Das belächelte »Nein«
Der Prozess um die angebliche Falschaussage von Gina-Lisa Lohfink hat die Debatte um eine Verschärfung des Sexualstrafrechts neu entfacht / Frauenministerin Schwesig unterstützt »Nein heißt Nein«-Grundsatz
Werden alle Frauen vom deutschen Sexualstrafrecht geschützt? Oder nur die, die ein frommes, privilegiertes und »anständiges« Leben fernab der Öffentlichkeit führen? Welchen Einfluss haben gesellschaftliche Machtstrukturen, die Diskriminierung, Missbrauch und Vergewaltigung von Frauen erleichtern? Und wie viele Schläge muss eine Frau eigentlich genau kassieren, bevor ein Richter anerkennt, dass der Sex unfreiwillig war?
Der Fall um das Model Gina-Lisa Lohfink hat die Debatte um eine Reform des deutschen Sexualstrafrechtsparagraphen neu entfacht. Und zeigt gleichzeitig auf, wie rückständig und gefährlich Justiz, Polizei, Medien und Gesellschaft bei Gewalt gegen Frauen urteilen - vor allem, wenn bei einer Grenzüberschreitung das Opfer nicht den gängigen bürgerlichen Stereotypen entspricht.
Was war passiert? 2012 tauchte ein Video auf, das die aus Privatfernsehsendungen wie »Germany’s Next Topmodel« und Boulevardschlagzeilen bekannte Lohfink beim Geschlechtsverkehr mit zwei Männern zeigt. Diese hatten das Bildmaterial bereits wenige Stunden nach der Nacht verschiedenen Medien zum Kauf angeboten und später ins Internet gestellt. Lohfink sagte im Video mehrmals »Hört auf«. Zwei Wochen später zeigte sie die beiden Männer wegen Vergewaltigung an. Lohfink geht davon aus, dass man ihr an jenem Abend K.O.-Tropfen verabreicht habe, erklärte sie gegenüber der Polizei. Die Männer hätten zudem das Video gegen ihren Willen aufgenommen und veröffentlicht.
Die K.O.-Tropfen konnten jedoch zum Zeitpunkt der Anzeige nicht mehr im Blut nachgewiesen werden. Das Gericht stellte die Verfahren gegen die beiden Männer ein und Lohfink war auf einmal selbst die Schuldige: Wegen angeblicher Falschbeschuldigung soll sie nun 24.000 Euro Strafe zahlen. Seit Juni steht sie dafür vor Gericht. Auf verschiedenen Ebenen ist die Wendung dieser Verhandlung nicht nur absurd, sondern symptomatisch für eine grundlegende gesellschaftliche Schieflage.
Die juristische Ebene
Um in Deutschland jemanden wegen Vergewaltigung zu verurteilen, muss dem Täter nachgewiesen werden, dass er sich vorsätzlich über den erklärten Willen seines Opfers hinweggesetzt hat. Das reicht aber nicht aus. Der Täter muss das Opfer auch nötigen: mit Gewalt, der Ausnutzung einer schutzlosen Lage oder einer Drohung. Ein verbal kommuniziertes »Nein« ist zu wenig. Dabei hat Deutschland 2011 die Istanbul-Konvention des Europarats unterzeichnet. Darin steht, dass in allen Staaten der Europäischen Union jede Form von sexuellen Handlungen »gegen den Willen einer Person« zu bestrafen ist. Einer Gesetzesreform standen jedoch bisher die Unionsparteien im Wege.
Diese Gesetzeslage führt zu folgenden verachtenden Einschätzungen: Lohfink, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft, habe sich in besagtem Video insgesamt »orientiert und aktiv« verhalten, es gebe »keine Hinweise auf Gewaltanwendung«. Auch die Polizei maß dem »Hört auf« des Opfers keinen Wert bei: In einem Vermerk von Beamten heißt es, Lohfink habe immer wieder in die Kamera geschaut. Es müsse ihr klar gewesen sein, dass sie gefilmt wurde. Man könne eine »rege verbale Kommunikation« zwischen ihr und den zwei Männern sehen. Dies spreche ja für sich, oder?
Erst seit den sexuellen Übergriffen am Neujahrestag in Köln kam Bewegung in die Gesetzesdebatte. Einem Entwurf von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) zufolge sollen künftig auch Taten strafbar sein, bei denen ein Täter »Überraschungsmomente« oder »Widerstandsunfähigkeit« ausgenutzt habe. Die Anerkennung des »Nein bedeutet Nein«-Grundsatzes wird jedoch auch hier nicht aufgegriffen.
Nach dem Bekanntwerden des Falls Lohfink äußerte sich nun auch Bundesfrauenministerin Manuela Schwesig (SPD) mit kritischen Worten: »Nein heißt Nein - das muss rein ins Gesetz«, sagte die Politikerin am Montag im ARD-»Morgenmagazin«. Es dürfe nicht sein, dass ein Täter nicht verurteilt werde, wenn sein Opfer weine und bettle, sich aber nicht gegen eine Vergewaltigung wehre. »Unser Sexualstrafrecht ist zu lasch«, so die Ministerin.
Deutlich wird, wie im Fall Lohfink sexualisierte Gewalt als juristisches Bagatelldelikt verhandelt wird. Dies verschärft sich gerade im Hinblick auf die öffentliche Wahrnehmung, die das Opfer in der Gesellschaft genießt. »Es kann nicht sein«, sagte so auch Lohfinks Anwalt Burkhard Benecken, »dass meine Mandantin von der Justiz in eine Schublade gesteckt wird.« Offenbar gelte das Motto: »Kurzer Rock, große Brüste - die taugt nicht als Vergewaltigungsopfer.« Lohfink selbst fragt in einem Interview mit Spiegel Online berechtigt empört: »Muss ich erst umgebracht werden?« Die »Schlampen«-Rolle, die Lohfink von Medien und Justiz auferlegt bekommt, mündet letztlich in einer Täter-Opfer-Umkehr: Sie selbst habe die Grenzüberschreitung ja provoziert. Irgendwie wird sie es ja schon gewollt haben. Der Schutz der Täter wiegt ab diesem Punkt höher als der Schutz des Opfers.
Die mediale Ebene
Die verletzenden Erfahrungen und ernstzunehmenden Vorwürfe, die Lohfink schildert, wurden von vielen Medien anfangs belächelt. Sie war eben keine angesehene Journalistin, sondern nur »die wasserstoffblonde Hessin« aus »Heidi Klums Casting-Zirkus« (Welt). Keine weltgewandte, eloquente Politikerin oder Aktivistin, sondern das »Busen-Model«, dass »im Gericht zusammengebrochen« ist (Bild). Eine weitere Inszenierung, ein Schrei nach Aufmerksamkeit, eine weitere »Celebrity-Show« vielleicht – verschiedene Bewertungen mögen in den Köpfen der nach Sex-Skandalen gierenden bürgerlichen Presse vorherrschend gewesen sein. Die Tragweite einer möglichen Vergewaltigung wollte dagegen kaum jemand wahrnehmen – ebenso wenig wie die dafür notwendige Sensibilität und journalistische Verantwortung. Die Veröffentlichung des Videos, und das haben die Medienschaffenden bewusst ignoriert, war offensichtlich in dem Fall nicht von Lohfink selber gewollt, sondern wurde ihr von den vermeintlichen Tätern aufgezwungen.
Das grundsätzliche Problem, das sich in dieser Debatte zeigt, ist, dass erst ein millionenfach angeklicktes mutmaßliches Vergewaltigungsvideo sowie eine anschließende absurde Gerichtsverhandlung notwendig sind, um dem »Nein bedeutet Nein«-Grundsatz politische Aufmerksamkeit zu verschaffen. Oder wie die queer-feministische Künstlerin Sookee es auf Facebook ausdrückt: »Statistiken und theoretische Darlegungen ziehen nicht. Also sind es Einzelpersonen, die ihre komplette Biographie zum Einsatz bringen müssen, um mittels ihrer traumatischen Erfahrung eine gesellschaftliche Debatte am Laufen zu halten.«
Die gesellschaftliche Ebene
Der Verteidiger der beiden angezeigten Männer erklärte im Gericht, Lohfink habe den Sex »mit zwei attraktiven, gut gebauten jungen Männern« während der Videoaufnahme »sichtlich genossen«. Sie sei dabei durch »reichlich genossenen Alkohol« deutlich enthemmt gewesen. Ob taktisches Argument oder ernsthafte Überzeugung: Die Aussage macht deutlich, wie in einer patriarchalen Gesellschaft mit den Opfern von sexueller Gewalt umgegangen wird. Ihnen wird die Schuld gegeben. Ihr eigenes Verhalten sei die Ursache. Der Rock war zu kurz, der Ausschnitt zu tief, der Alkohol zu viel, die Armlänge Abstand nicht eingehalten.
Besonders viel Verachtung – und Vorverurteilung - trifft Frauen, die nicht dem bürgerlichen Idealbild entsprechen. Pornodarstellerinnen, Sexarbeiterinnen, Models, »It-Girls« und so weiter – aufgrund ihrer Tätigkeit und ihres Auftretens wird ihr Recht auf Unversehrtheit und Selbstbestimmung nicht ernst genommen. Sie arbeiten im Sex-Business, also sollen sie sich gefälligst nicht beschweren, wenn jemand Intimität und Körperlichkeit einfordert, so der Tenor.
Dieses Verständnis reiht sich in eine gesellschaftliche Perspektive ein, in der sexuelle Übergriffe weiterhin als Bagatelle betrachtet werden. Der Klaps auf den Hintern vom Chef, der kesse Spruch zum Dirndl vom Bundespolitiker, das enthemmte Angrapschen auf öffentlichen Veranstaltungen bis hin zu Vergewaltigungen und Gruppenvergewaltigungen. Doch auch die halbnackten Frauen, die auf Plakaten für Bohrmaschinen, Autos und Datingwebseiten werben (müssen), gehören dazu. In der US-amerikanischen feministischen Debatte wird von einer »Vergewaltigungskultur« gesprochen, die Objektivierung und Missbrauch von Frauen fördert.
Der Widerstand
Doch, und damit hat Lohfink selbst am allerwenigsten gerechnet – es bildete sich Solidarität. Unter dem Hashtag #TeamGinaLisa zeigen FeministInnen aller Geschlechter Unterstützung für das Model. Für den 27. Juni, dem Tag der voraussichtlichen Urteilsverkündung bezüglich der angeblichen Falschbeschuldigungen, wird vor dem Amtsgericht Tiergarten in Berlin von 9 bis 14 Uhr zu einer Demonstration gegen die sexistischen Zustände in Justiz und Gesellschaft aufgerufen. Lohfink, nach eigener Aussage aufgrund der Vorfälle zeitweise in psychologischer Behandlung, findet die Welle an Zuspruch »unglaublich« und ist gerührt.
In ihrer Kampfbereitschaft dürfte sie nun so manchen überraschen: »Wir werden zur Not durch alle Instanzen gehen«, sagte sie im Interview mit Spiegel Online. »Eher spende ich das Geld an bedürftige Menschen und gehe in den Knast«, sagte sie zu der Strafandrohung von 24.000 Euro. Es gehe ihr dabei aber nicht nur um das ihr selbst zugefügte Unrecht, erklärte sie weiter im Stern: »Es hat schon Sinn, wenn ich das jetzt durchziehe. Nicht nur für mich, sondern für alle Frauen, denen nicht geglaubt wird.«
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