Nach dem Ende
Sewan Latchinians erzwungener Rostocker Abschied
Man will über das Theater sprechen und kommt nicht dazu, weil sich unwürdige Umstände in den Vordergrund drängen. Das geht in Rostock seit über zwanzig Jahren so und zwar ohne Pause. Die Kulturpolitik liegt hier offensichtlich nicht in den Händen derer, die der Kultur bedürfen, oder ihren Wert auch nun annähernd erkennen. Andere Städte verteidigen ihre Theater in Zeiten knapper Kassen, Rostock wirft es weg.
Bis Ende des letzten Jahres kämpfte der soeben als Intendant fristlos (!) entlassene Sewan Latchinian um den Erhalt der Musiksparte, ohne die das Orchester funktionslos wäre - dann machte die Politik eine Wendung von 180 Grad und kündigte an, man wolle nun die Musiksparte erhalten und dafür das Schauspiel schließen. Anlass für diese Pirouette: ein Konzept des Co-Geschäftsführers Stefan Rosinski, der vorrechnete, dass es viel schneller gehe, das Schauspiel zu schließen, als die Opernsparte samt Opernchor abzuwickeln. Dann werden wir eben Opernhaus!, beschloss man im Rathaus ungeachtet der Tatsache, dass nichts teurer zu produzieren ist als Opern. Und der bis eben noch selbst am energischsten um die Musiksparte kämpfende Latchinian wurde beauftragt, nun schleunigst das Schauspiel zu schließen.
Brutale Schließung und Entlassung nennt man aber lieber »Umbau« und spricht vom »Hybridmodell«. Vier Schauspieler sollen (vielleicht) fürs Kindertheater bleiben, aber auch die zum Niedriglohn, mehr als zehn müssen gehen. So ist das Ende der langen Rostocker Theatertradition beschlossen. Aber dann kam man auf das Ärgernis, dass man zwei unkündbare Schauspieler hat, die länger als fünfzehn Jahre im Ensemble sind. Und der in diesen Dingen (spitz)findige Stefan Rosinski, der seine Rechenexempel ab kommender Spielzeit zum Wohle des Theaters in Halle an der Saale anstellen wird, legte einen Plan vor, wie man auch diese beiden schnell und »rechtskonform« loswerden könne. Worauf Latchinian als Intendant und einer der beiden Geschäftsführer den Betriebsrat informierten - was nun als einer der Gründe für seine fristlose Kündigung herhalten muss.
Man hat lange nach Vorwänden für diese Kündigung gesucht und nun, da man in der Rostocker Stadtverwaltung auf eine Million Euro Zuschuss für den geplanten Theaterneubau (wozu, wenn es kein Theater mehr gibt?) wartet, die Minister Brodkorb in Schwerin jedoch nur auszahlen will, wenn der Spartenabbau durchgesetzt wird, meinte man, handeln zu müssen. Bauen ist hier allemal wichtiger als den Kulturalltag zu finanzieren. Denn beim Bauen geht es um Grundstücke, die verkauft werden, um Aufträge, die zu vergeben sind, und da lässt man sich nicht gern von einem Theaterintendanten stören.
Welch ein Verschleiß von Schöpferkraft, Liebe zur Kunst, vorangetrieben durch das in einer Mischung aus altem Funktionärsgehabe, neoliberaler Kaltschnäuzigkeit (jeder der nicht alles unwidersprochen mitmacht, kann sofort gehen) und Gutsherrenmanier (wer kann uns schon!) agierende Duo infernale Minister Brodkorb und Oberbürgermeister Methling, assistiert von der Aufsichtsratsvorsitzenden Sybille Bachmann und Co-Geschäftsführer Stefan Rosinski. Den Schaden hat nun nicht nur der schnöde vor die Tür gesetzte Sewan Latchinian - vor allem die Menschen in Rostock, denen durch die herrschende Mischung aus Dünkel und Geschäftssinn nun das Theater genommen wird.
Latchinians größter Fehler: Er war mit zu viel Elan angetreten, das Theater wieder ins Bewusstsein der Stadt zu bringen. Man musste fürchten, dass er erfolgreich werden könnte, aber dazu hatte man ihn schließlich nicht geholt! Er sollte hier zwei Sparten abwickeln, das Theater in die völlige Bedeutungslosigkeit zurückfahren. Stattdessen gab es achtzig Premieren in den vergangenen zwei Jahren - eine maßlose Selbstüberforderung für alle Beteiligten. Und wie oft kamen Minister und Oberbürgermeister selbst in das Theater, über dessen Krise sie so gern redeten? Latchinian rechnet vor: zweimal Brodkorb und einmal Methling.
Und nun die wohl letzte Inszenierung Latchinians in Rostock, Teil einer gerade hoffnungsvoll beginnenden Kooperation mit der Rostocker Theaterhochschule. Im vergangenen Jahr platzte schon mal eine Inszenierung, da war Latchinian - wegen seines Kahlschlagvergleichs mit der Kulturzerstörung durch den Islamischen Staat - bereits vom Oberbürgermeister entlassen worden, was die Bürgerschaft dann aber zurücknahm. Eine Woche vor der Premiere von »Sex und Liebe«, einer Collage aus Shakespeares »Romeo und Julia« und »Sommernachtstraum« mit Schauspielschülern des 2. Studienjahres nun die fristlose Entlassung des Regisseurs und Intendanten. Die Folge: Er darf das Volkstheater nicht mehr betreten. Die Aufführung, deren zehn angesetzte Vorstellungen fast ausverkauft waren, dürfen hier nicht stattfinden. Da kam das rettende Angebot der Rektorin der Hochschule Susanne Winnacker, immerhin eine Vorstellung im Katharinensaal der Hochschule zu spielen, da es sich schließlich auch um die Prüfungen der Schauspielschüler handelt. Die Konsequenz dieses Asyl-Angebots: das Bühnenbild und alles, was dem Theater gehört, durfte nicht verwendet werden.
So haben die Schauspielschüler entschieden, in Unterwäsche zu spielen, und Latchinian zeigte, dass er in der Lage ist, in wenigen Tagen aus nichts etwas zu machen. Welch leichtsinniger und dennoch tief lotender Text über Trieb und Poesie, über unsere merkwürdige Existenz als träumende Tiere. Latchinian setzt das Publikum auf die Bühne und macht den Zuschauerraum zur Spielfläche. Ein ebenso simpler wie wirkungsvoller Kunstgriff. Denn solcherart ansteigende Stuhlreihen sind verblüffend multifunktional, man kann hinter ihnen abtauchen wie am Meer hinter einer Düne, wenn die Welle anrollt, oder sich kurzzeitig vor ihnen aufbauen wie auf einem Podium. Solch ausschließlich im imaginären Raum Agieren-Müssen, ohne jedes Requisit, sei natürlich eine Überforderung für diese talentierten jungen Schauspieler, sagt Latchinian.
Aber man spürt jederzeit den Enthusiasmus für das, was sie tun, sie sind mit Lust dabei. Das bleibt für jedes Spiel unabdingbar. Und so hören wir aus dem wortreich wuchernden Gestrüpp der trügerischen Sinne heraus, die Ordnungsversuche der Vernunft, die sich schnell wieder im Fluss des jugendlichen Traumfiebers verlaufen: »Durch ihren Hass zu sterben, war lieber mir, als ohne deine Liebe leben.« Man freut sich darauf zu sehen, was aus Luke Neite, Lisa-Marie Fedkenheuer, Doga Gürer, Rinaldo Steller, Tobias Karn, Lola Mercedes Wittstamm, Friedrich Richter, Sarah Zelt, Lia J. von Blarer, Johanna Elina Reinders und Rinaldo Steller einmal werden wird. Sie werden es schwer haben, denn der Beruf des Theaterschauspielers wird - nicht nur Rostock - immer mehr ad absurdum geführt.
Absurd ist es auch, dass nun offenbar Joachim Kümmritz das Volkstheater in die Abwicklung führen soll. Der altgediente Schweriner Noch-Intendant wehrte sich am Mecklenburgischen Staatstheater bis eben - von Nothilfe zu Nothilfe - gegen fast alle ihm abgeforderten Kürzungen (das wird ab kommender Spielzeit der Nachfolger besorgen). Der Ur-Berliner Union-Fan Kümmritz, der nebenbei noch das Theater Neustrelitz/Neubrandenburg leitet, hat vor Kommunalpolitikern, die sich für den Nabel der Welt halten, wenig Respekt. Spartenabbau, so hat er schon laut gesagt, fände er in Rostock unsinnig. Es geht weiter mit dem Theater jenseits des Theaters. Und es geht dabei immer mehr unwiederbringlich verloren - Vertrauen zu allererst.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.