Nein zum Brexit: Varoufakis und Žižek für »Vote In«

Warnungen vor linkem Nationalismus / Europabewegung DiEM25 wirbt an der Seite von Labour für Verbleib Großbritanniens in der EU / »Londoner Erklärung« verabschiedet

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 5 Min.

Das Referendum über den Verbleib Großbritanniens in der EU rückt immer näher und die Umfragen deuten auf ein äußerst knappes Rennen. Da ist es keine Randnotiz, dass in dieser Woche die Website zusammenbrach, auf der sich die Wähler online registrieren können. Zwar ist die Frist inzwischen kurz verlängert worden, doch viele fragen sich, welche Auswirkungen die Computerpanne vom Dienstag dennoch haben könnte. Für den Ausfall der Seite war offenbar der große Andrang verantwortlich - nicht zuletzt jüngere Briten wollten sich für das Referendum registrieren. Allein am Dienstag waren es vor der Panne 132.000 unter 25-Jährige, unter ihnen ist die Zustimmung zu einem Verbleibt laut Umfragen höher als bei den Älteren.

Der Vorsitzende der Labour-Partei, Jeremy Corbyn, hatte am Dienstag stündlich dazu aufgerufen, sich noch in die Wählerlisten einzutragen. Er wirbt seit Wochen für einen Verbleib. »Europa muss sich verändern«, so Corbyn unlängst. »Aber diese Veränderungen können nur in Zusammenarbeit mit unseren Verbündeten in der EU herbeigeführt werden. Man kann durchaus Kritik üben und gleichzeitig davon überzeugt sein, dass wir EU-Mitglied bleiben müssen.«

Unterstützung erhält Corbyn dabei nicht zuletzt von der linken Europabewegung DiEM25. Ende Mai warben der frühere griechische Finanzminister Yanis Varoufakis und der Schatten-Finanzminister von Labour, John McDonnell, für einen Verbleib. McDonnell ist inzwischen auch Mitglied der Bewegung, zum Start der »Vote In«-Kampagne von DiEM25 und dem Netzwerk »Another Europe is Possible« sagte der Labour-Mann, »jetzt haben wir die Gelegenheit, eine Debatte über die demokratische Zukunft von Europa wieder zu entfachen«. Zum ersten Mal seit mehr als einer Generation gebe es »überall in Europa Bewegungen und politische Kräfte, die sich hierin engagieren«.

Ende Mai hatten Varoufakis und McDonnell gemeinsam unter anderem mit der Grünen-Politikerin Caroline Lucas, dem linken Autor und Aktivisten Owen Jones und Sirio Canós Donnay von Podemos eine »Londoner Erklärung« verabschiedet, mit der ebenfalls für den Verbleib Großbritanniens in der EU geworben wird. Man dürfe »nicht die Zukunft unseres Landes in den Händen rückschrittlicher Politiker belassen, die nicht für uns sprechen«, so der Appell. Man werde sich stattdessen »in einer mutigen Kampagne engagieren«, die darauf abziele, »unsere Demokratie zurückzufordern - nicht nur hier in Großbritannien, sondern in ganz Europa«.

Varoufakis’ Plädoyer gegen den Brexit erscheint auf den ersten Blick ein wenig widersprüchlich. Das weiß der Grieche selbst. In einem Brief an die Briten, veröffentlicht auch im »Guardian«, gesteht er ein, im vergangenen Jahr mit dem Vorhaben gescheitert zu sein, die EU-Spitzen zu einer anderen Politik gegenüber Griechenland zu bewegen - und so verstehe er es, wenn es wie eine »seltsame Bitte« ausschaue, nun bei den Briten für einen Verbleib Großbritanniens in eben dieser EU zu werben.

Es handele sich aber nur um einen »scheinbaren Widerspruch«, so Varoufakis: Denn auch bei einem Brexit würden die meisten der in Großbritannien geltenden Gesetze »wie jetzt in den gleichen tristen Brüsseler Korridoren geschrieben«, nur dass die Briten dann auf die Standards, Regeln und Verfahren keinen Einfluss mehr hätten. Der Grund: Großbritannien werde nicht den EU-Binnenmarkt verlassen und sei damit auch an dessen Ausgestaltung gebunden.

Mehr noch aber besorgt Varoufakis die drohende Zersplitterung der EU, die durch einen Brexit beschleunigt würde. »Die EU ist zweifellos bürokratisch und intransparent und widerspreche einem demokratischen Parlamentarismus, wie Sie und ich ihn schätzen«, adressiert der Ökonom die Briten direkt. Doch jeder solle sich genau überlegen, ob ein Zerfall der Union »progressive Demokraten in ganz Europa« wirklich befähigen werde, einen Kurswechsel herbeizuführen. Varoufakis’ Antwort: »Unwahrscheinlich.«

Stattdessen prognostiziert der Grieche eine ökonomische Spaltung des Kontinents mit erheblichen Folgen. Während im Nordosten die Deflation das Heer der arbeitenden Armen vergrößert, werde im Süden Europas die Inflation grassieren und noch mehr Erwerbslosigkeit nach sich ziehen. Entlang der »Verwerfungslinie«, die Europa dann teilen würde, könnten nur »politische Monster kriechen«. Die Alternative sei der Kampf um eine demokratischere EU - und Varoufakis ist dabei keineswegs naiv: »Es wird nicht einfach sein. Aber es ist einen Versuch wert.«

Auch der Philosoph Slavoj Žižek hatte unlängst an die Briten appelliert, für den Verbleib in der EU zu votieren. Er sei »nicht daran interessiert, Liebesbriefe an die britische Öffentlichkeit zu senden, welche die sentimentale Nachricht «Bitte bleiben Sie in Europa» enthalten«. Was ihn interessiere sei aber, ob es eine Chance gebe, aus dem »Teufelskreis der falschen Gegensätze« aus der »Hingabe an den globalen Kapitalismus« einerseits und der »Hingabe an den Anti-Asyl-Populismus« von rechts herauszukommen, so der Slowene im britischen »Guardian«.

Es gebe zwar aus linker Sicht »einige gute Gründe«, einen Brexit zu unterstützen - etwa, wenn eine Regierung »aus der Kontrolle der Brüsseler Technokraten« freikommen und dann eine sozialere Politik durchsetzen würde. Žižek zeigte sich aber »besorgt über die ideologischen und politischen Hintergründe« einer solchen Überlegung: Von Griechenland bis Frankreich würden Linke den Nationalismus »wiederentdecken« - für den linken Publizisten bleibe es aber bei der Überzeugung, »dass unsere einzige Hoffnung darin liegt, transnational zu handeln«, da man nur so eine Chance habe, »den globalen Kapitalismus in die Schranken zu weisen«.

Der Nationalstaat, so Žižek, sei »nicht das richtige Instrument, um die Flüchtlingskrise , die globale Erwärmung und andere wirklich drängende Fragen zu beantworten«. Sein Appell: »Anstatt also gegen die Eurokraten im Namen der nationalen Interessen zu opponieren, müssen wir versuchen, eine europäische Linke zu bilden«. mit Agenturen

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