Auftakt eines globalen Krieges

Joachim Käppner über den Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion 1941 und den Angriff auf die ganze Welt

  • Horst Schützler
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Titel des Buches dürfte schon Interesse erwecken. Wessen Angriff auf die ganze Welt erfolgte 1941? Ein Historiker freilich weiß das Datum einzuordnen. Interessant ist aber auch für ihn die mit dem Titel vorgenommene Einschätzung des Überfalls Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion am 22. Juni vor 75 Jahren.

Joachim Käppner, geboren 1961 in Bonn, ist Redakteur und Autor der «Süddeutschen Zeitung». Er möchte «heutigen Lesern in verständlicher und anschaulicher Weise nahe bringen, welche großen und unwiderruflichen Weichenstellungen das Jahr 1941 brachte und welche Motive die Handelnden umtrieben». Es ist kein fachwissenschaftliches Werk, sondern gedacht für ein breites Publikum; aber es beruht auf den Erkenntnissen, welche die Historiker gerade in den vergangenen zwei Jahrzehnten so reichlich gewonnen haben«. Dieses Vorhaben, Erkenntnisse von seriösen Historikern, insbesondere von kritischer deutscher Militärgeschichtsschreibung, verständlich und anschaulich darzustellen und mit eigenen Überlegungen und Wertungen zu verknüpfen, verdient Aufmerksamkeit und Respekt, wenn auch bei manchen Ausführungen - so über den deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrag von 1939 als »perverses Bündnis der Diktatoren« - Zustimmung versagt werden sollte. Und leider sind im Buch auch nicht Ergebnisse russischer Historiker eingeflossen.

Der Autor selbst ist promovierter Historiker. Es gelingt ihm, die entscheidenden Ereignisse 1941 in ihren Verflechtungen und Nachwirkungen der Appeasementpolitik, deren »harter Kern der Antikommunismus« war, lebendig zu beschreiben. Dabei verbindet er sachliche Schilderung mit berührenden Erlebnisberichten von Zeitzeugen und Aussagen der einst handelnden Personen, darunter besonders häufig Winston Churchill, »ein Imperialist reinsten Wassers«. Großbritannien, »Europas letzte kämpfende Demokratie«, erfährt besonders große Aufmerksamkeit des Autors. Ebenso die zunehmende Unterstützung der USA (Roosevelt), so beim Luftkrieg über England, in Nordafrika und Griechenland, als die Wehrmacht die Misserfolge von Mussolinis nicht sehr kampffreudigen Armeen ausbügeln musste und Jugoslawien und Griechenland im Frühjahr 1941 brutal unterwarf.

Der epochale Einschnitt des Jahres 1941 ist für Käppner »ohne jeden Zweifel der Überfall auf die Sowjetunion, er steht daher im Mittelpunkt, samt seinen Zielen und Verbrechen.« Dessen ungeachtet begibt sich der Autor schon auf die Kriegsspur, die mit der Eroberung Polens durch die Wehrmacht im September 1939 als »Auftakt für den Vernichtungskrieg im Osten« begann. Am 31. Juli 1940 verkündete Hitler vor der Generalität unwidersprochen seinen »Entschluss«, Russland im Frühjahr 1941 niederzuwerfen. Es folgte die konkrete Weisung Nr. 21 (Fall Barbarossa) vom 18. Dezember 1940.

Mit dem wegen des Balkankrieges verzögerten Überfalls auf die Sowjetunion erst am 22. Juni 1941 (statt schon im Mai) begann »ein Krieg, wie ihn die Welt noch nicht erlebt hat«, schreibt Käppner. Er verfolgt die militärischen Handlungen der Operation »Barbarossa« bis zur Entscheidung vor Moskau Anfang Dezember (»Taifun«). Dann wendet er sich dem »Inferno« des »Zivilisationsbruchs« zu, der mörderischen und räuberischen Besatzungspolitik der Nazis, der Blockade und gezielten Aushungerung Leningrads sowie dem Massenmord an den sowjetischen Juden sowie den Kriegsgefangenen.

Die Beschreibung der Ziele Nazideutschlands und ihrer brutalen Verwirklichung wird zur beeindruckenden und aufrüttelnden Anklage gegen »Hitler und seine willigen Generäle« sowie des gesamten nazistischen Herrschaftssystems. Dabei verweist Käppner in kritischer Distanz auf den beschämenden Umgang in der alten Bundesrepublik mit dem Erbe der »willigen Generäle« sowie in Bezug auf die russischen Kriegsgefangenen darauf, dass die wenigen Überlebenden erst 2015 eine bescheidene Entschädigung erhielten.

Das Ende des Jahres 1941 bringt die Ausweitung des Krieges in neuer, weltweiter Dimension. Japan überfällt die US-Flotte in Pearl Harbor; die USA antworten mit der Kriegserklärung und Deutschland erklärt irrwitzig am 9. Dezember den USA den Krieg. Der deutsche »Angriff auf die ganze Welt« im Bunde mit dem »fremden Verbündeten« Japan war nun als globaler Krieg im Gange.

Joachim Käppner: 1941. Der Angriff auf die ganze Welt. Rowohlt, Berlin 2016. 313 S., geb., 19,95 €.

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