern geht es um Verteilung
Abgeordnete aus drei Parteien wollen die Tür für Rot-Rot-Grün offen halten
Mit welchem Ziel geht die SPD in den Bundestagswahlkampf? Das ist offenbar umstritten. Laut einem »Bild«-Bericht soll Parteichef Sigmar Gabriel intern darauf gedrängt haben, sich jeglicher Koalitionsaussage zu enthalten. Andere Kräfte in der Partei setzen dagegen auf eine Fortsetzung der »Großen Koalition«, die in Umfragen die größte Mehrheit erhält - aber bei Berücksichtigung der Nichtwähler alles andere als groß zu nennen wäre. Abgesehen davon, welchen Beitrag der Eintritt in dieses Bündnis für die Umfragewerte der SPD gespielt hat.
Wie »Bild« nun berichtet, spielen einige SPD-Politiker mit dem Gedanken, sich für eine Neuauflage des Bündnisses mit Angela Merkels Union auszusprechen - und dann, so das Blatt, zu »versuchen, CDU/CSU im Wahlkampf zu überholen - um am Ende den Kanzler zu stellen«.
Im Internet ist die Meldung am Donnerstag als verfrühter Aprilscherz bewertet worden. Doch einige in der SPD meinen es offenbar ernst. Ein als führend bezeichnetes, anonymes SPD-Mitglied wird mit den Worten zitiert: »Das wäre glaubwürdiger als jede andere Konstellation. Ohne Machtperspektive wird der Wahlkampf noch schwieriger.«
Derzeit hat die SPD je nach Institut 12 bis 16 Prozent Rückstand hinter der Union. Die SPD-Politikerin Andrea Nahles hatte ungeachtet dessen unlängst erklärt, »Merkel hat ihren Nimbus der Unbesiegbarkeit inzwischen verloren«. Für die SPD heiße das, so die Arbeitsministerin, »wir können nächstes Jahr selbstbewusst in den Wahlkampf ziehen«. SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel sagte jetzt, die SPD habe »mit klarem Profil bei sozialer Gerechtigkeit auch gegen die Union« eine Chance auf einen Wahlsieg.
Bleibt die Frage, was ein klares Profil ist. Die Debatte über den Kurs der SPD erhält neue Nahrung dadurch, dass Abgeordnete vom linken Flügel mit Politikern aus Linkspartei und Grünen die Tür für eine Zusammenarbeit der drei Parteien offenhalten wollen - und dies mit einer Abgrenzung von Gabriels Kurs verbinden.
Mit Blick auf Äußerungen auch des SPD-Chefs kritisieren 18 Unterzeichner, »dass die Diskussion in Deutschland über die Aufnahme sowie die Integration von Geflüchteten auch zu einer Sozialneiddebatte geworden ist«. Man strebe ein Solidarprojekt nicht deshalb an, weil die Rechtsaußen-Partei AfD bei Landtagswahlen erfolgreich ist, »sondern weil alle hier lebenden Menschen nicht erst mit der Wahl der AfD ein Recht auf soziale Gerechtigkeit und Teilhabe haben«. Die Integration von Flüchtlingen stehe »gerade nicht im Gegensatz zur sozialen Frage, die sich nicht erst seit gestern in diesem Land und in Europa stellt. Die soziale Frage ist eine Frage der globalen Gerechtigkeit.«
Das Papier unter der Überschrift »Neue Solidarität und mehr Investitionen in die Zukunft« ist unter anderem von den SPD-Abgeordneten Sönke Rix und Frank Schwabe, den Linkspartei-Abgeordneten Stefan Liebich und Halina Wawzyniak sowie von den Grünen Agnieszka Brugger und Sven-Christian Kindler unterzeichnet worden.
Der Kreis versucht - wie andere Netzwerke auch - seit Jahren, die Debatte über einen Politikwechsel und die dafür nötigen parlamentarischen Mehrheiten voranzutreiben. »Es geht uns um eine soziale, vielfältige und ökologische Gesellschaft ohne Re-Nationalisierung, Chauvinismen und hoffähige rassistische Kommunikation und Gewalt«, heißt es nun unter dem Eindruck des Aufstiegs der AfD und der Debatte über die Aufnahme von Geflüchteten.
Für ein Solidarprojekt, das allen zugute komme, sei es aber unerlässlich, über »die Frage von öffentlicher Daseinsvorsorge und kommunaler Ausstattung im Interesse der Menschen« zu reden. Es geht um Geld: »Die Verteilungsfrage ist dabei der Kern.« Nur wenn die notwendigen Mittel und der politische Wille, »das heißt die politischen Mehrheitsverhältnisse zur Verfügung stehen, ist ein solches Projekt auch realistisch«. Ein Solidarprojekt für alle komme eben »nicht von allein«.
Also einfach auf Rot-Rot-Grün umschalten? So einfach machen es sich die Unterzeichner natürlich nicht. Die Debatten über diese Bündnisoption haben eine ebenso lange Geschichte wie sie immer mit kontroversen Punkten behaftet war - etwa in Fragen der Außenpolitik. In den letzten Monaten hatte es angesichts der Wahlergebnisse und Umfragewerte auch rein rechnerisch meistens nicht mehr zu Rot-Rot-Grün gereicht.
Der Sprecher des linksreformerischen Forums Demokratischer Sozialismus, Dominic Heilig, sagte gegenüber »nd«, jetzt die »über eine rein rechnerische Frage hinausweisende politische Option« Rot-Rot-Grün bereits »für tot zu erklären hieße, die Gesellschaft nach rechts verloren zu geben«. In seiner Linkspartei wird die Frage, ob ein Bündnis mit SPD und Grünen als Bollwerk gegen einen Rechtsruck taugen könnte, kontrovers debattiert. Vor allem auf dem sich links verortenden Flügel wird darauf verwiesen, dass es nicht zuletzt die Politik der SPD gewesen sei, die die soziale Spaltung vertieft habe - und so auch am Fundament für den Rechtsruck mitgegossen habe.
Heilig sieht trotz der AfD-Erfolge »noch immer eine Mehrheit für soziale Gerechtigkeit und solidarische Umverteilung«. So steht es auch im Papier - das zugleich anerkennt, »dass solidarische Antworten auf drängende soziale Fragen« bisher nicht mehrheitsfähig durchsetzbar waren. Wie solche Antworten aussehen? »Es ist gelungen, zehn ganz konkrete Inhalte zu definieren, die eben nur gegen die Union durchsetzbar sind«, sagt Heilig. Der Appell sei »mehr als ein Festhalten an einer vielleicht zurzeit nicht mehrheitsfähigen Mitte-Links-Konstellation«.
Dazu gehören Maßnahmen zur Umverteilung von Oben nach Unten, um die Armut einzudämmen. »Die Kapitalbesteuerung ist zu gering, beim Spitzensteuersatz besteht Luft nach oben«, heißt es dazu in dem Papier. Eine finanziell durch Umverteilung besser ausgestattete öffentliche Hand solle dann die Spielräume nutzen, um die Investitionen in Familie, Infrastruktur und Bildung »massiv« zu erhöhen. Die Unterzeichner wollen zudem, »dass Arbeit geregelt und auskömmlich finanziert wird«. Für gering Qualifizierte soll es »einen öffentlich geförderten sozialen Arbeitsmarkt zur Realisierung wichtiger gesellschaftlicher Aufgaben« geben. Auch wird die Forderung nach einem Rentenniveau aufgestellt, »das Altersarmut verhindert« - dazu sei »eine große Rentenreform« nötig, »die auch eine vollständige Ost- West-Angleichung einschließt«.
Einen Kurswechsel wollen die Unterzeichner auch bei der Krankenversicherung erreichen: »Die Frage der Gesundheit darf nicht, wie es heute ist, vom Einkommen und Vermögen abhängig sein.« Für ein »Mehr an internationaler Solidarität« soll es »eine deutliche Erhöhung der Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit und die Humanitäre Hilfe« geben. »Waffenexporte sehen wir grundsätzlich kritisch. Die soziale und wirtschaftliche Dimension der Menschenrechte ist ein Schlüssel zur Verhinderung weiterer Flüchtlingskrisen«, heißt es weiter in dem Papier: »Es müssen endlich die Fluchtursachen wirksam bekämpft werden.«
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.