Grüne leisten nur symbolisch Widerstand

Auch Realos sehen die Ausweitung der »sicheren Herkunftsstaaten« skeptisch. Mit den Zielen der Bundesregierung stimmen sie aber grundsätzlich überein

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 3 Min.
In Tunesien, Algerien und Marokko kommt es zu schweren Menschenrechtsverletzungen. Deswegen lehnen es zahlreiche Landesregierungen ab, diese Staaten im Bundesrat als »sicher« zu erklären.

Die Bundesregierung ist sich unsicher, ob sie mindestens drei Länder mit grüner Regierungsbeteiligung davon überzeugen kann, dass Tunesien, Marokko und Algerien als »sichere Herkunftsstaaten« gelten sollten. Für die Asylrechtsverschärfung ist Schwarz-Rot nämlich am Freitag auf die Zustimmung des Bundesrats angewiesen, wo Konservative und Sozialdemokraten zusammen keine Mehrheit haben.

Wenn das vom Bundestag beschlossene Gesetz in der Länderkammer durchfallen sollte, ist ein Vermittlungsausschuss wahrscheinlich. Auf diesen stellt sich die Bundesregierung im Notfall ein. Spekuliert wird zudem, dass der Bundesrat seine Entscheidung verschieben könnte. Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) sagte in der ARD, dass mit allen Beteiligten gesprochen werde - in den nächsten Tagen »und womöglich auch darüber hinaus«. Altmaier soll Gespräche angeboten haben, um insbesondere homosexuelle Menschen unter Schutz zu stellen.

Viele grüne Landespolitiker kritisieren, dass die Bundesregierung die Menschenrechtslage in den Maghreb-Staaten zuletzt ignoriert habe. Durch das neue Gesetz sollen Schutzsuchende aus diesen Ländern möglichst schnell wieder abgeschoben werden. Eine gründliche Prüfung ihrer Asylanträge ist somit praktisch ausgeschlossen. Die Menschenrechtsorganisationen Pro Asyl und Amnesty International hatten in diesen Tagen in einem offenen Brief darauf hingewiesen, dass in allen drei nordafrikanischen Ländern gefoltert und die politische Opposition unterdrückt werde. Auch Homosexuelle sowie transgeschlechtliche Menschen seien dort Verfolgungen ausgesetzt.

Die Bundestagsfraktion der Grünen hatte deswegen Mitte Mai ebenso wie die LINKE und einige Sozialdemokraten gegen den Gesetzesentwurf gestimmt. Die Grünen sind an zehn Landesregierungen beteiligt. Bislang hat noch keine von ihnen erklärt, für die Asylrechtsverschärfung votieren zu wollen. Wenn sich die Koalitionspartner nicht einig sind, enthält sich ein Land im Bundesrat. Aus den von Rot-Grün regierten Ländern Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen hieß es, sie wollten sich im Laufe der Woche entscheiden. Allerdings gilt auch in diesen Ländern eine Enthaltung als wahrscheinlich.

In Baden-Württemberg hatten sich Grüne und CDU darauf geeinigt, dass die »sicheren Herkunftsstaaten« ausgeweitet werden sollen, wenn dieser Entscheidung keine verfassungsrechtlichen Hürden entgegenstehen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gerät das Konzept der »sicheren Herkunftsstaaten« schon ins Wanken, wenn ein Staat zu politischer Verfolgung greift, auch wenn diese auf einige Personen- oder Bevölkerungsgruppen begrenzt bleibt. Dies ist in den Maghreb-Staaten nachweislich der Fall.

Doch der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann gab nun vor, sich nicht sicher zu sein und für die Prüfung noch Zeit bis zur Abstimmung am Freitag zu benötigen. Erst dann soll eine Entscheidung getroffen werden, ob Baden-Württemberg zustimmen wird. Der Grüne Kretschmann befindet sich in einer Klemme. Auf der einen Seite will er sich in seiner Partei nicht noch unbeliebter machen, andererseits setzen ihn seine Koalitionspartner von der CDU unter Druck. Kretschmann hatte einst die Entscheidung der Bundesregierung unterstützt, Staaten des Westbalkans als »sicher« einzustufen, obwohl dort Roma ausgegrenzt und lebensgefährlich diskriminiert werden. Die Situation in Algerien, Tunesien und Marokko betrachte er aber als »weitaus unklarer und prekärer«, teilte Kretschmann nun mit.

Weil er und weitere Realopolitiker der Grünen grundsätzlich mit den Zielen der Bundesregierung übereinstimmen, haben sie bereits Alternativpläne geschmiedet. Kretschmann und Schleswig-Holsteins Umweltminister Robert Habeck hatten sich dafür ausgesprochen, anstelle der Einstufung von Ländern als »sicher« einen gesetzlichen Automatismus einzuführen. Demnach sollen die Asylverfahren für Flüchtlinge verkürzt werden, wenn aus ihren Herkunftsländern wenig Menschen als asylberechtigt anerkannt werden. Ein solcher Vorschlag könnte auch von Union und SPD als Kompromiss akzeptiert werden. Denn im Ergebnis würde dieses Modell das Gleiche bewirken wie der Gesetzesentwurf von Schwarz-Rot. Lediglich der symbolische Begriff »sichere Herkunft« würde wegfallen. Kommentar Seite 4

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