Bloß nicht positionieren

Kritik an dem europäisch-kanadischen Freihandelsabkommen CETA wird in der SPD oft zurückhaltend formuliert

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.
Nicht alle linken Sozialdemokraten wollen sich bereits jetzt auf eine Ablehnung von CETA festlegen. Einige von ihnen suggerieren, dass noch positive Änderungen an dem Vertrag möglich seien.

Der Satz, den Klaus Mindrup am Dienstagabend über das geplante europäisch-kanadische Freihandelsabkommen CETA sagte, ist in der SPD zurzeit oft zu hören. »Wir werden uns die Details im Vertrag, der erst seit kurzem in deutscher Übersetzung vorliegt, genau ansehen und diese kritisch prüfen«, erklärte der Berliner Bundestagsabgeordnete. Mindrup hatte zu einer Diskussionsrunde in seinem Wahlkreis Pankow geladen. In dem Backsteinbau der Kulturbrauerei saßen etwa 50 Menschen unterschiedlichen Alters. Es blieben kaum Stühle frei. Der transatlantische Freihandel bewegt zahlreiche Genossen. Die Sorgen sind groß, dass im Zuge von CETA und TTIP im Interesse von Konzernen Standards im Sozial- und Umweltbereich ausgehöhlt werden und sich der zusätzliche Konkurrenzdruck negativ auf die Situation der Arbeiter und Angestellten auswirkt. Ein älterer Mann aus dem Publikum fragte: »Wozu brauchen wir die Verträge überhaupt? Soll der Druck auf die Löhne immer weiter steigen?«

Diese Sorgen konnte Mindrup nicht ausräumen. Er lehnt den Freihandel nicht grundsätzlich ab, sieht aber vieles skeptisch. In diesem Zusammenhang nannte der Umweltpolitiker die Bereiche Verbraucher- und Umweltschutz sowie die Arbeitnehmerrechte. Er sei aber optimistisch, dass »wir mit Kanada etwas Fortschrittliches hinbekommen«. Aus der SPD-Linken im Bundestag, zu der Mindrup gehört, hieß es vor einigen Wochen, dass noch Rechtsbegriffe im Vertrag präzisiert werden müssten. Nach großem Änderungsbedarf klang das nicht.

Warum sich viele Sozialdemokraten vorsichtig zu CETA äußern, liegt auf der Hand. Jede Kritik an dem Abkommen richtet sich auch gegen Parteichef Sigmar Gabriel. Dieser hat betont, wie wichtig es sei, dass Europa die Standards des Welthandels beeinflusse. Gabriel muss lavieren. Er hat sich als Wirtschaftsminister auf die Seite von Unternehmen gestellt, die sich durch den Freihandel größere Gewinne erhoffen, andererseits braucht Gabriel die Zustimmung der SPD. Wann TTIP unterschriftsreif vorliegen wird, steht in den Sternen. Die Verhandlungen zwischen den USA und der EU-Kommission kommen kaum voran. CETA ist dagegen weitgehend ausverhandelt. Bei der Abstimmung des EU-Handelsministerrates wird Gabriel Ende September wohl für das Abkommen votieren.

Ein großer Streit über ihre Position zum Freihandel könnte die Krise der SPD verschärfen. Im September finden in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern Landtagswahlen statt. Dort stellen die Sozialdemokraten die Regierungschefs, müssen aber nun Einbrüche befürchten. Die Partei will am 19. September, einen Tag nach der Berliner Wahl, bei einem Parteikonvent in Wolfsburg über CETA beraten und dort einen Beschluss fassen.

Allerdings setzt nicht die gesamte Partei auf Zurückhaltung. Neben dem linken SPD-Verein Forum DL 21 wollen auch die Landesverbände Bayern und Bremen CETA in der vorliegenden Form nicht zustimmen. Sie sehen die von der SPD beschlossenen roten Linien zum Freihandel als überschritten an. Kritiker wie der Bremer Europaabgeordnete Joachim Schuster warnten vor missbräuchlichen Klagen von Konzernen gegen Staaten und möglichen Liberalisierungszwängen in der Daseinsvorsorge.

Sollte CETA an der SPD scheitern, müsste Sigmar Gabriel wohl von seinen Ämtern zurücktreten. Unterstützung hatte er zuletzt immerhin von seinem Parteifreund Martin Schulz im »Spiegel« erhalten. Nach Ansicht des EU-Parlamentspräsidenten hat die kanadische Regierung in der Frage der Schiedsgerichte große Zugeständnisse gemacht. Stattdessen soll es Handelsgerichte geben, für die sich Gabriel eingesetzt hatte. Ein großer Fortschritt ist dies aber nicht. Spezielle Sonderklagerechte für ausländische Investoren bleiben bestehen.

Auch die Politikwissenschaftlerin und Vorsitzende der SPD-Grundwertekommission Gesine Schwan stellte sich nun hinter den Parteichef und lobte die »Verbesserungen« beim europäisch-kanadischen Abkommen. »Es ist nicht gut für Sozialdemokraten, gegen CETA Sturm zu laufen«, sagte sie bei der Veranstaltung in der Kulturbrauerei. Man solle Sigmar Gabriel »nicht noch einen draufgeben«, damit er womöglich stürze.

Einen möglichen Ausweg aus dem Dilemma sehen Mindrup und Schwan in weiteren Verhandlungen zwischen der EU und Kanada zu CETA. Diese Forderung haben auch der Deutsche Gewerkschaftsbund sowie kanadische Gewerkschafter erhoben. Mindrup mahnte »einen engen Schulterschluss mit den Gewerkschaften« an. Dies lehrten die Erfahrungen der Agenda 2010. Damals hatten sich SPD und DGB wegen des neoliberalen Kurses der Partei entfremdet. Die Freihandelspolitik könnte nun ähnliche Auswirkungen für die SPD haben.

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