Volksbühne meutert gegen neuen Intendanten
Offener Brief von Schauspielern und Mitarbeitern: »Wechsel an der Spitze ist keine freundliche Übernahme« / Sorge vor Stellenabbau / Senat soll Entscheidung überdenken
Zahlreiche Mitarbeiter der Berliner Volksbühne wehren sich mit einem offenen Brief gegen den neuen Intendanten Chris Dercon. »Uns schreckt nicht das Neue«, heißt es in dem am Montag veröffentlichten Schreiben. Die Vollversammlung Ende April habe jedoch darauf schließen lassen, dass es an der Bühne keine neuen Formen und künstlerischen Herausforderungen geben werde. Eine »konzeptionelle Linie der künstlerisch-strukturellen Weiterentwicklung« der Volksbühne sei »in den Ausführungen Chris Dercons und seiner Programmdirektorin Marietta Piekenbrock nicht zu erkennen«, heißt es in dem Schreiben, das an alle im Berliner Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien sowie an Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) gerichtet ist.
»Dieser Intendantenwechsel ist keine freundliche Übernahme. Er ist eine irreversible Zäsur und ein Bruch in der jüngsten Theatergeschichte, während der die Volksbühne vor der Umwidmung in ein Tanz- und Festspielhaus bewahrt werden konnte«, heißt es weiter. Dercon setze auf Tanz, Musiktheater, Medienkunst, wenn es nach ihm gehe, werde in Zukunft »das Sprechtheater nicht die dominante Säule dieses Hauses sein.« Die Mitarbeiter befürchten einen Stellenabbau – »bis hin zur Abwicklung ganzer Gewerke«. Die Kritik richtet sich ausdrücklich gegen den Senat und den Berliner Kulturstaatssekretär Tim Renner. Er arbeite an der »Zerstörung von Originalität und Eigensinn.« Zu den Unterzeichnern gehören Schauspieler wie Sophie Rois, Birgit Minichmayr und Martin Wuttke sowie weitere prominente Theaterschaffende wie René Pollesch, Jürgen Kuttner, Carl Hegemann und Anna Viebrock.
Unterstützung erhielten die Mitarbeiter der Volksbühne gestern von Claus Peymann. In einem offenen Brief forderte der Intendant des Berliner Ensembles den Berliner Regierungschef Michael Müller (SPD) auf, Chris Dercon als neuen Intendanten der Volksbühne zu verhindern. Der regierende Bürgermeister solle einen »Fehler einsehen und korrigieren«, schrieb Peymann. Müller solle sich mit Dercon einigen und ihn auszahlen. »Das kostet erheblich weniger als seine unsinnigen Pläne.«
Dercon, ehemaliger Direktor des Londoner Museums Tate Modern, soll im Sommer 2017 Nachfolger des langjährigen Intendanten Frank Castorf werden. An der Ernennung des Belgiers hatte es bereits viel Kritik gegeben. Der Berliner Kulturstaatssekretär Tim Renner hatte die Personalie verteidigt. dpa/nd
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