Protestaktion gegen Teilhabegesetz

Bundesregierung entscheidet über Gesetzentwurf / Betroffene befürchten Einschränkungen durch geplantes Gesetz und fordern Nachbesserung

  • Florian Brand
  • Lesedauer: 3 Min.

Berlin. Trotz Protest von Verbänden hat das Bundeskabinett am Dienstag das neue Teilhabegesetz verabschiedet. Vor dem Berliner Hauptbahnhof demonstrierten Betroffene und UnterstützerInnen gegen die neuen Änderungen des Gesetzes. Symbolisch ließen sich rund 20 behinderte Menschen in einen Käfig sperren, um zu verdeutlichen, wie sehr das neue Gesetz ihre Lebenslage einschränke. »Für viele behinderte Menschen, die sich ihren Weg in die eigene Wohnung erkämpft haben, ist dieses Gesetz ein Rückschritt«, kritisierte der Koordinator der »Kampagne für ein gutes Teilhabegesetz«, Ottmar Miles-Paul.

Nach dem Gesetzentwurf von Bundessozialministern Andrea Nahles (SPD) sollen in einer ersten Stufe ab 2017 die Freibeträge für Barvermögen von derzeit 2600 auf 27.600 Euro und für Erwerbseinkommen um bis zu 260 Euro monatlich erhöht werden. Ab 2020 soll der Freibetrag auf 50.000 Euro steigen. Zudem soll dann - anders als bisher - Einkommen und Vermögen des Partners nicht mehr angerechnet werden.

Sozialverbände, Gewerkschaften und AktivistInnen sprechen von einer Mogelpackung. In vielen Punkten orientiere sich der Gesetzentwurf hauptsächlich an finanziellen Aspekten, nicht aber am Wohl der Menschen, die damit leben müssten, kritisieren sie. Bislang galt der Grundsatz: ambulant vor stationär. Mit dem neuen Gesetz soll sich das ändern. Behinderte Menschen sollten demnach »angehalten« werden, in dafür vorgesehene Unterbringungen zu wechseln. Nur wenn es günstiger oder ein Leben im Heim nicht zumutbar wäre, solle wohnen in den eigenen vier Wänden »erlaubt« werden.

Laut Miles-Paul kann es passieren, dass Menschen mit Behinderung künftig Kosten für die Hilfe in der eigenen Wohnung nur noch erstattet werden, wenn diese nicht teurer sind als im Heim. Die mit im Käfig sitzende Richterin und Rollstuhlfahrerin Nancy Poser sagte, »Leute, die noch im Heim sitzen, haben keine Chance, da rauszukommen«.

Massive Kritik gibt es auch an der neuen Form der Kategorisierung behinderter Menschen. Um Eingliederungshilfe zu erhalten, müssen demnach laut Entwurf 5 von 9 Lebensbereiche eingeschränkt sein. Sehbehinderte würden daher nicht behindert genug sein, um Unterstützung zur Mobilität und beim Lernen zu erhalten. Sprachbehinderte sollten Hilfe zur Kommunikation nur dann erhalten, wenn ein »besonderer Anlass« anstünde. Kommunikation mit Freunden wäre – folgt man dieser Logik - in letzter Konsequenz unwichtig. Immerhin habe die Bundesregierung teilweise auf die Kritik reagiert und eine Einzelfallprüfung beschlossen, sagte Koordinator Miles-Paul.

Darüber hinaus beklagt die »Kampagne für ein besseres Teilhabegesetz«, dass sich mehrere Menschen mit Behinderung bald einen Assistenten teilen müssten. »Dass sich diese Menschen vielleicht nicht kennen oder mögen, spielt keine Rolle«, hieß es. Um etwa ins Kino zu gehen, müsse man dann immer mit anderen Leuten Rücksprache halten, erklärte Poser. nd/mit Agenturen

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