Lehrermangel ist kein neues Problem
Bildungsrauschen
Vor gut einem Jahr schrieben Berliner Schüler eines Oberstufenzentrums für Sozialwesen einen Brandbrief an Bildungssenatorin Sandra Scheeres (berliner-zeitung.de). Hierin kritisierten sie die Zunahme an Unterrichtsausfall und die damit verbundene Vertretungssituation. So würden Aufgaben und Lehrmittel nur mit Zeitverzögerung an die Vertretungen weitergegebenen. Nicht selten geschehe ein Lehrerwechsel mitten im Schuljahr. Als besonders misslich wurde der Umgang der Schulleitung mit dem Problem beschrieben. So sei es der Schülervertretung »nicht erlaubt« gewesen, sich an den »Gremien der einzelnen Fachbereiche« unter »Mitspracherecht« zu beteiligen.
Bereits 2014 gründete sich das Bündnis »Bildet Berlin! Initiative für Schulqualität« (bildet-berlin.de). Das Bündnis fordert u.a. eine »110 prozentige Personalausstattung«, eine »Qualitätssicherung des Quereinstiegs« und »Tarifverträge statt Lohndiktat«. Zu den Mitstreitern zählt die GEW, die linke Schülergruppe »Red Brain« und das Netzwerk angestellter Lehrkräfte »FairDienst«. Auch Scheeres ist mit der Situation nicht zufrieden, weist allerdings die von dem Bündnis gestellten Forderungen zurück.
Um wenigstens den Stundenausfall zu kompensieren, spricht sich der Vorsitzende des Philologenverbands, Heinz-Peter Meidinger, auf news4techer.de für »mobile und integrierte Reserven« von Lehrkräften aus. Um überhaupt Klarheit zu schaffen, fordert der »Verband Bildung und Erziehung« (VBE) bundesweit »einheitliche Maßstäbe« darüber, was »kompletter Unterrichtsausfall und was Vertretungsunterricht« sei.
Erstaunlich sind die Analogien zur Situation in der BRD um 1960. So ist in einem auf chroniknet.de veröffentlichten Dokument aus dieser Zeit nachzulesen, dass die vom Deutschen Ausschuss für Bildungs- und Erziehungswesen damals geforderte Verlängerung der Volks- und Mittelschulzeiten in »krassem Gegensatz zur krisenhaften Situation im Schulwesen« stünden; »gravierender Lehrermangel, überfüllte Klassenräume sowie eine unzureichende Ausstattung mit modernen Lehrmitteln« seien keine gute Voraussetzung für eine solche Reform. Die »Fortführung des ›Wirtschaftswunders‹« erfordere aber eine »grundlegende Verbesserung der schulischen und universitären Ausbildung«. Als »kurios« wird eine Initiative aus Niedersachsen bezeichnet, »über Zeitungsanzeigen Hausfrauen ohne Lehrerausbildung« als Lehrkräfte anzuwerben, um den Bedarf für das geplante neunte Volksschuljahr abzudecken. Diese Frauen sollten in »Schnellkursen« zu »Aushilfslehrerinnen mit gutbürgerlicher Reputation« ausgebildet werden. Die »Arbeitsgemeinschaft Deutscher Lehrerverbände« reagierte auf diese Kritik damals mit einem »Gesamtplan zur Neugestaltung des deutschen Bildungswesens«. Die »vertikale Dreigliedrigkeit des Schulsystems« sollte durch eine »dynamische, horizontale Organisation des Bildungswesens samt Gesamtschule« ersetzt werden. Der Plan fand keine Mehrheit. Lena Tietgen
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