Stürmische Aussichten
Klimamodellierer Gerrit Lohmann: Die Verstärkung der subtropischen Randströme bringt extreme Veränderungen für viele anliegende Regionen
Sie haben zusammen mit anderen Forschern in Ihrer aktuellen Studie herausgefunden, dass die Aktivität der subtropischen Randströmungen zunimmt. Welche Meeresströmungen sind das und wie funktionieren sie?Die Strömung an der Westseite der Ozeane ist wie ein ganz schmales Band, das sich der Küste entlang Richtung Pole schlängelt, sich vom Kontinent ablöst und dann weiter nach Osten wegzieht, während es an der Ostseite der Ozeane eine breite Rückströmung zum Äquator hin gibt. Bei Japan ist das der Kuroshio-Strom und im Nordatlantik der Golfstrom. Auf der Südhemisphäre gibt es diese westlichen Randströme auch: den Ostaustralstrom, den Agulhasstrom vor der Ostküste Südafrikas und den Brasilstrom vor Südamerika. Diese Oberflächenströmungen sind hauptsächlich windgetrieben, aber nicht völlig entkoppelt von anderen Prozessen - insbesondere der Golfstrom, der Teil des globalen Förderbands, der thermohalinen Strömung, ist.
Ihren Forschungsergebnissen zufolge bringen diese Strömungen mehr Wärme in die gemäßigten Breiten. Was bedeutet das für die anliegenden Küstengebiete?
Die westlichen Randströme haben einen sehr starken Einfluss auf die Küstenregionen, auf die Temperatur und die Wetterphänomene. Sie bringen sehr viel Wärme nach Norden: Ein großer Teil der Wärme, die wir hier in Europa erfahren, kommt vom Golfstrom. Der Kurushio-Strom vor Japan hat einen vergleichbaren starken Einfluss auf das Klima und damit auf die Ökosysteme vor Ort. Dort kommen viele Fische vor, weil es relativ warm und mild ist.
Prof. Dr. Gerrit Lohmann ist Klimamodellierer am Helmholtzzentrum Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) und Koautor der Studie »Die Verstärkung und Verlagerung der subtropischen westlichen Randströme zu den Polen in Zeiten der Klimaerwärmung«, die kürzlich in der Fachzeitschrift »Journal of Geophysical Research« erschien. Ingrid Wenzl sprach mit ihm über mögliche Folgen für die Küstengebiete und die Fischereiwirtschaft.
Sie prognostizieren aber auch mehr Stürme für die Regionen, die an den westlichen Randströmen liegen.
Genau. An den westlichen Randströmen herrschen große Temperaturgegensätze, weil es auf sehr engem Raum sehr warm ist und im Landesinneren sehr kalt, diese Regionen sind eine Wetterküche für den ganzen Atlantik bzw. Pazifik. Das liegt daran, dass da, wo große Wärmemengen nach oben kommen, die Atmosphäre nicht stabil ist und sich Hoch- und Tiefdrucklagen entwickeln. Was man erwartet, ist, dass sich damit auch die gesamte Sturmaktivität verändert. Auf jeden Fall gibt es in Modellen erhebliche Veränderungen in der Bildung von Hoch- und Tiefdruckgebieten. Wie viel Überschwemmungen oder Dürren die Folge sein werden, das ist Teil der Diskussion. Tendenziell erwarten wir extremere Zustände.
Und was wird die Zukunft sonst noch bringen?
Wir haben Beobachtungs- und Satellitendaten ausgewertet und berechnet, wie sich die Randströme in der Zukunft verhalten werden. Dabei muss man auf Modelle zurückgreifen, in denen Annahmen stecken, wie die Menschheit mit Energie umgeht, um wie viel die Bevölkerung wächst und wie viel Wald sie rodet. In allen Szenarien nimmt der Treibhausgasausstoß weiter zu und es verlagern sich die westlichen Randströme weiter zu den Polen. Damit sieht auch die Wärmeabgabe an die Atmosphäre faktisch anders aus. Die Lufttemperaturen werden sich in diesen Regionen erheblich verändern. Und weil das auf so engem Raum stattfindet - man kann sich diese Ozeanströmungen vorstellen wie warme Flüsse - erwärmt sich in der anliegenden Region das Klima dreimal so stark wie im globalen Mittel. Gerade für Japan und China, wo so viele Menschen leben, ist das eine extreme Veränderung!
Sie haben ja auch rückwirkend Daten ausgewertet, ist da denn schon jetzt etwas spürbar und in welchem Ausmaß?
Die Temperaturerwärmungen der letzten 100 Jahre sind nur ein kleiner Vorgeschmack dessen, was wir zu erwarten haben. In den letzten 100 Jahren haben sich die Temperaturen im globalen Mittel um ein halbes Grad erwärmt, in diesen Regionen war es doppelt soviel. Man sieht da schon was, hauptsächlich in den letzten 50 Jahren. Dabei muss man allerdings einbeziehen, dass das Klima auch von sich aus fluktuiert durch nichtmenschliche Einflüsse. So gab es mit den 70er Jahren eine Dekade, wo es in der Nordhemisphäre relativ kalt war. Und diese natürlichen Fluktuationen, die überlagern sich mit dem langfristigen Trend der globalen Erwärmung. Das führt dazu, dass der Trend auch mal 10, 20 Jahre genau umgekehrt oder abgeschwächt sein kann - aber das ist ein grundsätzliches Problem der Klimaforschung.
Haben Sie denn schon irgendwelche Prognosen, was Ihre Erkenntnisse konkret bedeuten? Sie schreiben, dass bestimmte Tiere polwärts ziehen, soweit das für sie überhaupt möglich ist, irgendwann geht es ja auch nicht mehr weiter nördlich oder südlich …
Ja, und manche können das auch gar nicht, die sind nicht so flexibel. Aber man sieht jetzt schon, dass sich die gesamte Arktis erwärmt, und man kann sich vorstellen, dass sich bestimmte Ökosysteme Richtung Pole verlagern und mit ihnen die Tiere, um eben genau die Temperatur oder die Umweltbedingungen vorzufinden, an die sie angepasst sind. Man nennt das auch Atlantifizierung. Bestimmte Fischsorten, wie der Kabeljau, werden in die Barentssee wandern. Bestimmte Regionen werden also davon auch profitieren.
Warum bildet der Golfstrom dabei eine Ausnahme? Sie wiesen ja schon darauf hin, dass er Teil des globalen Förderbands ist, das nährstoffreiches kaltes Tiefenwasser Richtung Äquator und warmes Oberflächenwasser Richtung Pole führt.
Es zeigt sich in den allermeisten Klimaszenarien, dass sich dieses Förderband abschwächt. Das wiederum sorgt dafür, dass der Golfstrom nicht reagiert, wie er es sonst tun würde. Die Verlangsamung des Golfstroms bewirkt eine relative Abkühlung, aber wenn man sich die Szenarien anguckt, führt das unter dem Strich immer noch zu einer Erwärmung. In 100 Jahren wird sich auch der Nordatlantik und damit Europa aufwärmen, aber nicht so stark, wie wenn dieses Phänomen nicht wäre. In diesem Sinne hilft uns die Abschwächung der thermohalinen Strömung: Die Erwärmung ist deutlich geringer als im globalen Mittel und erst recht als in Südjapan oder überhaupt den Küstengebieten am Kuroshiostrom.
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