Erdogan will Gezi-Bauprojekt doch noch durchziehen

2013 hatten sich landesweite Aufstände gegen türkische Regierung daran entzündet / Polizei geht gewaltsam gegen AKP-Kritiker in Istanbul vor - Demonstranten rufen: »Alle gemeinsam gegen den Faschismus«

  • Lesedauer: 3 Min.

Berlin. Der autoritär herrschende türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan will nun auch das umstrittene Bauprojekt im Gezi-Park in Istanbul fortsetzen - drei Jahre, nachdem Proteste gegen das Vorhaben zu einer Welle regierungskritischer Demonstrationen führte. Anfang Juni 2013 hatten sich landesweite Aufstände an der brutalen Räumung eines Protestlagers im Gezi-Park im Zentrum der Millionenmetropole entzündet. Mehrere hundert Protestierer hatten dort zu verhindern versucht, dass Bäume gefällt und Grünflächen beseitigt werden. Sie sollten dem Nachbau einer osmanischen Kaserne mit Wohnungen und Geschäften weichen. Die Demonstrationen richteten sich dann schnell vor allem gegen den autoritären Regierungsstil Erdogans, der damals noch Ministerpräsident war. Mindestens sieben Menschen kamen ums Leben. Ein Gericht stoppte das Projekt damals vorläufig. Nun soll es doch verwirklich werden. Das kündigte Erdogan am Samstag im Fernsehen an.

Damit sind nun neue Proteste zu erwarten - und wieder auch gewalt durch die Polizei. Nach einem Angriff von Islamisten auf einen Plattenladen in Istanbul sind am Samstagabend hunderte Menschen in der türkischen Metropole zu einer Protestkundgebung auf die Straße gegangen. Die rund 500 Demonstranten wurden jedoch von der Polizei mit Tränengas und Gummigeschossen auseinandergetrieben. Am Vorabend hatten Islamisten Fans der britischen Rockband Radiohead angegriffen, weil sie im islamischen Fastenmonat Ramadan Alkohol tranken. »Alle gemeinsam gegen den Faschismus«, riefen die Demonstranten, die sich im Istanbuler Stadtteil Cihangir versammelten. Den islamisch-konservativen Präsidenten Erdogan nannten sie einen »Dieb« und »Mörder«, wie ein AFP-Fotograf berichtete. Nach nicht einmal einer Stunde wurde die Protestkundgebung jedoch von der Polizei mit Tränengas und Wasserwerfern aufgelöst.

Am Freitagabend waren rund 20 Islamisten in einen Plattenladen im Viertel Tophane eingedrungen und hatten Musikfans angegriffen, die dort das neue Radiohead-Album anhörten. Die Angreifer warfen den Leuten im Plattenladen »Velvet IndieGround« vor, im Ramadan Alkohol zu trinken. Laut der Nachrichtenagentur Dogan wurden zwei Menschen verletzt, die Polizei leitete Ermittlungen ein. Auf Videos der Attacke, die im Internet verbreitet wurden, war zu sehen, wie die Angreifer den Laden verwüsten. Ein Mann, der mit einer Flasche geschlagen worden war, blutet am Kopf. Einer der Angreifer schreit: »Wir werden euch töten, ihr Bastarde!« In Tophane, das im europäischen Teil der Bosporus-Metropole liegt, wurden auch schon mehrere Galerien von Islamisten attackiert.

Wie die Zeitung »Hürriyet« am Samstag berichtete, hielten sich während des Angriffs viele Südkoreaner in dem Plattenladen auf. Auch der Besitzer des Ladens stammt demnach aus Südkorea, lebt aber schon seit vielen Jahren in der Türkei. Das neue Radiohead-Album »A Moon Shaped Pool« konnte am Freitag weltweit in Plattenläden angehört werden.

Die Band zeigte sich bestürzt über den Angriff. »Wir sind mit unseren Herzen bei den Angegriffenen«, erklärte Radiohead auf seiner Internetseite. »Wir hoffen, dass wir auf solche gewalttätigen Ausbrüche von Intoleranz eines Tages wie auf Dinge aus einer fernen Vergangenheit zurückblicken können. Fürs Erste können wir unseren Fans in Istanbul nur unsere Liebe und Unterstützung anbieten.« Agenturen/nd

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