Ein Angriff auf die Versammlungsfreiheit

Einige Bundesländer wollen Gewalt gegen Polizisten deutlich schärfer ahnden. Doch eine Lücke im Strafrecht existiert nicht. Die Folgen für das Demonstrationsrechts wären aber gravierend

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 10 Min.

Die Debatte läuft einige Zentimeter unterhalb des öffentlichen Radars - und doch geht es dabei um nicht weniger als das Demonstrationsrecht, um den Körper des »normalen Bürgers« und die Frage, was hier mit symbolischem Strafrecht eigentlich in Wahrheit erreicht werden soll. Es geht um die von den Landesregierungen in Hessen (hier) und im Saarland (hier) angestrebte Verschärfung der Strafmöglichkeiten bei Angriffen auf Polizisten und andere Amtsträger.

Die Sache läuft schon seit gut einem Jahr. Bei der gerade zu Ende gegangenen Innenministerkonferenz im saarländischen Mettlach-Orscholz hat es dazu nun abermals noch keine abschließende Entscheidung gegeben. Und was man sonst erfährt, ist nicht viel: Das Bundesjustizministerium wurde von den Länderressortschefs aufgefordert, eine mögliche Gesetzesänderung zu prüfen und zu erarbeiten. Dabei sollen die Vorschläge des Saarlandes und Hessens berücksichtigt werden. Doch gegen diese liegen schwerwiegende verfassungsrechtliche und politische Bedenken vor.

Es geht dabei nicht vordergründig um die Auseinandersetzungen, die man von Demonstrationen kennt - doch genau hier, in der politischen Arena des öffentlichen Raums würden die Wirkungen besondern spürbar sein. Dieser Raum ist schon lange umstritten, wie die Debatte über die Berechtigung gewaltlosen zivilen Ungehorsams etwa gegen Neonazi-Aufmärsche oder bei Blockaden von Atomtransporten gezeigt hat. Mit den angestrebten Gesetzesverschärfungen würde dieser Raum um ein deutliches Maß kleiner werden - weil jeder, der sich dann noch an einer Demonstration beteiligt, praktisch schon mit horrenden Strafen rechnen müsste.

Hat Gewalt gegen Polizisten wirklich zugenommen?

Begründet wird der neuerliche Versuch, die Strafen für Auseinandersetzungen zwischen Bürgern und Polizisten zu verschärfen, mit der angeblich gestiegenen Gewalt gegen Beamte. Um zwei Dinge vorwegzunehmen: So richtig es ist, dass gezielte Gewaltakte gegen Polizisten nicht hinnehmbar sein können, so unbezweifelbar ist, dass die Debatte über den besonderen Schutz von Beamten stets daran krankt, dass über die von ihnen selbst ausgehende Gewalt meist nicht geredet wird. Brutale Räumungen von Blockaden, unverhältnismäßiger Einsatz von Pfefferspray, Provokationen und Schlagstockeinsatz gegen Unbeteiligte - all das muss man nicht extra erfinden. Schon vor Jahren hatte Amnesty International in einem Bericht unverhältnismäßige Gewaltanwendung durch Polizeibeamte in Deutschland und deren mangelnde Aufklärung beklagt.

Allein daraus aber ließe sich noch kein Argument gegen den Schutz von Polizisten vor Gewalt machen. Die Frage sollte auf einer anderen Ebene diskutiert werden: Was ist eigentlich der Anlass für die Vorstöße zur Strafverschärfung? Auf welchem Weg wollen die beiden Initiativen aus Hessen und dem Saarland ihre Ziel erreichen? Und was sind die Folgen, würden die vorgelegte Gesetzentwürfe tatsächlich durchgebracht? Die Fragen sind auch deshalb nicht unwichtig, weil der einschlägige Paragraf 113 des Strafgesetzbuches, in dem es um Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte geht, zuletzt 2011 verschärft und ausgeweitet worden war.

»Mit dem Prüfauftrag reagieren die Minister auf die zunehmende Gewalt gegen Polizisten«, beschreibt die Deutsche Presse-Agentur das dargebotene Motiv der Gesetzesverschärfung. Es kursieren viele Zahlen, die Polizeigewerkschaften haben als Lobbyorganisationen der Beamten im Einsatz viel dafür getan, dass eine Zunahme von Gewalt wie eine Art Binsenweisheit betrachtet wird. Doch ist das auch so? Und was ergibt ein differenzierter Blick? »Um mehr Licht ins Dunkel der gefühlt wachsenden Gewaltbedrohung zu bringen, rücken Polizeipräsidien und Forscher seit Jahren mit Fragebögen aus«, berichtet dieser Tage die »Süddeutsche Zeitung« und verweist auf die erheblichen methodischen Probleme der Studien, auf die sich nicht nur die Minister jetzt beziehen.

Es geht vor allem um Zahlen des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen. Zugenommen hätten einer Studie von 2010 danach lediglich Fälle »in der leichtesten Kategorie der Gewalt« gegen Polizisten - kleine Rempeleien. Weil die Kriminologen skeptisch gegenüber der These von der starken Gewaltzunahme blieben, seien sie »aus den Kommissariaten« geflogen und erhielten später »keinen Zugang mehr«. Bei einer Studie drei Jahre später habe sich gezeigt, dass jeder zweite der Polizisten, die sich freiwillig zu der Umfrage gemeldet hatten, binnen eines Jahres mindestens einen tätlichen Angriff erlebt hatte. Darunter zählten aber auch verbale Provokationen oder das Fotografiertwerden durch andere. Die »Süddeutsche« zitiert die Forscher: »Wie hier deutlich wird, ist Gewalt ein sehr vielschichtiger Begriff.«

»Schwerwiegende verfassungsrechtliche Bedenken«

»Ungeachtet aller methodischen Kritik, die man gegenüber den eingangs erwähnten Statistiken und empirischen Untersuchungen vorbringen kann, lässt sich aber kaum leugnen, dass Polizeibeamte in der täglichen Einsatzpraxis in hohem Umfang Opfer von gewaltsamen An- und Übergriffen werden«, urteilte der Direktor des Instituts für Deutsches und Europäisches Strafprozessrecht und Polizeirecht an der Universität Trier, Mark Zöller, in einem Aufsatz. Und dennoch ist auch er mehr als skeptisch: Gegen die vom Saarland und von Hessen bisher vorgelegten Verschärfungsvorschläge ließen sich »schwerwiegende verfassungsrechtliche Bedenken« vorbringen, so Zöllner.

So sehr der Jurist das Ziel für wichtig erachtet, es werde »auf einem falschen Weg« verfolgt - Zöllner sieht »gravierende strafrechtsdogmatische Defizite«, es fehle »an einem klar erkennbaren Rechtsgut«, das durch ein verschärftes Strafrecht geschützt werden müsste. Die Vorschläge ließen sich zudem »schwerlich mit den Vorgaben des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes und des aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vereinbaren und provozieren daher im Falle ihrer Umsetzung geradezu den ›Weg nach Karlsruhe‹«, meint der Professor.

Die beiden vorgelegten Gesetzentwürfe sind in vielerlei Hinsicht unterschiedlich - und wahrscheinlich hilft die Schwierigkeit der Materie, hier einen demokratiepolitisch äußerst bedenklichen Vorstoß über Monate hinweg zu verfolgen, ohne dass es einen öffentlichen Aufschrei gibt. Den hätte wohl vor allem der hessische Vorschlag verdient, einen eigenen »Schutzparagrafen« einzuführen: Tätliche Angriffe auf Beamte des Polizeidienstes sowie Helfer von Feuerwehr, Katastrophenschutz und Rettungsdienste sollen demnach künftig mit mindestens sechs Monaten Haft bestraft werden - in schweren Fällen, etwa wenn die Tat »mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich« begangen wird, kann die Strafe sogar bis zu zehn Jahren reichen. Und anders als beim bisherigen Paragraf 113 zum »Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte« soll ein neuer Schutzparagraph 112 nicht nur an eine Vollstreckungshandlung eines Amtsträgers an, sondern es geht um alle tätlichen Angriffe gegen Polizisten »in Beziehung auf seinen Dienst«.

Die Axt am Rechtsstaat und der Demonstrationsfreiheit angelegt

Kritische Juristen haben bereits beklagt, dass mit einer solchen »Regelung eine erhebliche Strafrechtsverschärfung« einhergehen würde, »die insbesondere eklatante Folgen für die Ausübung der Versammlungsfreiheit hat«. Bürger würden bei Demonstrationen »in Zukunft das Risiko eingehen müssen, sich sehr schnell strafbar zu machen«, da eben auch jede Rempelei, jedes Gegendrücken, wenn Polizisten Schieben, alles was als Tätlichkeit gegen Beamte ausgelegt werden kann, mit hoher Strafandrohung belegt wäre. »Wer ernsthaft eine Freiheitsstrafe von nicht unter sechs Monaten für eine Rangelei oder Eierwürfe gesetzlich festschreiben will, der legt die Axt am Rechtsstaat und der Demonstrationsfreiheit an«, kritisierte auch die hessische Linkspartei als der hessische Vorstoß für die Strafverschärfung vor knapp einem Jahr noch scheiterte.

Dass es in Wahrheit keine Lücke im Strafrecht gibt, die zu schließen erforderlich wäre, um Beamte zu schützen, gibt die schwarz-grüne Landesregierung in Hessen selbst zu: »Zweck der neuen Strafbestimmung ist nicht vorrangig die Pönalisierung bislang straffreier Handlungsweisen«, heißt es in der Gesetzesinitiative. Alle möglichen Angriffshandlungen, auf die der neue Schutzparagraf abzielt, lassen sich zum Beispiel bereits als Körperverletzung verfolgen. Auch der Widerstands-Paragraf 113 soll bleiben. Es gehe »vielmehr hauptsächlich darum, angemessene staatliche Reaktionen in Fällen zu ermöglichen, in denen sich diejenigen, die für die Sicherheit und das Wohlbehalten der Bevölkerung eintreten, gerade aus diesem Grunde tätlichen Angriffen ausgesetzt sehen. Die Täter müssen die Konsequenzen ihres Tuns deutlich spüren«, so der Vorstoß aus Hessen. Die hessischen Grünen begründeten 2015 den Verschärfungsvorstoß damit, »eine abschreckende Wirkung« zu erzielen - es gehe um »ein Bewusstsein«, dass tätliche Angriffe unter anderem auf Polizisten, »ein besonderes Unrecht darstellen«.

Das soll offenbar schon im Vorfeld mit der Androhung von hohen Mindeststrafen erreicht werden. Dem Jurist Zöllner aber »erscheint nicht nur der hohe Strafrahmen des jeweils vorgeschlagenen Grundtatbestands, sondern auch der geplante höhere Strafrahmen für besonders schwere Fälle als unangemessen«. Die Konzeption beider Vorstoße, desjenigen aus dem Saarland als auch desjenigen aus Hessen, »sprengt gleich in mehrfacher Hinsicht den Rahmen des Verhältnismäßigen«.

Harte Strafen bei harmlosen Konstellationen

Das sieht auch der Arbeitskreis kritischer Juristen der Universität Frankfurt (Main) so. »Die Mindeststrafe würde in besonders harmlosen Konstellationen fällig, wie etwa, wenn es auf einer Demonstration zu einer Rangelei kommt. Die Grenze zwischen passivem Widerstand und Angriffshandlung ist in solchen Situation ohnehin schwierig. Durch die Strafverschärfung ginge quasi jeder passive Widerstand mit der Gefahr einher, zu mindestens sechs Monaten Gefängnis verurteilt zu werden.«

Jurist Zöllner hat darauf hingewiesen, dass »ein Strafrecht, das weniger auf den Schutz der jeweiligen Rechtsgüter angelegt ist als auf weiterreichende politische Wirkungen« in den Worten des früheren Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Winfried Hassemer, als »symbolisches Strafrecht« zu brandmarken sei - und deshalb »tunlichst« vermieden werden sollte. Es geht dabei nicht zuletzt um eine rechtspolitisch grundsätzliche Frage: Denn es ist unklar, »welches konkrete Rechtsgut durch einen neu einzufügenden Straftatbestand des tätlichen Angriffs auf Polizeibeamte und andere Einsatzkräfte bzw. Repräsentanten des Staates geschützt sein soll.«

Das ist keine Lappalie. Zöllner formulierte es im vergangenen Jahr in einem Aufsatz so: »Konzepte, die sich nicht auf den Schutz eines Rechtsguts berufen können, gehören nicht in ein Strafgesetzbuch.« Sofern die Verschärfungsvorstöße aus Hessen und dem Saarland darauf hinauslaufen, »das staatliche Gewaltmonopol zum Rechtsgut zu erheben und damit die Einführung eines neuen Straftatbestandes rechtfertigen zu wollen«, wäre dies laut Zöllner »ein Widerspruch in sich«. Denn das Gewaltmonopol ist »kein eigenes Schutzgut, sondern dessen Voraussetzung«.

Bleiben SPD-Innenminister bei ihrer ablehnenden Linie?

Einen anderen Akzent setzt die Kritik der kritischen Juristen aus Frankfurt. Kämen die Verschärfungsvorstöße durch, »würde den Körpern von Vollstreckungsbeamten ein besonderer, sakraler Wert zugesprochen, der über dem Integritätsinteresse der Bürgerinnen und Bürger steht. Im Umkehrschluss werden damit die Körper der zivilen Bevölkerung heruntergesetzt.« Wer Polizeieinsätze gegen Demonstrationen erlebt hat, kann sich vielleicht vorstellen, was das noch freisetzen könnte. Und es ist in einem demokratiepolitischen Sinne äußert fragwürdig, weil bestimmte Berufsgruppen dann - ohne dass eine Straflücke bestehen würde - über das höhere Strafmaß privilegierter geschützt wären als »normale Bürger«.

Dass der Vorstoß vor einem Jahr schon einmal scheiterte, kann wenig beruhigen. Mit dem Beschluss von Mettlach-Orscholz ist der Ball ins Rollen gebracht, das Bundesjustizministerium wird nun prüfen. Während CDU-Innenpolitiker von einem Erfolg sprachen, mühte sich manch sozialdemokratischer Ressortkollege, ein wenig auf die Bremse zu treten. Schon im Vorfeld hatten SPD-Innenminister erklärt, gegen eine Verschärfung des Strafrechts und für eine bessere Ausnutzung des Strafrahmens zu sein. Die Idee einer Mindeststrafe hat aber auch unter ihnen Anhänger. Im kommenden Jahr ist Bundestagswahl. Man sollte die Augen offenhalten.

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