Eine willkommene Ausrede
Warum der Golfsport bei der Olympiarückkehr auf seine Stars verzichten muss
Justin Gatlin, Trayvon Bromell, Jimmy Vicaut und Usain Bolt sind derzeit die schnellsten Menschen der Welt. Milliarden fiebern ihrem olympischen Finale über 100 Meter in Rio de Janeiro entgegen. Nun stelle man sich vor, die vier gehen gar nicht an den Start. Undenkbar, denn Olympia ist für Leichtathleten der Höhepunkt der Karriere. Der Wettkampf kommt schließlich nur einmal alle vier Jahre daher und sicher Ruhm für alle Zeiten. Im Golf scheint das anders zu sein. Obwohl der Sport sogar eine 112 Jahre lange Olympiapause hinter sich hat, sind die derzeit vier besten Spieler der Welt in Rio nicht dabei.
Eines haben der Australier Jason Day, die US-Amerikaner Dustin Johnson und Jordan Spieth sowie der Nordire Rory McIlroy dabei gemeinsam. Sie alle nannten die Angst vor einer Ansteckung mit dem Zika-Virus und die damit verbundenen Gefahren für ihre Familien als Grund für ihre Absagen. »Meine Frau Ellie und ich sind mit zwei wundervollen und gesunden Kindern gesegnet und unser Plan ist es, mehr Kinder zu haben«, schrieb Day. Auch wenn Ärzte und Experten die Bedrohung durch den Virus als gering einstuften, werde er kein Risiko für sich und seine Familie eingehen, so der 28-Jährige.
Insgesamt sagten knapp 20 Golfer das Olympiaturnier ab, fast alle wegen Zika. Doch nicht nur Golfprofis verzichten auf Rio. Auch im Tennis gab es eine kleine Absagewelle, wenn auch nicht von den größten Stars. »Ich werde nicht dabei sein, die Gesundheit meiner Familie hat höchste Priorität«, teilte der Weltranglistenachte Tomas Berdych mit. Der Kanadier Milos Raonic, eine Position vor dem Tschechen platziert, sagte ebenso ab, wie die Fünfte der Welt, Simona Halep aus Rumänien - alle wegen Zika. Auch NBA-Größen verzichten auf das Basketballturnier. LeBron James vom Meister aus Cleveland »könnte eine Pause gebrauchen«. Und von den Fußballstars kommt auch nur Neymar. Zlatan Ibrahimovic, Cristiano Ronaldo oder Lionel Messi machen einen großen Bogen um Rio.
James, Ronaldo und Messi waren immerhin schon mal bei Olympia dabei, und Ibrahimovic hat gerade erst die EM hinter sich. Dass Olympia für Fußballer trotzdem keine große Sache ist, zeigt der Fall Loris Karius. Der 23-Jährige sollte in Rio das deutsche Tor hüten, doch kurz nach seinem Wechsel vom FSV Mainz 05 zum FC Liverpool für rund 5,5 Millionen Euro sagte er, dass er sich mit seinem neuen Trainer Jürgen Klopp darauf geeinigt habe, »dass es keinen Sinn für mich macht, zu Olympia zu fahren. Ich würde sonst zwei Ligaspiele verpassen und die will ich natürlich spielen. Es ist wichtiger, dass ich am Saisonstart einsatzbereit bin.« Für zwei Ligaspiele auf Olympia verzichten - kein Volleyballer würde das verstehen. Allerdings machen Volleyball-, Handball- und Basketballligen in ihren Spielplänen auch Pause für Olympia. Die Deutsche Fußball Liga startet derweil die 2. Liga parallel zu Olympia.
Es fällt auf, dass von Sportarten, die nicht wie Golf, Tennis oder Fußball mit Millionenverträgen, Preisgeldern, Werbeeinnahmen und üppigen Fernsehübertragungen gesegnet sind, keine Absagen wegen des in Lateinamerika grassierenden Virus› vermeldet wurden. Daher vermuten nicht wenige, dass dieser Grund nur vorgeschoben sei. So sagte Carlos Nuzman, Chef des Olympiaorganisationskomitees jüngst. »Sie haben versucht, die Schuld auf Zika zu schieben, aber sie kommen nicht, weil es kein Preisgeld gibt. Zika ist in Florida viel schlimmer als in Brasilien, und in Florida spielen die Golfer.«
Das Problem an Nuzmans Aussage ist, dass sie nicht der Wahrheit entspricht. Mehr als 26 000 Zika-Fälle sind allein im Bundesstaat Rio de Janeiro gezählt worden, nur 307 in Florida, und alle 307 wurden auf Ansteckungen von Reisenden außerhalb der USA zurückgeführt. Auch das Preisgeldargument zieht nicht. Parallel zu den Spielen können die Golfer bei keinem großen Turnier viel Geld gewinnen. Und beim wichtigsten Turnier des Jahres, dem Ryder Cup Ende September, werden die besten Spieler aus Europa und den USA auch nur für die Ehre spielen.
Die grundlegende Annahme, dass Olympia vielen Golfern nicht wirklich wichtig ist, scheint dennoch nicht ganz unbegründet. »Ich sehe es auch als angenehme Ausrede für manche. Es ist sehr schwer zu verstehen, dass du am größten und ältesten Sportevent der Welt nicht teilnimmst«, sagte nicht irgendein Kanute, Judoka oder Moderner Fünfkämpfer, sondern Deutschlands Golfstar Martin Kaymer. Er ist ein Golfer, der für Olympia brennt. Kaymer will im Olympischen Dorf wohnen und schon früh anreisen, um auch ja die Eröffnungsfeier nicht zu verpassen.
Auch der zweimalige Masters-Sieger Bubba Watson ist dabei. Er hat sich schon Tickets für Fechten und sogar Handball gekauft, ein Sport, der in den USA fast unbekannt ist. Er hätte auch einfach einen für die Athleten reservierten Sitzplätze haben können. »Mein Caddy hätte dann aber nicht mitkommen können. Also habe ich Karten gekauft und werde unter all den anderen normalen Zuschauern sitzen« , so Watson. Es gibt sie also doch, die ganz normalen Typen unter den Golfprofis.
Auf sie zählt der Weltverband IGF. »Die Beulen, die wir uns geholt haben, haben den Glanz der Rückkehr beeinträchtigt«, bekannte Generaldirektor Antony Scanlon. »Wir waren nicht in der Lage, die Meinung von einigen Spielern zu ändern. Für uns war das enttäuschend.« Dennoch hoffe er auf einen erfolgreichen Auftritt in Rio. »Wir haben noch acht der besten 15 Spieler in Rio und das bestmögliche Feld bei den Frauen«, sagte Scanlon.
IOC-Präsident Thomas Bach hat derweil schon mal die olympische Zukunft des Golfsports wieder infrage gestellt. Nach den Spielen werde die Sportart evaluiert. »Eine der Hauptkategorien ist natürlich die Frage, ob die besten Spieler dabei sind«, sagt Bach. Ein sofortiger Rausschmiss nach Rio ist aber unwahrscheinlich, da auch TV-Quoten ein Kriterium sein werden, und die sind vor allem in den USA im Golf meist hoch.
Rory McIlroy hat Olympia mal als »belanglos« bezeichnet. Und darin steckt ein großer Teil der gesuchten Wahrheit. Golfspieler träumen schon als Kinder von Siegen bei Major-Turnieren oder dem Ryder Cup, nicht von Olympiagold. So wie kleine deutsche Fußballer mal Weltmeister werden wollen und nicht Olympiasieger.
Brad Gilbert denkt, dass sich das zumindest bei Golfern in vier Jahren ändern wird. Der Amerikaner gewann 1988 Olympiabronze im Tennis. Sein Sport hatte zuvor auch 64 Jahre lang auf Olympia warten müssen. Und in Seoul waren auch nur drei der besten zehn Spieler der Weltrangliste am Start. »Ich wäre geschockt, wenn 2020 in Tokio nicht alle Stars dabei sein werden. Die ersten Spiele sind noch wie ein Testlauf«, so Gilbert.
Die Spiele in Südkorea hatten viele Tennisprofis wegen angeblicher Sicherheitsbedenken abgesagt. »Was jetzt im Golf passiert, erinnert mich stark an 1988,« sagt Gilbert. »Viele waren sich einfach nicht sicher, was sie von Olympia halten sollen.« Der Schwede Mats Wilander, der in dem Jahr drei der vier Grand Slams gewonnen hatte, kam nicht. Der Weltranglistenvierte Andre Agassi auch nicht. 1996 hatte der Amerikaner dann seine Meinung geändert und richtete alles auf den Gewinn der olympischen Goldmedaille in Atlanta aus. Er gewann sie auch. Dieser Sieg sei »einer der dankbarsten Momente meiner Karriere«, sagte Agassi später. Vielleicht hört man solche Sätze in vier Jahren auch von Golfstar Jason Day.
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