Dichter Monolith mit scharfen kristallinen Kanten
Theater aus dem Knast: »Glaube Liebe Hoffnung« von aufBruch in der St. Johanniskirche Moabit
Schmucklos glatt sind die Wände des Langschiffes in Schinkels Kirchenbau. St. Johannis in Moabit, später erweitert, im Krieg ausgebrannt, dann wiedererrichtet, besticht äußerlich durch seine klassizistische Fassade und die Buntglasrosette über der Orgel. Wenige Stufen führen auf dem Altar zu einem schlichten Kreuz, das Maria und Johannes flankieren.
Davor tut sich, von drei Seiten umsitzbar, ein weiter Platz auf: Denkbarer Ort für eine Aufführung. Peter Atanassow und sein aufBruch Team, die seit Jahren in Gefängnissen spielen, haben einen sakralen Raum für das neue Projekt entdeckt und dafür die Unterstützung der Gemeinde gefunden. Ödön von Horváths Stück »Glaube Liebe Hoffnung« erweist sie als Pfund, mit dem allein sich trefflich wuchern ließe. Dramaturg Hans-Dieter Schütt flicht indes Teile weiterer Texte zum Thema ein und erreicht beißende Aktualität, die die Jahrhunderte überstreicht und einen aufwühlend prallen Bilderbogen der menschlichen Suche nach Gerechtigkeit entrollt - ohne heimtragbares, schon gar nicht tröstliches Ergebnis.
Rund 30 Mitwirkende zwischen 18 und 65 vereint das Über-Stück, Migranten, Ex-Häftlinge, Freigänger, Profiakteure, Amateure. Wer liebt, der glaubt an sich, und wer an sich glaubt, der kann die Hoffnung nicht verlieren, bringt einer der Mitspieler seine Gedanken zum Stück auf den Punkt. Das klingt so einfach wie einleuchtend. Die Wirklichkeit gestaltet sich schwieriger. So beginnt die Aufführung mit dem Mysterienspiel »Das Leiden der heiligen Jungfrauen Fides, Spes und Caritas« der Dichterin Roswitha von Gandersheim. Zufall: Datiert man ihre Geburt auf 935, wird 1835 St. Johannis geweiht, erscheint 1932 Horváths von den Nazis verbotener »Kleiner Totentanz in fünf Bildern«.
Als rhythmisierter Sprechchor, ein noch häufig wiederkehrendes Stilmittel, beginnt Hadrians Justiz an den Jungfrauen Glaube, Liebe, Hoffnung, die, eng verklammert, von der Kanzel herunter ermuntert werden, nicht abzuschwören, und des Todes sind. Rom scheint geschützt vor üblem Einfluss, die Mörderbande enteilt. »Zerfließe, mein Herze« aus Bachs Johannespassion intoniert das Klavier. Nicht nur christliche Realität: Der da den Kirchenraum säubert und das Vaterunser murmelt, kehrt symbolhaft den Dreck unter den roten Mittelteppich.
Auf ihm betritt verdreifacht Horváths Elisabeth die Szene, auf der Suche nach der Anatomie, der sie schon jetzt ihren Körper verkaufen will, um mit dem Erlös, 150 Mark, einen Wandergewerbeschein bezahlen zu können. Er sichert ihr durch den Verkauf von Unterwäsche den Lebensunterhalt. Der sonderliche Präparator gibt ihr in einer menschlichen Regung das Geld und tritt damit in einer inhumanen Gesellschaft, in der man nicht verstehen, sondern nur gehorchen soll, ihren Untergang los. Denn sie tilgt mit dem Betrag eine Vorstrafe, leiht denselben Betrag von der Amtsgerichtsfrau, die mit dem Gewerbe ihren Mann unterstützt. BH und Mieder trägt die Feine am Kreuz als Standarte vor sich her, als wäre damit ihr Tun christianisiert.
Elisabeth setzt nichts um, erhält Schläge; zudem hat der Präparator erfahren, dass mit seinem Geld die Vorstrafe beglichen wurde, und will sie ins Zuchthaus bringen: 14 Tage Gefängnis. Dieser Makel stigmatisiert sie für den Rest ihres Lebens.
Das könnte eine gute Wendung nehmen. Ein junger Polizist liebt sie, will sie heiraten. »Lauter kleine Paragraphen«, wie sie klagt, stehen dagegen. Denn Frau Amtsgerichtspräsident wirkt aufklärend auf den Bräutigam, dem die Karriere näher steht als eine vorbestrafte Geliebte. Kneipenszenen aus Alfred Döblins Roman »Berlin Alexanderplatz« ebenfalls um einen Gescheiterten konkretisieren in Wortsophisterei die explosive Zeit: Glaube prallt auf rote und braune Ideologie, Hoffnung auch.
Dass der Mensch ein reißendes Tier ist, beweist eine Kriminalbeamtin: In einem Würgewalzer stößt der Polizist sein Mädchen von sich, fühlt sich betrogen. Claire Waldoffs Couplet »Ach Gott, was sind die Männer dumm« hebt Elisabeths Tragödie ins bürgerlich Possierliche. Die endet mit einem Suizid, der Retter wird groß gefeiert, kommt in die Zeitung, gut für die Firma. Nicht wegen euch bin ich ins Wasser gegangen, keucht Elisabeth noch: Hatte nix zu fressen! Von der Kanzel herunter wütet im Trio Ulrike in Elfriede Jelineks Stück »Ulrike Maria Stuart«: Ihr wolltet mich nicht, Deutsche, ich gebe mich der Revolution!
Was sich in zwei pausenfreien Spielstunden eminent dramatisch zugespitzt hat, endet im geistlichen Chorus »Ich bete an die Macht der Liebe«. Ausweg oder Ironie? »Glaube Liebe Hoffnung«, hier ein dicht gepresster Monolith mit scharfen kristallinen Kanten, ereignet sich in einer Spielwucht, die ihresgleichen sucht. Antike Sprechchöre mit Brechtschen Zäsuren treffen auf Monologe von ungeheurer Intensität und Hingabe an das Thema. Kein Glaube, keine Liebe, keine Hoffnung: die Zeichen unserer Zeit? Auch und wohl besonders Strafgefangener.
Wieder 27.-31.7., 3.-6.8., 20 Uhr, St. Johannis, Alt-Moabit 25; www.gefaengnistheater.de
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