Fisch im Öl
Nicht nur bei Tankerunglücken und explodierten Bohrinseln belastet auslaufendes Öl die Meere. Auch im laufenden Betrieb werden Meereslebe- wesen getötet. Von Susanne Aigner
Mit Öl in der Nordsee haben deren Anwohner ihre Erfahrungen: Als das Frachtschiff Pallas im Oktober 1998 bei Amrum auf Grund lief und rund 100 Tonnen Öl verlor, verendeten 16 000 Seevögel. Schon seit 1987 fördert der Konzern Deutsche Erdöl AG (DEA) Öl im Wattenmeer. Auf dem größten deutschen Ölfeld werden jährlich 1,4 Millionen Tonnen Öl aus der Tiefe geholt. Nun soll an vier weiteren Stellen des Wattenmeeres gesucht werden. 20 Millionen Tonnen Öl werden unter dem Meeresboden vermutet - eine Menge, die den deutschen Ölbedarf für gerade mal zwei Monaten decken dürfte, kritisiert die Umweltorganisation Greenpeace. Dafür werde ein unverhältnismäßig hohes Risiko in Kauf genommen, denn ein Unfall im artenreichen Wattenmeer würde zu irreparablen Schäden führen. Der Nationalpark Wattenmeer mit seiner geschützten Natur dürfe nicht dem Geschäft mit Öl zum Opfer fallen, fordert Greenpeace und ruft nach einem strikten Verbot für Eingriffe durch die Ölindustrie.
Auch die Anwohner der Küste am Golf von Mexiko haben weit reichende Erfahrungen mit Ölkatastrophen: Bereits im Jahr 1969 flossen bei einem Tankerunfall vor Refugio und El Capitan rund zwölf Millionen Liter Öl ins Meer. Es sollten Jahre vergehen, bis das Ökosystem sich erholt hatte. Unzählige Seevögel und Meeressäuger ließen ihr Leben.
Nach der Explosion der BP-Bohrinsel Deepwater Horizon 2010 sprudelte knapp drei Monate lang Öl aus der Pipeline. Als man das Loch endlich gestopft hatte, waren 670 000 Tonnen Erdöl ins Meer geflossen. An der verseuchten Küste starben tausende Fische und Vögel qualvoll. Tourismus und Fischerei kamen zum Erliegen. Die Reinigungsarbeiten waren 2015 noch nicht abgeschlossen. Bis heute muss BP Entschädigungen zahlen - insgesamt 20,8 Milliarden Dollar.
Nun leckte im Mai 2015 wiederum eine 24 Jahre alte Pipeline an der Küste vor St. Barbara. Schätzungen zu Folge traten 400 000 Liter aus, wovon sich etwa ein Viertel in den Ozean ergoss. Es breitete sich ein 20 Quadratmeter großer Ölfilm aus. Wieder verendeten Meerestiere, vor allem viele Vögel. Diese traurige Bilanz an Öl-Unfällen kümmert die US-Regierung nicht. Als gäbe es kein Morgen, genehmigen die Behörden weiter Ölbohrungen vor der Küste.
Tierbestände erholen sich nur langsam
Nach Öl-Katastrophen kümmern sich häufig Tierschutzverbände wie der IFAW (International Fund of Animal Wellfare) um die zu Schaden gekommenen Wildtiere. Als die »Prestige«, ein 26 Jahre alter Tanker, im November 2002 auf dem Atlantik zerbrach, verseuchten rund 23 000 Tonnen Schweröl die ganze Küste von Nordportugal bis zum Südwesten Frankreichs. Rund 250 000 Seevögel verendeten im Öl. Fische, Muscheln und Austernbänke waren verschmutzt. An der Küste vor Galizien kämpften Helfer der IFAW um das Leben von Basstölpeln, Tordalken und Kormoranen.
In Pappkartons wärmen sie die geretteten Tiere auf und päppeln sie mit Medikamenten, Nahrung und Wasser. Sind die Tiere sehr geschwächt, werden sie mit einer Sonde ernährt, sind sie zu schwach, werden sie eingeschläfert. Nur denen, die stark genug sind, schrubben die Tierschützer mit Geschirrspülmittel das klebrige Öl vom Gefieder. Wo möglich, sorgen sie dafür, dass noch saubere Tiere von verschmutzten Stränden ferngehalten werden. So wurden im Jahr 2000 bei einer Ölpest in Südafrika über 20 000 Brillenpinguine mit Schweröl verseucht. 6000 Tiere konnten unbeschadet evakuiert werden.
Auch wenn der ölverschmierte Schlamm von den Stränden abgetragen, die Fischer ihre Arbeit wieder aufnehmen, die ersten Touristen wieder anreisen, ist die Katastrophe noch längst nicht vorbei.
Beim Ölunfall vor Galizien war die Krähenscharbe (Phalacrocorax aristotelis) - ein mittelgroßer Kormoran, eine der am stärksten betroffenen Tierarten. Die Population wurde damals in der Region gerade wissenschaftlich überwacht. Álvaro Barros von der Universität Vigo und sein Team berichteten im Fachmagazin »Biology Letters« über die Nachwirkungen des Unglücks. So unterschied sich der jährliche Bruterfolg vor dem Unglück innerhalb und außerhalb der verseuchten Gebiete nur unwesentlich, während sich nach dem Unglück der Bruterfolg in den ölverseuchten Regionen um 45 Prozent verringerte. Noch fünf Jahre nach der Katastrophe hatte sich der bestand der Art nicht erholt. Die Forscher vermuten, dass das Öl schon in geringer Konzentration die Fortpflanzungsfähigkeit stark beeinträchtigt. Ein anderer Grund könnte sein, dass den Tieren in den verschmutzen Gebieten weniger Nahrung zur Verfügung steht.
Als der Großtanker »Amoco Cadiz« 1978 vor der Bretagne auf Grund lief, konnte man an vielen Fischen Geschwüre beobachten, man fand Schollen ohne Schwanzflossen. Anhand regelmäßiger Bodenproben aus der Region wiesen französische Forscher nach, das erst 13 Jahre später sämtliche aus dem Öl stammende Kohlenwasserstoffe durch Bakterien vertilgt worden waren.
Ölbohrungen vertreiben Robben und Wale
Gerade der Küstenraum sei gegenüber Ölschäden viel empfindlicher als das offene Meer, weiß Carlo van Bernem vom Institut für Küstenforschung in Geesthacht in Schleswig-Holstein. Wobei Öl an felsigen Küsten wiederum weniger gravierende Schäden anrichtet als in Buchten, Flussmündungen und Salzwiesen.
Unterschiede gibt es auch zwischen Schwer- und Leichtöl. Während sich das als Treibstoff von Schiffen vorherrschende Schweröl auf der ganzen Wasseroberfläche sichtbar verteilt, dispergiert Leichtöl tröpfchenweise - für Vögel besonders gefährlich, weil sie bei der Nahrungssuche in den für sie nicht sichtbaren tödlichen Ölschlick eintauchen, erklärt Greenpeace-Experte Thilo Maack. Sobald ein Vogel mit dem Öl in Berührung kommt, fängt er an, sich zwanghaft zu putzen. Das Öl verklebt die Federn, die das Wasser nicht mehr vom Körper abhalten können, infolgedessen können die Tiere erfrieren. Sie nehmen keine Nahrung mehr auf, bis sie ihr Gefieder gesäubert haben. Viele schlucken das giftige Öl herunter. Bei Fischlarven können die Öltröpfchen eine Verkrümmung der Wirbelsäulen bewirken. Auch Schalentiere schmecken noch lange nach einem Unglück nach Öl.
Im Gegensatz zu wärmeren Gewässern baut sich das Öl in kalten Gewässern nur sehr langsam ab. Das wurde spätestens nach der Havarie der Tankers »Exxon Valdez« im Prinz-William-Sund vor Alaska im Jahr 1989 deutlich, als 45 000 Tonnen Öl eine 1700 Kilometer lange Küste verschmutzten. Zehn Jahre später gab die US-Regierung einen Bericht heraus, indem es hieß, das einstige Naturparadies sei noch immer stark geschädigt. Nur die Flussottern hätten sich erholt - im Gegensatz zu Venusmuscheln, Austernvögeln oder Seeottern, die viel mehr Zeit brauchen, um sich zu regenerieren.
Für den Fall, dass der niederländisch-britische Ölkonzern Shell vor der Küste Alaskas Öl fördert, schätzt die US-Regierung die Wahrscheinlichkeit eines größeren Ölunfall auf 75 Prozent. In dem sensiblen Ökosystem wird ausgelaufenes Öl nur sehr langsam biologisch abgebaut. Schon die Probebohrungen gefährden Tausende Wale und Robben. Auch die seismischen Tests zur Lagerstättenerkundung verursachen unter Wasser einen Lärm, der für die Tiere tödlich sein kann. Nachgewiesenermaßen stören die Tests die Kommunikation und Orientierung der Meeressäuger, die aus ihren Jagdrevieren vertrieben werden. Unter anderem auch deshalb fordern Greenpeace und andere Organisationen, die Rohstoffe in der Arktis im Boden zu lassen.
Chronische Verschmutzung tötet Fische
Was den Lebewesen in und am Meer besonders zusetzt, ist die alltägliche - illegale - Verklappung von Öl: Schätzungen zu Folge lassen jedes Jahr rund 20 000 Seevögel deshalb ihr Leben. Auch die Ölreste aus Maschinenräumen von Schiffen werden oftmals illegal eingeleitet, um eine teure Entsorgung im Hafen zu vermeiden - jährlich sind das rund 10 000 Tonnen Öl.
Das, was auf den Bohrinseln gefördert werde, sei ein Gemisch aus Gas, Öl und Wasser, erklärt Greenpeace-Schifffahrtsexperte Christian Bussau. In dem Wasser, das zurück ins Meer geleitet wird, seien normalerweise auch Ölreste enthalten. Dieses Öl tötet alles Leben im Umkreis von 500 Meter um eine Plattform. Die 400 Öl-Plattformen, von denen Öl in die Nordsee kommt, schaden dem Meeresboden demnach auf einer Fläche von bis zu 5000 Quadratkilometern. In diesen »Todeszonen« können weder größere Fische noch Seeigel oder Seesterne überleben. Auch den Algen setzt das Öl zu.
Fakt ist, dass auslaufendes Öl nachhaltig Ökosysteme und damit unsere Lebensgrundlagen zerstört. Die Folgeschäden in ihrem ganzen Ausmaß werden oft viel später sichtbar. Den wahren Preis für das billige Öl zahlen somit Pflanzen, Tiere und letztlich auch Menschen.
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