Anklagetafel für die europäische Migrationspolitik
Barcelona errichtete Anzeigestele für im Mittelmeer ertrunkene Flüchtlinge / Italien und IOM legen Kampagne gegen Flucht auf
Berlin. Mit der Errichtung einer »Anzeigetafel der Schande« für im Mittelmeer ertrunkene Flüchtlinge hat die Regierung von Barcelona für Aufsehen gesorgt. Am Donnerstag weihte die Bürgermeisterin Ada Colau die Stele ein – 3034 Tote zählte sie zu diesem Zeitpunkt. Die Zahl hatte die Internationale Organisation für Migration (IOM) am Dienstag für die ersten sieben Monate dieses Jahres bekanntgegeben.
Die Anzeigetafel ist in der Nähe eines beliebten Strandes installiert. Neben der Zahl steht darauf: »Das ist nicht bloß eine Zahl, das sind Menschen.« Und weiter unten: »Wir kennen weder ihre Namen noch ihre persönlichen Geschichten. Aber wir wissen, wie viele es sind.« Am Ende steht in größeren Buchstaben: »Wir sind eine Flüchtlingsstadt und werden immer eine bleiben.«
In diesem Jahr sind bis dato weitaus mehr Geflüchtete bei der gefährlichen Überfahrt nach Europa ums Leben gekommen als im selben Zeitrum des Vorjahres. Zwischen Januar und Juli 2015 waren laut IOM 1917 Todesopfer zu beklagen.
Wie die spanische Zeitung »El País« berichtet, wurde Colau bei der Zeremonie ausgebuht. Die seit gut einem Jahr regierende Vertreterin der basisdemokratischen Plattform Barcelona en Comú wurde demnach für Verhaftungen von Menschen kritisiert, die illegal auf den Straßen Barcelonas Waren verkauft und musiziert hatten.
Die IOM belässt es derweil nicht dabei, tote Flüchtlinge zu zählen. Am Donnerstag stellte sie zusammen mit dem italienischen Innenministerium eine Kampagne vor, die Menschen aus Afrika von der Überfahrt nach Europa abschrecken soll. Das Projekt mit dem Titel »Aware Migrants« (Wissende Migranten) im Volumen von 1,5 Millionen Euro besteht aus kurzen Videos, in denen Überlebende von Bootsunglücken ihre Geschichten erzählen. Die Filme in arabischer, englischer und französischer Sprache würden unter anderem über soziale Medien und das Fernsehen in 15 Ländern Afrikas verbreitet, heißt es in einer Presseerklärung zur Kampagne.
Wer die Homepage zur Kampagne aufruft, wird sofort mit einem verstörenden Video konfrontiert. Zu sehen sind Gesichter, zu hören Schreie und Lärm, offensichtlich von einer Rettungsaktion. Am Ende des Clips ist die Botschaft zu lesen: »It’s time to open your eyes« – Es ist Zeit, dass Sie ihre Augen öffnen.
Mit den Videos soll das Bewusstsein über die gefährliche Reise durch die Wüste und über das Mittelmeer bei »potenziellen Migranten« gestärkt werden. »Wir haben eine moralische Pflicht, die Menschen detailliert zu informieren, wie die Reise wirklich ist, und sie haben das Recht eine kenntnisreichere Entscheidung zu treffen«, sagte Federico Soda, Direktor des IOM-Koordinierungsbüros für das Mittelmeer.
Italiens Innenminister Angelino Alfano betonte, beim Phänomen Migration müsse man an mehreren Fronten aktiv sein. »Diese Kampagne vervollständigt unsere Gesamtstrategie«, so Alfano. Agenturen/kah
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.