Die große Lust aufs Auswärtsspiel
Weil die Bundesligaklubs mehr Geld verdienen wollen, suchen sie sich fernab der Heimat neue Fans
»Fußball ist nicht alles.« Nicht provokant und schon gar nicht angriffslustig ist dieser Satz von Thomas de Maizière. Der Bundesinnenminister kam am Mittwoch auf der Generalversammlung der Deutschen Fußball Liga (DFL) lediglich seiner Pflicht nach - schließlich ist der CDU-Politiker auch Deutschlands zuständiger Minister für den Sport. Und so stellte er folgende Frage im Tagungssaal des Berliner Hotels InterContinental auch nur rhetorisch: »Wie kann die Superdominanz des Fußballs eingeschränkt werden?« Nach einer Antwort werden weder die anwesenden Manager der 36 Erst- und Zweitligaklubs noch die DFL-Verantwortlichen suchen.
Wenn am Freitag die 54. Bundesligasaison mit dem Eröffnungsspiel von Bayern München gegen Werder Bremen beginnt, werden beispielsweise die Kanuten, die während der Olympischen Spiele in Rio die erfolgreichsten deutschen Medaillensammler waren, schon wieder von der medialen Bildfläche verschwunden sein.
Sport und Politik sind nicht zu trennen, das gilt auch für den Fußball. Das Verhältnis zur weltweit beliebtesten Sportart unterscheidet sich aber grundsätzlich von den meisten anderen. Weil der Staat hier nicht als finanzieller Förderer auftreten muss und im Gegenzug Siege und Medaillen fordern kann. Weil der Fußball zu einem der erfolgreichsten Wirtschaftsmodelle geworden ist - und der Staat profitiert. Fast eine Milliarde Steuern zahlte der Profifußball nach der Saison 2014/2015. In jener Spielzeit brachte es die 1. Bundesliga auf einen Umsatz von mehr als 2,6 Milliarden Euro. Satte Gewinne, obwohl die 18 Klubs ihren Spielern fast eine Milliarde an Gehalt zahlten.
Als Thomas de Maizière am Mittwoch seine Grußworte überbracht hatte, duzte ihn der im Amt bestätigte DFL-Präsident Reinhard Rauball vor vollem Auditorium ganz selbstverständlich. Die Nähe zum Profifußball zeigte auch Angela Merkels Reise im Juni zu Regierungskonsultationen nach China. Zur Wirtschaftsdelegation der Bundeskanzlerin gehörten nicht nur Vorstandvorsitzende von BASF, ThyssenKrupp, Siemens, BMW, Volkswagen oder Lufthansa, sondern auch DFL-Geschäftsführer Christian Seifert.
Die Bundesliga in China? Ja! Denn auch im Fußball gilt das Olympische Motto »citius, altius, fortius« - schnelleres Wachsen, höhere Einnahmen, stärkere Marktposition. Und China gilt eben auch im Fußball als der weltweit größte Wachstumsmarkt. Geschätzte 40 Millionen Menschen werden dort im Jahr 2020 Fußball spielen. China steht auf Platz eins der elf DFL-Zielmärkte, dahinter folgen Russland, Nordamerika, Polen, Indonesien, Japan, Türkei, Indien, Thailand, Brasilien, Südafrika. Mit insgesamt bis zu 1,5 Millionen Euro pro Saison bezuschusst die DFL Vereine, die ihre Trainingslager in jenen für die Zukunft wichtigen Wirtschaftsgebieten abhalten.
Der FC Bayern München verbrachte in diesem Sommer zwei Wochen in den USA, bestritt dort in Chicago, Charlotte und New York drei Spiele und hatte etliche PR-Termine zu absolvieren. Dass 15 000 Flugkilometer und teilweise bis zu sieben Stunden Zeitverschiebung keine sinnvolle sportliche Saisonvorbereitung zulassen, spielt nur eine nebensächliche Rolle. »Entscheidend ist, dass solche Spiele in Amerika stattfinden«, meint Bayerns Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge. Es gilt, die 60 Millionen Fußballfans in den USA zu erreichen. Um Trikots zu verkaufen und weitere Sponsoren sowie zahlungswillige Medienunternehmen zu finden. Zur Eigenvermarktung hat der FC Bayern bereits in China und den USA eigene Büros eröffnet.
Am Mittwoch bat DFL-Geschäftsführer Christian Seifert in Berlin die Klubs, ihr Auslandsengagement weiter zu verstärken. Denn ohne neue Märkte kein Wachstum. Mehr als die Hälfte der Einnahmen des Profifußballs kommen aus dem Verkauf der Medienrechte und von Sponsoren. Stolz präsentierte Seifert noch mal den neuen Fernsehvertrag, der den 36 DFL-Klubs jährliche Einnahmen von 1,2 Milliarden Euro garantiert. »Das ist der zweitbeste nationale Medienvertrag aller Ligen weltweit«, sagte Seifert. Aber wie bei den Werbeeinnahmen durch nationale Sponsoren bietet auch der Verkauf der nationalen Medienrechte kaum noch nennenswerte Steigerungsmöglichkeiten.
Deshalb geht der Blick in die Ferne. Die Zahlen aus England dienen der DFL durchaus als Vorbild. Mehr als 2,5 Milliarden Euro erzielt die Premier League mit dem Verkauf ihrer Übertragungsrechte für die Jahre 2016 bis 2019 im Ausland. Die DFL kommt bislang jährlich auf etwas mehr als 150 Millionen Euro. Englische Vereine begannen ihr Auslandsengagement aber auch schon Mitte der 90er Jahre, vor allem in Asien. Der deutsche Fußball will aufholen, seit 2013 hat die DFL ein Büro in Singapur.
Daniel Maderer ist Ökonom und hat seine Doktorarbeit über die Internationalisierung von Fußballvereinen geschrieben. Er meint: »Die Internationalisierung ist die Reinform der Fußball-Kommerzialisierung.« Der Blick nach Großbritannien, dem Mutterland des Weltsports, wo fast nur noch Investoren in den Klubs das Sagen haben, belegt die teilweise aberwitzige Abkehr von den Wurzeln des Sports und seiner Tradition. Der walisische Verein Cardiff City, gegründet 1899, ist in der Hand von Vincent Tan. Der Investor aus Malaysia ist gleichzeitig Präsident. Um seinen Verein in Asien populärer zu machen, änderte er den Spitznamen: Aus den »Bluebirds« wurden die »Red Dragons« - und die spielten fortan auch nicht mehr in Blau, sondern in Rot. In Asien steht Rot für Erfolg und Glück.
Argumente gegen den Wachstumswahn gibt es genügend. Beachtet werden sie von den Verantwortlichen nicht. Als der FC Bayern Anfang 2016 zum Wintertrainingslager nach Katar reiste, sah der Klub darin keine politische Äußerung. Dass dort auf den Baustellen für die Fußball-WM 2022 schon Hunderte, meist rechtlose ausländische Bauarbeiter ihr Leben verloren haben, blieb zweitrangig.
Vor fast genau 53 Jahren, am 24. August 1963, startete die 1. Bundesliga - mit allen acht Partien an einem Tag, zur gleichen Zeit. Dass durch den neuen Fernsehvertrag der Spielplan noch weiter zerstückelt und in der ersten Liga nun von Freitag bis Montag gespielt wird und somit auch Auswärtsreisen für Fans zu einer noch größeren Tortur werden, interessiert nicht. »Wie sind bereit, auch unpopuläre Maßnahmen zu ergreifen«, kündigte Christian Seifert schon vor Abschluss des lukrativen Deals an.
Einig waren sich am Mittwoch auch Reinhard Rauball und Thomas de Maizière. »Natürlich sind Gehälter und Ablösesummen für viele Menschen kaum noch nachvollziehbar, aber der internationale Markt gibt den Takt vor«, sagte der DFL-Präsident. Es helfe nicht, die Vergangenheit zu idealisieren, man müsse die Zukunkft gestalten, meinte der Innenminister.
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