Unsere Norweger in Afrika

Von nd-Leser Werner Schieritz aus Cottbus

  • Lesedauer: 5 Min.

Seit nunmehr 40 Jahren gehören Bjørg und Edmund zu unserem Leben wie wir zu ihrem. Wir nennen sie liebevoll »unsere Norweger«; sprechen sie über uns, reden sie einfach von »guten Freunden«. Allerdings reden wir lieber miteinander anstatt übereinander. Dabei war aller Anfang zwischen uns purer Zufall - zum richtigen Zeitpunkt am rechten Ort gewesen!

Der war in unserem Falle Tabora, ein weitgehend unbekannter Ort im tansanischen Hochland. Dort suchte 1976 ein stattlicher Herr um die 50 einen Deutschlehrer für seine damals zwölfjährige Tochter. Ob wir ihm nicht helfen könnten, fragte er. Wir wären doch Deutsche, und einen Muttersprachler hielte er für die Optimallösung. Über das Geschäftliche würde man sich schon irgendwie einig werden. Im Übrigen wisse er, wovon er rede, denn er sei Lehrer und seit kurzem unterrichte er an der Tabora Boys Highschool.

Was er damals noch nicht wusste war, dass meine Frau ausgebildete Deutschlehrerin ist. Ihre berufliche Neugier war sofort hellwach. Zwar gehörten Norweger zu den Menschen, denen gegenüber man nach realsozialistischer Logik eine gewisse Habacht-Haltung an den Tag legen sollte, aber als Entwicklungshelfer musste man schon etwas weltoffen sein. Also ließen wir alle ideologischen Vorbehalte außen vor, und meine Frau tat, was wir für gut und richtig hielten.

Ab sofort gab sie Ingunn - so hieß die kleine Norwegerin - Deutschunterricht und zwar kostenlos und möglichst als Fach, das Lust macht auf mehr. Schülerin und Lehrkraft waren angetan voneinander, und das Mädchen hat sich Jahre später als junge Frau und Studentin mit einer exquisiten ganztägigen privaten Stadtführung durch Oslo bei ihrer einstigen Deutschlehrerin bedankt.

Es blieb nicht aus, dass sich beide Familien in Tansania auch privat näherkamen. Man versuchte, soviel wie möglich vom Leben des Anderen, bis dahin relativ Fremden, und den Beweggründen seines Hierseins zu erfahren, und man stellte fest, dass keine der beiden Seiten das alleinige »Ei des Kolumbus« für sich gepachtet hatte. Überall gab es Licht und Schatten, und im Grunde genommen lagen bei sachlicher Abwägung die beiderseitigen weltanschaulichen Webmuster gar nicht so weit auseinander. Unser aller Herz schlägt eher links, es ist lediglich ein bisschen Toleranz vonnöten, und man versteht und begreift einander.

Die gemeinsame Zeit in Tabora ging schneller zu Ende, als uns allen lieb war. Unsere endgültige Abreise von dort erfolgte per Bahn, die an diesem Tag volle zwölf Stunden Verspätung hatte. Ohne die Rundumbetreuung durch die Norweger am Bahnhof wären wir ganz schön aufgeschmissen gewesen. Am meisten bewegte uns alle der Fakt, dass wir über lange Zeiten nur noch im brieflichen Kontakt würden sein können. So geschah es auch.

Nachdem auch »unsere Norweger« wieder nach Hause zurückgekehrt waren, packte die übliche europäische Hektik auch bei ihnen wieder ordentlich zu - die Informationen zwischen Norwegen und der DDR »tröpfelten« eher dahin. Sicher, man kannte die wesentlichen Neuigkeiten der anderen Seite und war über deren familiäre Entwicklung, vor allem die der heranwachsenden Kinder, im Bilde.

Mangels Alternative existierten auf norwegischer Seite schon konkretere Planungen für einen Besuch in Cottbus, als uns die Wende überraschte. Man zeigte rege Anteilnahme an den rasanten Veränderungen hierzulande, und vielleicht war das der Grund für eine sofortige Einladung nach Tønsberg.

Konnte ich meinem über zehn Jahre alten Skoda noch eine solche strapaziöse Reise abverlangen oder sollte ich, wie damals viele andere Ostdeutsche, nach einem westlichen Gebrauchtwagen Ausschau halten? Letzteres würde mein Pannenrisiko nicht wesentlich vermindern und deshalb kaufte ich einen der letzten vom Band gerollten Viertakt-Wartburgs. Damit waren wir gut gerüstet, und wir machten uns auf die Reise nach Norwegen.

Das Wiedersehen mit »unseren Norwegern« verlief so, als hätten wir uns erst gestern das letzte Mal getroffen. Es gab keinerlei Fremdelei. Dafür wurde ausgiebig geklönt, immer im Grünen auf drei verschiedenen Terrassen rund um ihr Haus, so dass man unabhängig von der Tageszeit ständig in der Sonne saß. Wer von ihr nicht verwöhnt wird, muss sie zu nutzen wissen!

Wir trafen uns von nun an häufiger. Immer tat der jeweilige Gastgeber sein Bestes, um den Freunden sein Land näher zu bringen. Ich erinnere mich lebhaft daran, dass uns Edmund zur Funktionsweise deutschen Dorflebens regelrecht ausquetschte. Er kannte das so von zu Hause nicht. Ihm war aufgefallen, dass jedes Dorf eine Schule, Gaststätte, Kirche sowie Bäcker, Fleischer und einen Laden hatte. Allerdings beobachtete er dies in den frühen 90ern - heute würde er sich höchstwahrscheinlich hier »heimischer« fühlen.

Die absoluten Highlights unserer Nachwendegemeinsamkeiten waren eine elftägige Hurtigrutentour von Bergen bis Kirkenes und zurück mit anschließender Bahnfahrt nach Oslo sowie eine Busreise mit unserem örtlichen Reiseklub nach Budapest und in die Puszta. Die hatten sich »unsere Norweger« gewünscht, während Norwegens Fjordlandschaften auf unserer Wunschliste standen.

Mittlerweile ist das Reisen für uns altersbedingt beschwerlich geworden. Wir tauschen aber jährlich Wandkalender mit Naturschönheiten vom Freundesland aus und bezeugen damit, dass unsere wunderbare langjährige Freundschaft nur durch eine biologische Lösung irgendwann zu erledigen sein wird.

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