Rotkäppchen macht sich fein
1846 wurde in Zörbig eine »Kinderbewahranstalt« gegründet - nun feiert man das Jubiläum
Zörbig. Im Garderobenraum herrscht fröhliches Treiben. Kleine Jacken und Schuhe werden ausgezogen und an Haken gehängt. In Strumpfhosen geht es an die Mittagstische. Kasimir, Laura und die anderen Knirpse im Kindergarten »Rotkäppchen« in Zörbig freuen sich. Es gibt Blumenkohlsuppe, irgendwo wird ein Lied gesungen. Die gemeinsamen Mahlzeiten sind kleine Höhepunkte. Ein viel größerer steht der Einrichtung in der ältesten Stadt im Landkreis Anhalt-Bitterfeld (Sachsen-Anhalt) bevor: ihr 170. Geburtstag. Damit ist die Kita deutschlandweit die älteste, die durchgängig als solche betrieben wird. Das Gebäude selbst schafft es auf 160 Jahre.
Das Jubiläum wird längst vorbereitet. Am 27. Mai seien Festakt, Umzug und Kindermodenschau geplant, sagt Kita-Leiterin Heike Stenschke. Am 6. August 1846 wurde die Einrichtung als »Kinderbewahranstalt« gegründet. Gefeiert werde aber schon im Mai, weil im August Urlaubszeit ist.
Auf einer Wand in der Kita steht mit roter Schrift »170. Geburtstag«. Fotos zeigen Kinder in historischer Kleidung. Große Schleifen im Haar sind zu sehen oder Matrosenkragen. Warum das alles? Stenschke erklärt: »Es gibt am 27. Mai eine Modenschau auf dem Zörbiger Schloss. Die Kinder schlüpfen in Kleidung von damals, um den Wandel der Zeit zu zeigen. Die Bilder dienen als Eltern-Info.«
Die Kita-Leiterin erzählt, einige der zwölf Erzieherinnen nähten schon Kleider für die Schau, die vier Epochen zeigen soll. Auch die Stadt Zörbig sei bei den Vorbereitungen dabei - schließlich strahlt die Besonderheit des Kindergartens auch auf die Kommune. Derzeit werden 83 Kindergarten- und Krippenkinder betreut. Insgesamt gibt es in Zörbig und seinen Ortsteilen - hier leben gut 3000 Menschen - neun Kitas. Neben dem Gründungsjubiläum wird auch jener Tag vor 20 Jahren gefeiert, an dem die Johanniter die Trägerschaft für das alte »Rotkäppchen« übernahmen. Und noch eine Besonderheit gibt es: Am 31. Mai 2000 wurde eine Tafel des »Frauenorte«-Projekts am Gebäude angebracht. »Weil hier durchgängig Frauen im Kollektiv gearbeitet haben«, sagt Stenschke.
In ihrem Büro steht eine Art Chronik. Es sind drei rote Ordner, die aber erst mit dem Jahr 1996 beginnen. Alte Fotografien gibt es zwar kaum, jedoch wurde jeder kleine Zeitungsschnipsel aus zwei Jahrzehnten aufgehoben. In Folien sind Briefe von Altkanzler Helmut Kohl oder der damaligen Familienministerin Ursula von der Leyen (beide CDU) zu sehen. Bundespräsident Horst Köhler und seine Frau kamen 2006 als Gratulanten zum 160. Geburtstag der Kita. Um mehr über die Geschichte der Kinder-Einrichtung zu erfahren, lohnt ein Besuch im Heimatmuseum auf dem Schloss. Die ehrenamtliche Leiterin Brigitta Weber ging zwar nicht selbst in den altehrwürdigen Kindergarten, aber ihre Tochter. »Der bekannte Pädagoge Friedrich Fröbel war am Tag der Gründung da«, sagt sie. »Weil er mit dem Pastor in Quetz befreundet war.« Er habe Tipps gegeben, wie man Kinder angemessen beschäftigt, sagt die Historikerin im Ruhestand. »Alles begann in den Räumen eines Schneidermeisters, dann wurde 1856 ein eigenes Haus gebaut.« Dort ist die Kita noch heute untergebracht.
Auf einem schwarz-weißen Foto ist noch ein Schriftzug zu sehen. »Hellers Stiftung« stand dran, benannt nach einem Arzt und dessen Frau. »Das Haus wurde nur für die Kinder gebaut«, sagt Weber. »Das war Verpflichtung und Notwendigkeit, weil Frauen immer öfter dem Broterwerb außer Haus nachgehen mussten.«
Für die Modenschau ist Weber im Museumsfundus fündig geworden. Der kleine Matrosenanzug und die Kleider mit Spitze müssten aber noch gewaschen und gestärkt werden. So wie damals. dpa/nd
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