Papst wollte er werden

Josef Lenden passt in keine Schublade. Politik für die Menschen wollte er machen und landete bei der Schill-Partei. Am Ende nahm er einen Flüchtling bei sich auf. Von Henry-Martin Klemt

  • Henry-Martin Klemt
  • Lesedauer: 7 Min.

Was für eine Parade. Eigentlich wollen wir zum Bierwagen. Altberesinchen, der historische Kern von Frankfurt (Oder), feiert sein Fest. Zeit, ein Glas zu trinken. Aber alle paar Schritte müssen wir stehen bleiben. »Danke, Josef, dass du mit aufs Amt gekommen bist.«, »Mensch, Josef, wenn Du nicht mit dem Vermieter geredet hättest.« Der Überschwang irritiert mich. Josef winkt ab, ein bisschen beschämt, ein bisschen jovial. Aber seine Augen leuchten. Dann haben wir endlich den Bierwagen erreicht. Prost Jupp, sage ich. Prost Josef, sagte die Frau, die das Bier zapft.

Josef Lenden ist Stadtverordneter der Bürgerinitiative Stadtumbau. Mit zwei Dutzend Gleichgesinnten holte er ein Mandat. Schwerpunkt war die Abrissplanung. Josef Lenden ging es nicht um die Betonfassaden: »Zwischen den Trümmern leben die Menschen«, sagt er. Manchmal, wenn jemand vor ihm steht, stellt er sich vor, wie dessen Gesicht einmal aussah. Bevor die Armut drüber fuhr. Der Suff. Der Kapitalismus. In den warmen Monaten macht er seine Bürgersprechstunde an einem Einkaufszentrum. Hierher kommen Leute, die noch einen Dederonbeutel haben. Denen die Decke auf den Kopf fällt. In der kalten Zeit lädt Lenden in ein Büro ein im Kiez, da haben’s die Leute auch nicht weit. Politik ist für ihn, wenn eine Wohnung nicht geräumt wird, wenn einer nicht auf seinen Schulden sitzen bleibt. Wenn das Amt dem Bürger zuhören muss.

Lenden ist Rechtsextremist, heißt es in linken Gesprächsrunden und autonomen Blogs. Stimmt das, frage ich ihn. »Knalltüten«, sagt Josef Lenden. »Ich habe meine Meinung gesagt. Auch in der Schill-Partei und in der Deutschen Partei. Die wollten sie nicht hören. Da bin ich abgehauen.« Aber warum ist er reingegangen? »Politik darf den Einzelnen nicht aus dem Blick verlieren. Ich hatte gehofft, bei denen wäre das so.« Früher hatte ihn Politik gar nicht so interessiert. Verglichen mit Billard zum Beispiel. Mit Billard holt man die Jugend von der Straße. Ein Meister der Queues, das ist schon was.

Als Lenden in den Osten kam, stach ihm die Ungerechtigkeit ins Auge. In den Plattensiedlungen wucherte Resignation. Jedes dritte Kind in Frankfurt wächst in Armut auf. Und das Establishment schaut zu, dachte Josef Lenden. Schill kam ihm vor, wie ein neuer Stern am Politiker-Himmel. Da ging er zum ersten Mal in eine Partei und wurde, es war ja ein kleiner Verein, gleich Kreisvorsitzender. Es war ein schlimmer Verein. Als Josef Lenden es merkte, haute er ab. Aufgeben wollte er nicht. Die Deutsche Partei war auch ein kleiner Verein. Zur Vaterlandsliebe gehört, dass die Menschen einander ordentlich behandeln. Dass auch die kleinen Leute anständig leben können, dass es Kultur gibt und Sport und dass die Nachbarn hinsehen, wie dem Nachbarn zumute ist. Aber darum ging es wieder nicht. Am Ende waren Freundschaften kaputt und Tischtücher zerschnitten. Dafür gab es jede Menge blöde Sprüche. »Die gucken sich den Menschen gar nicht an, über den sie reden«, stellte Josef Lenden fest. »Die Hand würd’ ich denen nicht geben. Aber als Sanitäter würde ich ihnen sofort helfen.«

Irgendwann kam Jakub. Kein Frankfurter. Und schwarz. Jemand hatte ihn im Flüchtlingsheim übel zugerichtet. »Die Politiker diskutierten. Ihre Lösung war eine Matratze im Gemeindehaus. Das fand ich armselig.« Er nahm den 40-Jährigen mit nach Hause und schleppte ihn ein halbes Jahr lang durch. Seinen Kritikern polterte er entgegen: »Euch werde ich noch alle links überholen.« Ein Herzinfarkt und ein Schlaganfall kamen ihm in die Quere.

Wenn die Nazis aufmarschieren, steht Josef bei den Gegendemonstranten. Vuvuzelas um sich herum und Trillerpfeifen. Auf der anderen Seite, hinter der Polizeikette, stehen auch Bekannte von ihm. Josef Lenden kann den Hass nicht verstehen, der sich ausbrüllt. »Ich werd ein paar Gespräche führen müssen.« Nicht nur gegen Nazis geht er auf die Straße. Auch gegen Sozial- und Kulturabbau, für die Kreisfreiheit der Stadt. Dann kann er mit anderen Kommunal- und Landespolitikern reden. Josef zwischen allen Stühlen. »Das halt ich schon aus«, brummt er.

Geboren wurde Lenden 1951 in Düsseldorf. Näherin war die Mutter, der Stiefvater bei Mannesmann. Beide katholisch, er also auch. Den leiblichen Vater hat er nie gesucht. »Ich hatte doch einen.« Jedenfalls nach den ersten zwei Jahren im Kinderheim. Die Großeltern wohnten im gleichen Haus. Mit Opa konnte er reden, schmökern, Geschichten hören von Pommern und vom großen Treck. Im Kindergarten führten Nonnen das Regiment. Sie waren gut zu ihm. »Mit sechs Jahren wollte ich Papst werden.« Obwohl er Probleme hatte mit dem allmächtigen Gott. Sein Pfarrer sagte: »Zweifel sind gut.« Die Kirche war ein Ort des Friedens, der Geborgenheit und des Behütetseins. »Ich wär auch ins Kloster gegangen.«

Das Eisenbahndepot auf der anderen Seite der Straße faszinierte den Jungen. Die Pistole des Vaters nicht. Sechs Jahre war der bei der Fremdenlegion. Zwei Jahre gefangen in Vietnam. Litt an Malaria und prahlte mit den gemeuchelten »Schlitzaugen«. Dabei kamen seine besten Kumpels aus China. Mit acht ging Josef Lenden in den Chor. Zweiter Bass, manchmal Solo. In Händels Musik findet er Ruhe. Den Messias kann er noch mitsingen. Bei den Pfadfindern lernte er Anstand und Ordnung und Disziplin und Respekt. Mit zwölf sah er »Die Brücke« und war schockiert, wie sich junge Menschen in den Fanatismus treiben ließen. »Ich dachte: Hoffentlich erlebst du solche Scheiße nie und auch kein anderer Mensch.«

Nach der achten Klasse wurde er Maler und Tapezierer, besuchte die Meisterschule. Kurz vor der Prüfung rächte sich eine Farbvergiftung. Das Benzol hatte den Körper ruiniert. Anderthalb Jahre verbrachte Josef Lenden im Krankenhaus. Die Kündigung wurde ihm dorthin geschickt. Aus der Traum vom farbtechnischen Berater in der Industrie. Umschulung zum Bürokaufmann. Jahre auf Achse bei Messen und Ausstellungen für eine Einkaufsgenossenschaft. Dann der nächste Absturz. Die Nieren angegriffen, der rechte Arm steif und das Knie. Krankenhaus. Kündigung.

Im Schauspielhaus wurde er Mädchen für alles. Traf Rolf Boysen, Otto Sander, Peter Fricke und Eva Pflug. Mit dem Queue hat er den Kampf um sein Leben ausgefochten, die Steifheit im Arm und im Knie besiegt. Er spielte im Poolbillardclub Lange Bande in Mönchengladbach, holte Jugendliche von der Straße, kümmerte sich um das Heim des Vereins und wurde Vorsitzender. Ein paar Schützlinge brachten es bis zur Deutschen Jugendmeisterschaft, die Mannschaft bis in die Bundesliga. Er selbst blieb Bezirksklasse. Ende der 80er Jahre eine große Nierenoperation. Anfang der 90er Entfernung eines Gehirntumors. Seitdem ist das Blickfeld eingeschränkt: »Billard erledigt.«

Inzwischen hatte das Jugendamt ihm ein Mädchen in Pflege gegeben. Lydia, die ihn besuchte. Eines Tages mit Koffer. Fünf Jahre lebte sie bei ihm. Als sie eine junge Dame war, zog ein junger Mann nebenan ein. Die beiden wurden ein Paar. Dann kam die Mutter des Nachbarn zu Besuch. Mit 46 Jahren erwischte Josef Lenden die große Liebe. Und beim Urlaub in Frankfurt (Oder) der erste Herzinfarkt. Da ließ seine Freundin ihn nicht mehr weg, außer zur Haushaltsauflösung im Westen. Josef, der Rentner.

Als bei einem Unfall ein Freund vom DRK umkommt, geht Josef Lenden zum Katastrophenschutz, macht die Sanitäterausbildung und steht nun fest im Dienstplan. Manchmal muss eben ein Alter einen Jungen ersetzen. Als die Fanfarengarde jemanden sucht, der sich um Spenden und Öffentlichkeitsarbeit kümmert, meldet er sich. »Ich will nicht, dass die Jugend stirbt unter den Fußtritten der Gleichgültigkeit.« Im Rathaus arbeitet er mit dem FDP-Mann das Pensum einer Fraktion ab. »Als Politiker bin ich Sozialarbeiter.«

Seinen Gott trägt Josef Lenden tief im Herzen. In die Kirche geht er manchmal, wenn kein Gottesdienst ist. Er betet nicht, er öffnet seine Gedanken, sucht die Verbindung mit der großen Natur.

Jeden Tag zwischen drei und fünf ist er wach. Dann schreibt er bei Facebook, was er heute tun wird. »Wenn du morgens in den Spiegel schaust und nicht lächelst, wirst du es den ganzen Tag nicht tun.«

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