Damit wir den »Bern« fühlen können
Revolution der sozialen Gerechtigkeit? Nur mit einer Revolutionierung der Partei! Lucy Redler und Claus Ludwig über die Impulse des Strategiepapiers der Linkspartei-Vorsitzenden
Katja Kipping und Bernd Riexinger wollen die »Revolution der sozialen Gerechtigkeit«. Das ist gut. Auch gut ist, dass sie dem Rot-Rot-Grün-Märchen eine Absage erteilen und feststellen, dass es »kein linkes Lager der Parteien« gibt. In ihren »Vorschlägen für eine offensive Strategie der LINKEN« werfen die beiden Parteivorsitzenden die Frage auf, wie ein »gesellschaftliches Lager der Solidarität«, ein »Bollwerk gegen Rechtspopulismus und Neoliberalismus« erreicht werden kann und geben wichtige Impulse für eine notwendige Veränderung der Partei.
Sie wollen die EU einer »radikalen Kritik« unterziehen und schreiben, dass der »Kampf gegen rechts« immer auch bedeute, »den sozialen Nährboden für rechte Politik auszutrocknen«. Gut ist, dass sie nicht »die soziale Frage« und den antirassistischen Kampf gegeneinander stellen, sondern beides miteinander verbinden. Ohne klassenbasierte, soziale Forderungen wird es nicht gelingen, Rechtspopulismus und Faschismus die Basis zu entziehen. Dies muss allerdings ergänzt werden durch eine bewusste antirassistische Positionierung, einen »offensiven Kulturkampf von links«, wie es die beiden formulieren.
Kipping und Riexinger scheinen beeindruckt von der Sanders-Kampagne in den USA und seinem Slogan der »politischen Revolution«. Da sind wir ganz bei ihnen. Die RepräsentantInnen der LINKEN hierzulande können eine Menge von Bernie Sanders lernen. In den Videos von seinen Wahlkampf-Auftritten wird deutlich, dass er nicht den Eindruck erwecken will, zum bürgerlichen Politik-Betrieb zu gehören, wie es leider viele LINKE-PolitikerInnen tun. In seinen Reden macht im Gegenteil die Klassenlinien sichtbar und geht das Establishment hart an. Er betont, dass Bewegung von unten nötig ist Mehr »Bernie« täte jedem Auftritt von LINKEN im TV gut.
Aus dem Papier geht hervor, dass die Parteivorsitzenden die Notwendigkeit sehen, die LINKE als Anti-Establishment-Kraft darzustellen, sich deutlich von den bürgerlichen Parteien abzugrenzen und auf die Verankerung in sozialen Kämpfen zu setzen. Wir unterstützen diesen Vorstoß.
Allerdings ziehen Bernd und Katja nicht alle notwendigen Schlussfolgerungen aus den von ihnen selbst formulierten Ideen. Beim Lesen beschlich uns das Gefühl, dass »die Revolution« streckenweise nur wie ein Slogan ohne große inhaltliche Unterfütterung benutzt wird. Die positiven Bezüge auf Sanders, Corbyn, Podemos und »Nuit Debout« wirken an manchen Stellen, als wollen die Beiden vorschlagen, die LINKE solle an deren Dynamik anknüpfen, ohne die notwendigen programmatischen und strategischen Diskussionen zu führen.
Es gibt kein linkes Lager
Die Partei wird nicht den »Bern« fühlen, wird nicht als unverbrauchte Anti-Establishment-Kraft agieren können, wenn sie nicht ihre eigenen alten Probleme angeht und ihre inneren Widersprüche löst – denn diese verhindern, dass DIE LINKE den Weg, den das Strategiepapier zeichnet auch einschlägt. Es ist gut, mit der Legende vom linken Parteienlager aus LINKE, SPD und Grünen aufzuräumen und die Orientierung auf das Mitregieren im Bund aufzugeben. Aber das wird nicht funktionieren, wenn man zur von der LINKEN geführten Landesregierung in Thüringen , zur Regierungsbeteiligung in Brandenburg und der geplanten Koalitionsbildung in Berlin schweigt. Wenn die Rot-rot-grüne Regierung in Thüringen abschieben lässt oder wenn Bodo Ramelow AntifaschistInnen verbal angreift, wenn Landesregierungen mit LINKE-Beteiligung sich nicht grundsätzlich von ihren Vorgängerregierungen unterscheiden, dann sind solche Regierungen kein Fels in der Brandung, sondern ein Klotz am Bein der Partei.
Keine Klärung ohne Kontroversen
Es wird nicht gelingen, DIE LINKE als kämpfende, »revolutionäre« Kraft darzustellen, eine »neue Kultur der Selbstermächtigung und Beteiligung durch Organisierung an der Basis« zu schaffen, ohne kontroverse Debatten offen zu führen, den Konflikt mit dem auf Regierungsbeteiligungen und »Realpolitik« orientierten Flügel einzugehen und für klar antikapitalistische Mehrheitsverhältnisse zu kämpfen. Ohne solche haben wir am Ende nicht einmal eine Reform der Partei, geschweige denn die Revolution.
Die Partei muss sich ändern, nicht hier und da ein bisschen, sondern in ihrem ganzen Auftreten, ihrer Schwerpunktsetzung, ihrer inneren Verfasstheit – sie braucht nicht weniger als eine Revolutionierung. So lange bei Parteitagen ein Großteil der Delegierten Mandatsträger, MitarbeiterInnen und Vorstandsmitglieder sind, hilft das Beschwören von mehr Bewegungsorientierung und Selbstorganisation in Strategiepapieren nur wenig. So lange in Thüringen abgeschoben wird, ist die Forderung nach einem »gesellschaftlichen Lager der Solidarität« von innen hohl.
Bernd und Katja haben unsere Unterstützung, wenn sie die Notwendigkeit einer stärkeren Verankerung der LINKEN in sozialen Bewegungen fordern. Es reicht aber nicht, das von oben zu fordern. Es erfordert politische Veränderung: ein Weg vom Primat der Parlamentsarbeit und eine Zuwendung zu den sozialen Bewegungen, kämpfenden Belegschaften und der Straßen- und Nachbarschaftsarbeit in einfachen Arbeitervierteln. Die Realität ist eine andere. Die Politik wird auf allen Ebenen mehr durch die Parlamentsfraktionen als durch die Parteigremien gemacht. Die Partei verkommt zu oft zur Zuarbeiterin für Parlamentsarbeit und wird in dieser aufgesogen. Dabei müsste es umgekehrt sein: die MandatsträgerInnen mit ihren personellen und finanziellen Ressourcen sollten ihre Tätigkeit in den Dienst sozialer Bewegungen und Kämpfe und des Parteiaufbaus stellen.
Die Vorschläge der Vorsitzenden zur politischen Ausrichtung der antifaschistischen Arbeit sind wertvoll. Zur Realität gehört allerdings auch, dass in vielen Orten, gewiss nicht in allen, die LINKE nur sehr schwach präsent ist in der antifaschistischen Arbeit, zum Teil nur auf Großdemonstrationen, aber im Alltag und bei vielen kleineren, kämpferischen Aktionen wie Blockaden nicht zu sehen ist und demnach auch für die vielen Jugendlichen, die sich dabei engagieren, keine Rolle spielt.
DIE LINKE muss ihre Verbindungen zu Establishment und bürgerlichen Parteien bewusst und erkennbar kappen, um an Glaubwürdigkeit und Handlungsfreiheit zu gewinnen, um die von den beiden eingeforderte Radikalität zu ermöglichen. Sie muss als eindeutig oppositionelle, kämpferische, sozialistische, klassenbasierte Kraft erkennbar sein. Das führt nicht automatisch zu der neuen Art der Verankerung, welche die Parteivorsitzenden ansprechen – es ist aber eine Voraussetzung dafür.
Das ist keine Frage der Reihenfolge. Die Partei muss nicht erst alles intern klären, bevor sie mit frischem Schwung nach draußen kann. Beide Prozesse können und müssen gleichzeitig laufen. Jeder Schritt zur Umsetzung ihrer Vorschläge wird der Partei guttun. Aber es wäre ein Illusion zu glauben, man könne die Revolution tanzen, ohne sich über die Schritte zu verständigen.
By the way, wird auch Bernie Sanders nicht ewig den »Bern« fühlen. So radikal er auftritt, ist er politisch-programmatisch recht begrenzt, fordert lediglich sozialstaatliche Reformen zur Zähmung des Kapitalismus. Seine zentrale Schwäche ist jedoch die Fixierung auf das Zwei-Parteien-System und seine bis zum heutigen Tag vertretene Position, nicht unabhängig antreten zu wollen. Wenn er dies wahr macht, dann wäre seine »Revolution« spätestens beim Konvent der Demokraten vorbei. Wenn er die Wall-Street-Kandidatin Clinton unterstützt, wird das viele seine Anhänger*innen in Enttäuschung und Passivität treiben. Der Aufbau einer unabhängigen Klassenpartei der Lohnabhängigen würde verzögert. Auch die Linke in den USA wird nicht lang auf der Welle der Revolutions-Parole schwimmen können, sondern muss ernsthafte strategische und programmatische Debatten über Bernie Sanders hinaus führen.
Noch zu vage
Diese Debatten stehen auch nach dem Papier von Bernd Riexinger und Katja Kipping an, welches wichtige Fragen aufwirft, aber an vielen Stellen etwas vage bleibt.
Die Absage an Rot-Rot-Grün ist prima, aber die beiden lassen sich unnötigerweise eine Hintertür offen: »Wir sind keineswegs bereit, SPD und Grüne aus der Verantwortung zu entlassen, gemeinsam für soziale Gerechtigkeit und mehr Demokratie zu sorgen.« Doch dieses »gemeinsam« wird es nicht mehr geben. Die Sozialdemokratie hat sich an sämtlichen Weichenstellungen entschieden, dass kapitalistische System zu verteidigen. Sie macht sich tendenziell selbst überflüssig. In Griechenland und Irland ist dieser Prozess fast schon abgeschlossen, selbst im imperialistischen Gewinnerland Deutschland ohne akute ökonomische Krise schreitet die Selbstzerstörung der SPD schnell voran. Eine neue Linke wird auf den Trümmern der Sozialdemokratie aufgebaut, diese Erkenntnis würde bei der strategischen Ausrichtung der Partei helfen.
Eine Schwäche des Papiers ist die Verwendung des Kernbegriffs Revolution selbst. Die AutorInnen machen zwar deutlich, dass sie eigentlich wissen, was eine echte Revolution wäre: »Wir sind uns bewusst, was soziale Revolution bedeutet: radikale Umwälzung der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse und aller gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen Menschen ausgebeutet, erniedrigt und unterdrückt werden.«
Aber eine solche steht ihrer Meinung nach nicht auf der Tagesordnung. Stattdessen soll der »neoliberalen Revolution von oben« eine »Revolution der Gerechtigkeit« entgegengesetzt werden. Das erweckt den Eindruck, als ob im Rahmen der kapitalistischen Macht- und Eigentumsverhältnisse eine grundlegende, »revolutionäre« Überwindung der sozialen Ungerechtigkeiten möglich wäre. Genau das würde aber die Überwindung des Kapitalismus selbst zur Voraussetzung haben. Bewegungen und Widerstand können im krisengeschüttelten Kapitalismus des 21. Jahrhunderts zwar einzelne Erfolge erzielen, aber diese werden immer gefährdet sein und oftmals werden die Herrschenden mit der einen Hand das nehmen, was sie mit der anderen zugestehen mussten. Eine »Revolution der Gerechtigkeit« kann es nur geben, wenn mit den so genannten Sachzwängen der kapitalistischen Logik gebrochen wird. Auch wenn heute keine revolutionäre Situation besteht, muss DIE LINKE eine in dem Sinne revolutionäre Politik machen, dass sie bereit sein muss, die Einhaltung von Profitlogik und Herrschaft der Banken und Konzerne nicht zur Basis ihrer Forderungen und Kämpfe zu machen. Sie muss darüber hinaus gehen und die Alltagskämpfe für soziale Verbesserungen mit einer sozialistischen Perspektive verbinden. Nicht (nur) in Worten, sondern in Taten.
Ein Schritt nach vorne
In ihrem Papier deuten die Vorsitzenden an, dass es nicht um kleine Kurskorrekturen, sondern um einen grundlegenden Wandel der Partei geht. Sie werfen zumindest an einer Stelle die Eigentumsfrage auf und schreiben, dass »bei Wohnen, Bildung Gesundheits- und Energieversorgung (..) Markt und Wettbewerb nichts verloren (haben), sie müssen in öffentlicher und demokratischer Verfügung organisiert werden.«
Die Absage an den Markt bei Bildung und Gesundheit ist nicht neu, aber die Erwähnung der Wohnungsfrage ist wichtig, um die Träume vieler LINKER, private Investoren würden bei entsprechender Förderung günstige Wohnungen bauen, endlich zu beenden und die Partei darauf auszurichten, konsequent für öffentlichen Wohnungsbau zu kämpfen.
An vielen Stellen ist noch nicht klar, WIE es gemacht werden kann, aber DASS es gemacht werden muss, ist eine wichtige Erkenntnis. Bei der Frage der Verankerung in sozialen Milieus beschränken Katja Kipping und Bernd Riexinger die Aufgabe von LINKEN nicht darauf, irgendwie dort zu sein, wie es oft getan wurde, sondern sprechen die Verantwortung an, Prozesse voranzutreiben, Kämpfe anzustoßen und zu politisieren.
Die konkreten Vorschläge – z.B. die Notwendigkeit, vom breiten Sammelsurium von Kampagnen und Forderungen wegzukommen und »ein bis zwei unserer Forderungen gesellschaftlich mehrheitsfähig (zu) machen« sowie die Fokussierung der Anstrengungen auf Teile des öffentliches Sektors sind gute Ansätze, die weiter diskutiert und konkretisiert werden sollten.
Lucy Redler lebt in Berlin und ist Bundessprecherin der Antikapitalistischen Linken (AKL) und Mitglied der Bundesleitung der SAV. Claus Ludwig lebt in Köln und ist Mitglied im Landesrat der LINKEN NRW sowie im Bundesvorstand der SAV.
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