Verdrängt vom Platz zwischen allen Stühlen
Der Streit um die Volksbühne nimmt kein Ende. Dabei gibt es im Kampf um das unbequeme Theater längst einen klaren Sieger
Wie ein böser Geist schwebt er durch die Stadt. Seinetwegen siedelte der besorgte Theaterbürger das Prestige des Kuratoren-Jobs zwischen Mafiaboss, Tierfuttertester und Glückskeksautor an. Noch hat der designierte Volksbühnen-Intendant Chris Dercon kaum über seine künstlerische Agenda gesprochen, und doch ist der derzeitige Chef des Londoner Museums »Tate Modern« bereits Berlins meistgehasster Kulturschaffender.
In der Hauptstadt kursieren unschöne Anekdoten über Dercon. Im vergangenen April soll er etwa während der Betriebsvollversammlung seine künftigen Mitarbeiter einzuseifen versucht haben, indem er einen gewissen »Reinhard Schleef« als großes Vorbild bezeichnete. Großes Gelächter: Dass dieser Kulturmanager unseren Einar nicht kennt, wen wundert’s! Wo andere für ein Logodesign mit Kleinbuchstaben gefeiert werden, verlacht Berlins Theaterbetrieb diese Idee des 58-Jährigen für die neue Volksbühne. Wenn er in einem seiner seltenen Interviews beteuert, er wolle mehr, als nur die Haltungslosigkeit verwalten, glaubt man ihm kein Wort.
Wie er’s macht, macht er’s falsch. Als Kulturstaatssekretär Tim Renner (SPD) im Frühjahr 2015 bekannt gab, man werde den Vertrag des unerbittlichen Regiediktators Frank Castorf nicht verlängern und ihn 2017 durch den freundlichen Softskillexperten Dercon ersetzen, da begann ein Beben in der Theaterlandschaft, das immer wieder neu einsetzt und bis auf wenige Ausnahmen nur einen Grundton kennt: alle gegen Dercon. Ein Offener Brief jagt den nächsten. Die Volksbühnenmitarbeiter fürchten um ihre Arbeitsplätze, die Theaterkritik verteidigt Castorf mit Klauen und Zähnen, mehrmals trat dessen Intimfeind Claus Peymann auf, der die proletarische Tradition gefährdet sieht.
Von außen erhält Dercon jetzt Unterstützung. Okwui Enwezor, Nachfolger Dercons als Leiter des Münchner Hauses der Kunst, kritisiert gemeinsam mit weiteren Kulturpersönlichkeiten die »Vorverurteilung«, mit der die Berliner »alle objektiven Standards einer ernsthaften Debatte vernachlässigt« hätten. Dercon sei »eine mutige und inspirierte Wahl«, mit der es gelänge, »Exzellenz und Lebendigkeit in die Kultur zu bringen«.
Eine solche Einlassung kann nur aus der weiten Welt kommen, der die Sonderstellung der Volksbühne unbekannt ist. Die Außenseiterpose ist an diesem Ort der Normalfall. Und wenn Tim Renner ausgerechnet diese Bühne seiner durchschaubaren Verwertungsideologie opfern will, dann ist der Widerstand nur logisch.
In die Volksbühne werden keine Schulklassen und Touristen hineingekarrt wie ins Berliner Ensemble. Hier kuschelt man sich nicht in politisch korrekter »Wir sind die Guten«-Gewissheit zusammen wie im Gorki. Hier nippt niemand im Foyer distinguiert an seinem Zehn-Euro-Sekt wie am Deutschen Theater. Und hier verweigert man sich auch dem weltgewandten Aushängeschildhaften der Schaubühne. Nein, die Volksbühne hält geschichtsbewusst an ihrer Folklore vom Theater der Schmuddelkinder fest - und bemerkt nicht, dass gerade diese Haltung den eigenen Untergang befördert.
Was Prenzlauer Berg für den Wohnungsmarkt, das ist die Volksbühne für das Theater: Das Kreative, das Nicht-Verkäufliche und das Unbequeme, mit dem Castorf den gesamten deutschsprachigen Theaterraum stimuliert hat, lockt jetzt die Konsenskultur, das Marktgängige, das Gemütliche an und vertreibt die Angestammten. Die Fans der Volksbühne sind das jüngste, schönste und gebildetste Theaterpublikum aller Stadttheater Berlins, vielleicht sogar Deutschlands. Castorfs Vierstünder, Polleschs Diskursfetzen und das Dada-Delirium eines Fritsch sind hip.
Die zu befürchtende Eventisierung durch schwer zugängliche Performances passt dazu eher als das Konzept des Agitprop, mit dem Erwin Piscator einst als Volksbühnenchef die angestauten Aggressionen seiner kapitalismusgeplagten Zuschauer in klare Bilder übersetzte, um klassenkämpferische Impulse zu erzeugen. Damals war Kommunismus kein Schimpfwort, heute herrscht die postmoderne Unvernunft. Und da kommt auch das widerspenstigste Kunstverständnis nicht um die Vermarktlichung herum. Dass die Angst der Belegschaft vor einer Abwicklung berechtigt ist, beweist die (unbestätigte) Meldung, dass 2017 ein Viertel der Beschäftigten entlassen werden soll.
Falls tatsächlich der globalisierte Kunstmarkt und die millionärsfreundliche Langeweile an diesem Ort der Rebellion einkehren, wird es auch weiterhin Platz für die Berserker geben. Sie müssten sich dann jedoch mobile Refugien jenseits von Berlin suchen und verlören ihren Platz zwischen allen Stühlen, der in dieser Stadt doch so sicher für sie reserviert schien.
Weil Berlin immer stärker von sprechenden Aktenordnern regiert wird, kann der lokale Kulturkosmos diesen Kampf gegen die theatrale Gentrifizierung kaum gewinnen. Chris Dercon, so viel steht einstweilen fest, kann dagegen eigentlich gar nicht mehr verlieren: Jene Erwartungen, die sich im Stellvertreterkrieg um seine Inthronisation entwickelten, wird er niemals erfüllen können.
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