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Don Quichotte und das »liberale« System
Ernst Nolte, Autor zahlreicher Bücher zur deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert, ist verstorben
Er konnte wegen einer angeborenen Behinderung (drei Finger der linken Hand waren verstümmelt) nicht am Zweiten Weltkrieg teilnehmen. Ein jüngerer Bruder fiel siebzehnjährig. Der überlebende Ernst Nolte, geboren am 11. Januar 1923, studierte bei Heidegger, sah sich mit der Bilanz Hitler-Deutschlands konfrontiert und traf eine Entscheidung.
Sie findet sich in seiner Habilitationsschrift von 1963: »Der Faschismus in seiner Epoche«. Mussolini, die »Action française« und Hitler seien Mittel gewesen, deren sich das »liberale System« zu seiner Verteidigung gegen den Sozialismus bediente. Nolte billigte das, hatte es mit seinem Buch aber zunächst akademisch schwer. Erstens war es neben seiner Berufsarbeit als Studienrat geschrieben worden, und die Historikerzunft mochte keine Quereinsteiger. Zweitens widersprach seine These der Totalitarismusdoktrin, wonach Rot gleich Braun sei. Nolte hatte ein Geheimnis der bürgerlichen Gesellschaft ausgeplaudert.
Wolfgang Abendroth unterstützte seine Berufung an die Marburger Universität. Die altbackenen Ordinarien waren so erschrocken über die Aussicht auf einen ungemütlichen Kollegen, dass sie sogar Geschmack an dem listigen Vorschlag des Soziologen Heinz Maus fanden, man könne sich ja auch um Eric Hobsbawm (den - und dessen Mitgliedschaft in der britischen KP - sie kaum gekannt haben dürften) bemühen. Als dieser abwinkte, ließ sich 1965 Ernst Nolte in Marburg nicht mehr verhindern. Drei Jahre verstanden er und Abendroth - beide waren Außenseiter - sich recht gut.
Das änderte sich ab 1968. Nolte erkannte in der Studierendenrevolte eine neue Bedrohung seines »liberalen Systems«, wurde Mitbegründer und einer der drei Vorsitzenden des »Bundes Freiheit der Wissenschaft«. Er versuchte mit einer öffentlichen Kampagne die Habilitation Reinhard Kühnls zu verhindern. Der hatte nämlich noch tiefer geblickt als er und das »liberale System« als Kapitalismus identifiziert, zu dessen Verteidigung kein Mittel erlaubt sei, schon gar nicht der Faschismus.
1973, ein Jahr nach der Emeritierung Wolfgang Abendroths, ließ sich Nolte an die Freie Universität in Westberlin berufen. Marburg erschien ihm nicht mehr als wichtiger Kampfplatz.
In der beginnenden Schwächeperiode des sowjetischen Sozialismus sah er - wie einige andere auch - einerseits die Chance, dass es eines Tages doch zu einer Wiedervereinigung kommen könne, andererseits aber die Gefahr, dass den Deutschen aufgrund ihrer Vergangenheit die Legitimation hierfür abgesprochen werden könne. Deshalb spitzte er seine alte These zu und behauptete, der Gulag sei »ursprünglicher als Auschwitz« gewesen. Zu Ende gedacht hieß das: Das liberale System sei durch ein Ungeheuer bedroht gewesen, den Bolschewismus, und so sei dieser letztlich schuld am Judenmord. Nicht gegen diese geschichtsphilosophische Konstruktion, sondern gegen die ungeheuerliche Relativierung von Auschwitz wandte sich Jürgen Habermas. Im Historikerstreit, der jetzt ausbrach, unterlag Ernst Nolte. Seit der Rede des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker am 8. Mai 1985 hatten die Eliten begriffen, dass der nationale Anspruch anders legitimiert werden musste.
Nolte verhärtete sich. Er plädierte dafür, dass die Holocaust-Leugner gehört werden müssten. Das hielt er wohl für wissenschaftlich redlich. Schon Kühnl hatte er einst Mangel an Fairness für die NPD vorgeworfen.
Bis zum Historikerstreit war er, nach Überwindung seiner frühen Schwierigkeiten, ein Star gewesen, ein geschätzter Autor der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung für Deutschland«. Jetzt durfte er nicht mehr dort schreiben. In seinen späten Jahren beschäftigte er sich mit einem weiteren Feind des »liberalen Systems«: dem Islamismus. Da wollten ihn aber nicht mehr viele hören.
Ernst Nolte, der am 18. August starb, war ein kompromissloser Feind des Kommunismus und unglücklicher Liebhaber des »liberalen Systems«, das jedoch zuletzt nicht von ihm verteidigt werden wollte.
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