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Kreativ und weltoffen

Das Filmfestival New Horizons in der Europäischen Kulturhauptstadt Wrocław

  • Kira Taszman
  • Lesedauer: 3 Min.

Die südpolnische Metropole Wrocław erkundet man am besten mit gesenktem Kopf. Warum? Wegen der Zwerge. Eine Handvoll der etwa 30 Zentimeter hohen Männlein aus Bronze wurde erstmals vor etwa 15 Jahren als Hommage an die sozialismuskritische 80er-Jahre-Bewegung »Orange Alternative« an diversen Orten der Stadt aufgestellt. Mittlerweile bevölkern 300 Zwerge die Stadt, und in diesem Jahr sollte man besonders auf die Musiker-zwerge, den Theaterzwerg oder den Kinofanzwerg achten, denn Wrocław fungiert neben San Sebastian als Europäische Kulturhauptstadt 2016.

Allenthalben erblickt man Ausstellungen, die vom »Wrocław 2016«-Fonds unterstützt wurden. Als größte Attraktion des Kulturjahres hat »Wrocław 2016« die Freiluftspektakel »Flow« veranstaltet: als Festzug sowie am Ufer der Oder als Geschichts-Musical, das von Musikern aus Polen, Deutschland, Tschechien und Israel begleitet wurde. Auch Wrocław selbst hat sich aufgebrezelt: Fassaden poliert, Gehwege geebnet - und viel gebaut.

Vor den Toren der Altstadt prangt nun das Nationale Forum der Musik (NFM), ein bordeauxfarbener Monumentalbau, der Symphonie-, Jazzorchester oder Musicals empfängt. Das heutige Wrocław wurde auf den Ruinen des im Zweiten Weltkrieg fast völlig zerstörten Breslau aufgebaut, seine Bevölkerung komplett ausgetauscht. Durch die Prägung der Einwanderer sei die Stadt bis heute so weltoffen, sagt Krzysztof Maj, Direktor von »Wrocław 2016«. Offen und kreativ zeigt sich auch das größte polnische Filmfestival »New Horizons«, das seit 2006 in Wrocław stattfindet und am Sonntag zu Ende ging. Festivaldirektor Roman Gutek fungierte dieses Jahr als einer von acht Kulturkuratoren der Stadt und hat dem ohnehin multimedialen Festival einige Akzente hinzugefügt. So fand im NFM das Musical »Lost Highway« (eine Adaption von David Lynchs Kultfilm) statt und die Filmoper »River of Fundament« des gefeierten US-Künstlers Matthew Barney gezeigt.

Auch sonst bestätigte das mit etwa 300 Filmen und 100 000 Zuschauern aufwartende Festival seinen Ruf als Veranstaltung mit einem innovativen Wettbewerb, einer ausführlichen Nachlese von A-Festival-Filmen und etlichen Filmreihen. So wurde der italienische Regiemeister Nanni Moretti in einer Retrospektive gewürdigt und erteilte in einer zweistündigen Masterclass Auskunft über seine Arbeitsweise. Auch polnisches Kino präsentierte sich. Während der neue nationalkonservative Kulturminister Piotr Gliński von der Produktion heroischer Historienfilme träumt, fürchten polnische Filmemacher, dass fortan vor allem politische Kriterien über die Filmförderung entscheiden könnten. Hatten sich polnische Regisseure in den letzten Jahren intensiv mit der Vergangenheit auseinandergesetzt, glauben viele, dass ein Film wie Paweł Pawlikowskis Oscargewinner »Ida«, der auch polnischen Antisemitismus behandelt, heute in Polen nicht mehr gedreht werden könnte.

Der Wrocławer Regisseur Przemysław Wojcieszek traut sich als einer von wenigen, heutige kulturpolitische Missstände offen zu kritisieren. In seinem aus eigener Tasche und mit Crowdfunding finanzierten Film »Knives Out« erzählt er zugespitzt von einer nationalistisch aufgestachelten Jugend. Auf Förderung beim Polnischen Filminstitut hatte er aufgrund des Sujets gleich verzichtet. »Eskapistische Filme sind in Polen o.k.«, sagt Wojcieszek. »Aber ich will tagesaktuelle Filme drehen, keine Parabeln wie zu Zeiten der Volksrepublik!« Zwar lebe er in Freiheit, räumt er ein, doch seinen Lebensunterhalt muss er mit Theaterarbeit bestreiten.

Dem Festival selbst wurden auch staatliche Gelder gestrichen. Doch da es vorrangig von der Stadt Wrocław, dem Hauptsponsor T-Mobile und europäischem Geld finanziert wird, hatte dies kaum Einfluss auf das Programm, sagt Festivaldirektor Gutek. Schwerer wog die Streichung staatlicher Gelder für die von Gutek initiierte Filmerziehung von Schülern: Workshops fielen aus, Filme zu Studienzwecken konnten nicht gekauft werden. Das Kulturministerium wolle Inhalte bestimmen, erklärt Gutek - Themen wie »Gender« missfielen da.

Weltoffen bleiben Festival und Stadt dennoch. Wer etwa mit dem eigens an Wochenenden eingerichteten Kulturzug von Berlin nach Wrocław fahren will, kann das bis zum 25. September noch tun. Und wer dann Zwerge entdecken will: Einen Toleranzzwerg mit Rastafrisur gibt es in Wrocław auch.

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