Münster schreddert Küken-Schutz
Oberverwaltungsgericht hält Tötung männlicher Tiere nach der Geburt für zulässig / NRW-Regierung spricht von Niederlage für den Tierschutz / Niedersachsens Landwirtschaftsminister nennt Kükentötung »barbarisches Treiben«
Münster. Das millionenfache Schreddern und Vergasen männlicher Eintagsküken ist mit den derzeitigen Gesetzen nicht zu stoppen: Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster urteilte am Freitag, dass die Tötung männlicher Küken aus Legehuhnrassen nicht gegen das Tierschutzgesetz verstößt. Die Gerichtsentscheidung stieß bei Tierschützern auf Kritik und fachte den politischen Streit um Gesetzesänderungen neu an. (Az. 20 A 488/15 und 20 A 530/15)
Hintergrund der seit geraumer Zeit praktizierten Kükentötung ist, dass die Agrarindustrie für männliche Nachkommen der Legehuhnrassen keine Verwendung hat - sie legen weder Eier noch setzen sie gut Fleisch an. Bundesweit werden nach Angaben von Tierschützern jährlich bis 50 Millionen männliche Küken der Legelinien direkt nach dem Schlüpfen geschreddert oder vergast.
In dem Berufungsverfahren vor dem OVG Münster ging es um die Rechtmäßigkeit eines Erlasses, mit dem das nordrhein-westfälische Agrarministerium im Jahr 2013 die Aufsichtsbehörden zu einem Verbot der Kükentötung angewiesen hatte. Gegen die daraufhin verhängten Verbotsverfügungen gingen betroffene Brütereien gerichtlich vor und hatten nun auch in der zweiten Instanz Erfolg.
Die Aufzucht der ausgebrüteten männlichen Küken aus einer Legehennenrasse sei für die Brütereien mit einem »unverhältnismäßigen Aufwand« verbunden, urteilten die Richter. Würden diese Küken aufgezogen, seien sie von den Brütereien praktisch nicht zu vermarkten. Die Tötung der Küken sei daher »Teil der Verfahren zur Versorgung der Bevölkerung mit Eiern und Fleisch«.
Eine an wirtschaftlichen Aspekten ausgerichtete Gestaltung dieser Verfahren sei für die Brütereien als Erzeuger der Küken unvermeidbar. Hiervon seien auch die für den Tierschutz verantwortlichen staatlichen Stellen über Jahrzehnte hinweg einvernehmlich mit den Brütereien ausgegangen. Die Revision gegen sein Urteil ließ das OVG nicht zu. Gegen diese Entscheidung ist Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht möglich.
Auch eine strafrechtliche Verfolgung der Kükentötung war zuletzt gescheitert. Die bundesweit erste Anklage der Staatsanwaltschaft Münster gegen eine Kükenbrüterei lehnten die Gerichte mit der Begründung ab, eine Strafbarkeit des routinemäßigen Kükentötens sei aus der geltenden Rechtslage nicht abzuleiten.
Bundesagrarminister Christian Schmidt (CSU) hatte sich zuletzt gegen ein Sofort-Verbot der Kükentötung gewandt und sich zugleich zuversichtlich geäußert, dass die umstrittene Praxis noch in diesem Jahr überflüssig gemacht werden könnte. Grund sei ein wissenschaftliches Verfahren, das derzeit getestet werde. Ziel dabei ist, das Geschlecht vor dem Ausbrüten der Eier zu erkennen, so dass männliche Küken erst gar nicht schlüpfen.
Nordrhein-Westfalens Agrarminister Johannes Remmel (Grüne) kritisierte nach dem OVG-Urteil, Schmidt verstecke sich »hinter wohlfeilen, teuren und langwierigen Forschungsvorhaben, die von der Marktreife entfernt sind«. Der CSU-Politiker müsse »endlich die Verfassung ernst nehmen und eine entsprechende Rechtsgrundlage schaffen«. Das Münsteraner Urteil nannte Remmel »eine herbe Niederlage für den Tierschutz«.
Auch die Tierschutz-Stiftung Vier Pfoten kritisierte, das OVG erlaube eine »tierquälerische Praxis«. Zugleich bleibe die Bundesregierung untätig. Der Bundesagrarminister müsse »endlich mit einem gesetzlichen Verbot eingreifen«, forderte die Kampagnenleiterin der Tierschützer, Denise Schmidt. Agenturen/nd
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