Ein wenig Mitschuld
Resolution zum Völkermord an Armeniern spielt Rolle des Deutschen Reichs herunter
Die Stimmung unter einigen in Deutschland lebenden Türken ist aufgeheizt. Zu einer Demonstration der Türkischen Gemeinde in Berlin hatten sich am Mittwochnachmittag 5000 Teilnehmer angemeldet. Auch andere Gruppen, darunter Mitglieder der kemalistischen CHP, wollten durch die Bundeshauptstadt ziehen. Anlass der Proteste ist eine Resolution, die der Bundestag am Donnerstag mit großer Mehrheit verabschieden wird. Darin wird der Völkermord an den Armeniern während des Ersten Weltkriegs in den Jahren 1915 und 1916 verurteilt. Verantwortlich für die Massaker und Vertreibungen war das Osmanische Reich, dessen Rechtsnachfolger die Türkei ist. Der türkische Staat hat zwar sein Bedauern über die Taten ausgedrückt, lehnt aber die Einstufung als Völkermord ab, weil die Armenier mit den Russen verbündet und somit Kriegspartei gewesen seien. Zudem hält die türkische Regierung die Schätzungen vieler Historiker für übertrieben, nach denen bis zu 1,5 Millionen Menschen ums Leben kamen.
Neben Protestbriefen haben Abgeordnete des Bundestags in diesen Tagen auch heftige Beleidigungsschreiben von türkischen Nationalisten erhalten. Die nun vorliegende Resolution war von Union, SPD und Grünen ausgearbeitet worden. Sie erinnern nicht nur an das Schicksal der Armenier, sondern auch an andere Minderheiten wie die aramäischen und assyrischen sowie an die chaldäischen Christen. Zivilgesellschaftliche Ansätze zur Aufarbeitung des Völkermords in der Türkei, welche auch die Versöhnung mit den Armeniern zum Ziel haben, werden in dem schwarz-rot-grünen Papier begrüßt.
Wegen der Partnerschaft mit der Türkei in der NATO und der Kooperation zur Abwehr von Flüchtlingen wollte die Große Koalition bislang Rücksicht auf die Türkei nehmen. Einen Beschluss des Bundestags hatte sie lange blockiert. Das Thema gilt weiter als heikel. Die Bundesregierung wird bei der Abstimmung nicht vollständig anwesend sein. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hält voraussichtlich zeitgleich bei einem Berliner Kongress eine Rede über »digitale Bildung«. Sicher ist das aber noch nicht. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD), ein entschiedener Gegner der Resolution, befindet sich auf Dienstreise in Lateinamerika.
Dass die Resolution nun verabschiedet wird, ist auch ein Triumph für Linkspartei und Grüne. Die Oppositionsfraktionen hatten schon seit Jahren darauf gedrängt, die Verbrechen an den Armeniern als Genozid anzuerkennen. Die LINKE entschied bei ihrer Fraktionssitzung am Dienstag, dem Papier ihre Zustimmung zu geben. Sie hätten auch gerne daran mitgearbeitet. Dies scheiterte allerdings am Widerstand aus der Union.
Die LINKE-Abgeordnete Sevim Dagdelen erklärte, dass es ihrer Fraktion auch immer darum gegangen sei, die deutsche Rolle klar zu benennen. »Die Abstimmung bricht nun mit der deutschen Staatsräson einer Leugnung der Mitschuld des Deutschen Reiches am Völkermord an den Armeniern«, so Dagdelen. In dem Antrag von Union, SPD und Grünen heißt es, dass der Bundestag bedauere, dass das Deutsche Reich »als militärischer Hauptverbündeter des Osmanischen Reichs trotz eindeutiger Informationen auch von Seiten deutscher Diplomaten und Missionare über die organisierte Vertreibung und Vernichtung der Armenier nicht versucht hat, diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu stoppen«.
Diese Formulierungen werden den historischen Tatsachen allerdings nicht vollständig gerecht. Denn sie legen nahe, dass die deutsche Mitschuld lediglich darin bestand, eine passive Rolle gespielt zu haben. Historische Dokumente belegen dagegen, dass Teile des deutschen Militärs direkt an dem Völkermord beteiligt waren. Deutsche waren im Osmanischen Reich stationiert und unterzeichneten einige Deportationsbefehle der Osmanen mit. Zudem waren deutsche Soldaten aktiv an der Niederschlagung von armenischen Aufständen beteiligt. Diese Fakten finden sich in einem Antrag der Linksfraktion, in dem von einer »Beihilfe des Deutschen Reichs zum Völkermord« die Rede ist. Hierfür wird es im Bundestag allerdings keine Mehrheit geben.
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