Unter den Augen der Sonnengöttin
Weltwirtschaft, Terrorismus, internationale Krisen - die G7-Gruppe sucht auf ihrem Gipfel in Japan Lösungen für viele globale Probleme
Es ist wie immer: Der G-Gipfelort präsentiert sich massiv abgeschottet. Rund 23 000 Polizisten schützen das Treffen führender Industrienationen in der japanischen Ferienregion Ise-Shima. Selbst ein großer Zerstörer ist neben 100 kleineren Schiffen der Küstenwache aufgeboten, um das auf einer Insel gelegene Tagungshotel im Auge zu haben. Und vom nahen Ise-jingu, dem heiligsten aller Schreine der Urreligion Shinto zur Verehrung der Sonnengöttin Amaterasu Omikami, erhofft sich Gastgeber Shinzo Abe nicht nur, dass die Gäste ganz im Sinne seiner nationalistischen Agenda »Japans Seele« erspüren, sondern auch Inspiration für die Lösung der schwierigen globalen Probleme.
Deren Liste sei »länger als jemals zuvor«, so der rechtskonservative Regierungschef. Dabei hat die Lage der Weltwirtschaft angesichts der schwächelnden Konjunktur im eigenen Land für ihn Priorität. Er erhoffe sich eine »klare und starke Botschaft«, dass die G7 bereit seien, »zu einem nachhaltigen und kraftvollen Wachstum« beizutragen. Allerdings haben sich die Kräfteverhältnisse seit Gründung der Gruppe 1975 deutlich verschoben. Nur noch fünf G7-Mitglieder gehören zu den sieben Staaten mit dem größten Bruttoinlandsprodukt: die USA (Rang 1), Japan (3), Deutschland (4), Großbritannien (5) und Frankreich (6). China erbringt inzwischen die weltweit zweitgrößte Wirtschaftsleistung, Indien nimmt Rang sieben ein, noch vor Italien. Kanada steht als wirtschaftlich schwächstes G7-Land auf Platz zehn, hinter Brasilien.
In einem Artikel für die Zeitung »The Japan News« sprach sich Abe erneut für ein gemeinsames, globales Konzept (schuldenfinanzierter) staatlicher Konjunkturprogramme aus - was Kanzlerin Angela Merkel nach wie vor ablehnt. Berlin sieht Tokios expansive Fiskalpolitik unter der Überschrift »Abenomics« kritisch, kommt die japanische Wirtschaft doch trotz massiver Geldflut und Negativzinsen nicht voran. Nach dem jüngsten Treffen ihrer Finanzminister ist zu erwarten, dass sich die G7 - die Freihandelsabkommen wie das zwischen EU und USA (TTIP) und die gleichfalls noch offene Vereinbarung zwischen EU und Japan befürworten - für die Mischung aus Investitionen, Strukturreformen und einer ergänzenden Notenbankpolitik zur Ankurbelung der Weltwirtschaft aussprechen.
Merkel erhofft sich vor allem ein Signal für gemeinsame Anstrengungen bei der Bekämpfung von Fluchtursachen und der Hilfe für Flüchtlinge. Das ist auch eine Kernforderung der zivilgesellschaftlichen Organisationen, die in den G7-Prozess involviert sind. So wie Nahrungsmittelsicherheit, die Stärkung der Gesundheitssysteme, eine bessere Vorbereitung auf Pandemien, eine stärkere Rolle von Frauen oder bessere Korruptionsbekämpfung. Entwicklungsgruppen haben am Mittwoch an die reichen Industrienationen in Ise-Shima appelliert, mehr für den Kampf gegen Armut und Hunger zu tun. 805 Millionen Menschen weltweit hätten nicht genug Nahrung, um ein gesundes und aktives Leben führen zu können. Jährlich kämen 3,1 Millionen Kinder durch Nahrungsmangel ums Leben, kritisiert Global Citizen. Die G7 hätten sich im Vorjahr im bayerischen Elmau das Ziel gesetzt, 500 Millionen Menschen bis 2030 vom Hunger zu befreien. Dafür jedoch müssten sie endlich einen Finanzierungs- und Kontrollmechanismus entwerfen. Am Freitag wird die G7-Gruppe mit Staats- und Regierungschefs aus Asien und Afrika zusammentreffen.
Mehr Einigkeit unter den Gipfelteilnehmern darf sich Abe bei einem anderen Schwerpunktthema erhoffen: Terrorismus kenne keine Grenzen, Flüchtlinge müssten ihr Leben aufs Spiel setzten, um ihm zu entfliehen, beklagt der Regierungschef. Deshalb würden die G7 einen »Aktionsplan« gegen Terrorismus und gewalttätigen Extremismus beschließen. Sie wollen die Geldströme der Terroristen kappen, ihren Zugang zu Waffen wie Ausrüstung und generell ihre Bewegungsmöglichkeiten einschränken. Wie die japanische Zeitung »Yomiuri Shimbun« berichtete, soll auch das Vorgehen gegen Cyberangriffe durch Staaten, Terrorgruppen oder einzelne Hacker verschärft werden. Wobei Beschlüsse dieses Gremiums Absichtserklärung sind und grundsätzlich keine rechtsverbindliche Wirkung haben.
Das gilt auch für die diversen Krisen- und Konfliktherde zwischen Syrien und der Ukraine, die auf der Agenda des Gipfels stehen. Spätestens hier macht sich das Fehlen Wladimir Putins bemerkbar. Mit der Aufnahme Russlands 2002 war der Gipfel zur Achterrunde geworden, die scharf kritisierte Übernahme der Krim führte dann 2014 zum Rauswurf Moskaus. Wolfgang Ischinger, Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz, hat das jetzt als Fehler bezeichnet. Denn die G7 seien nicht im Stande, große internationale Krisen allein zu bewältigen: »Weder die Ukraine-Krise noch der Syrien-Konflikt sind ohne Russland zu lösen.« Deshalb sollte die Tür für Moskau langfristig offen bleiben. Aktuell ist eine Rückkehr jedoch kein Thema.
Für die Gastgeber sind aber auch die regionalen Konflikte von großer Bedeutung. So sorgen die Atom- und Raketentests Nordkoreas für Besorgnis. Und dann gibt es noch diverse territoriale Streitigkeiten, etwa zwischen Japan, China und Taiwan um die Senkaku-Inseln im Ostchinesischen Meer. Peking beansprucht zudem große Teile des Südchinesische Meeres, was gleich mit mehreren asiatischen Ländern Spannungen verursacht. China wiederum wirft der Obama-Regierung Machtansprüche im Pazifik vor, weil das Pentagon zuletzt mit der Entsendung von Kriegsschiffen wie dem Zerstörer »USS William P. Lawrence« militärische Stärke in der Region demonstrierte. Alles Probleme, die im G7-Rahmen letztlich nicht wirklich zielführend besprochen werden können, hat die weltweit zweitgrößte Volkswirschaft doch keinen Platz am Gesprächstisch in Ise-Shima.
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