Vom Bohren dicker Bretter
Eine nationale Initiative des Bundesbildungs- und Forschungsministeriums will Schulen und Hochschulen für das Thema »Nachhaltige Entwicklung« sensibilisieren. Von Manfred Ronzheimer
Der »Earth Overshoot Day« (Erdüberlastungstag) vor wenigen Wochen hat es wieder vor Augen geführt: An jenem 8. August dieses Jahres waren nach Berechnungen von Umweltschützern die gesamten natürlichen Ressourcen des Planeten für dieses Jahr aufgebraucht. Bis zum 31. Dezember 2016 lebt die Menschheit sozusagen auf Pump. Dabei sollte es eigentlich anders sein. Schon seit Jahrzehnten wird in der Politik die sogenannte Nachhaltigkeit versprochen, die Vereinten Nationen haben sich im September letzten Jahres sogar das Ziel gesetzt, bis 2030 die Wirtschaft ins ökologische Gleichgewicht zu bringen.
Dass es keineswegs einfach ist, diese Ziele auch in die Köpfe der Menschen zu bekommen, zeigen die Anstrengungen im Bildungsbereich. Zehn Jahre lang hat die UN-Bildungstochter UNESCO an einem weltweiten Programm »Bildung für nachhaltige Entwicklung« (BNE) gearbeitet, auch in Deutschland. Inzwischen ist das Programm vom Deutschen UNESCO-Komitee in die Zuständigkeit des Bundesministeriums für Bildung und Forschung übergangen, das kürzlich seine erste »Agendakonferenz« für Nachhaltigkeitsbildung in Berlin veranstaltete.
Die Urteile über das bisher Erreichte fallen gemischt aus. Bemerkenswert kritisch äußert sich die entwicklungspolitische Nichtregierungsorganisation Germanwatch: »Trotz der UN-Dekade für Bildung für nachhaltige Entwicklung von 2005 bis 2014, umfassender Bildungsarbeit, unzähligen BNE-Projekten und Materialien mit auffordernden Handlungsanweisungen konnte die breite Masse der Gesellschaft nicht erreicht werden«, stellt Germanwatch fest.
Die Stabübergabe an das Bundesbildungsministerium soll diesen Zustand verbessern. Statt wie bisher nur punktuell öffentlichkeitswirksam Projekte zu fördern, soll das Nachhaltigkeitsthema in allen Bildungsabschnitten verankert werden - von der frühkindlichen Bildung über die Schule und Hochschule bis zur Berufsausbildung und Erwachsenenbildung.
Das Brett, das dazu gebohrt werden muss, ist aber dick. Bei der ersten Sitzung der »Nationalen Plattform Bildung für Nachhaltige Entwicklung« mit 39 Vertretern aus allen Bildungsfeldern, stellte Gerhard de Haan, Erziehungswissenschaftler an der Freien Universität Berlin und wissenschaftlicher Leiter der ersten UNESCO-Dekade, fest, dass man in zehn Jahren zwar Erfolge erzielt habe. »Aber wir sind nicht weit genug gekommen«, räumte er ein. Als Beleg führte er unter anderem das Greenpeace-Umweltbarometer an. In ihm wurde ermittelt, dass knapp 50 Prozent der Gymnasiasten in Deutschland noch nie etwas von Nachhaltigkeit im Unterricht gehört haben. In der Tat kein großer Bildungserfolg.
Am Basiswissen muss noch viel gearbeitet werden, wenn die Hälfte der Bürger der Auffassung sind: »Der Klimawandel ist eine Folge des Ozonlochs.« Auch die Umweltbewusstseinsstudie des Umweltbundesamtes konnte de Haan mit den Worten zusammenfassen: »Nachhaltigkeit wird von der Bevölkerung mehr gefühlt als praktiziert.« Mehr als ein Drittel der Bürger sind der Meinung, sie kauften im Geschäft als Verbraucher nachhaltig hergestellte Produkte ein - dabei sind so viele gar nicht auf dem Markt.
Auch nach zehn Jahren steht man weiter vor großen Aufgaben. Zentral sind aus Sicht des Pädagogik-Professors de Haan drei Ansätze: In den Lehrplänen muss das Thema Nachhaltigkeit konkret verankert werden. Weiter sind die Lücken in der Bildungskette zu schließen - vor allem in der hochschulischen Ausbildung der Lehrkräfte gebe es »noch große Defizite«. Und am wichtigsten für de Haan: »Wir brauchen handlungsleitendes Wissen - das ist das Entscheidende.«
Beim jüngsten Treffen der Nachhaltigkeitsbildner, dem »Agendakongress« im Juli, dominierte die Praxis. Notgedrungen, weil der erste Entwurf des »Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung des Weltaktionsprogramms«, über den eigentlich diskutiert werden sollte, nicht rechtzeitig fertig geworden war. Stattdessen wurden die Teilnehmer aus ganz Deutschland in zehn Arbeitsgruppen geschickt, die alle wieder sehr schön segmentiert waren, um die breite Fächerung der Bildungsstruktur abzubilden und damit auch ihrer Logik zu folgen, die eigentlich nachhaltig aufgebrochen werden müsste: Vorschule, Schule, Berufsbildung, Hochschule, außerschulische Jugendbildung, Erwachsenenbildung. Die Erörterung in der eigenen »Bubble« ließ sich so fortsetzen. Die Pfadabhängigkeit, bei der Bildung für nachhaltige Entwicklung unbedingt den institutionellen Strukturen des Bildungswesens zu folgen, erwies sich als übermächtig. Weiter so wie bisher, nur mit größerer Intensität - das war die subkutane Botschaft des Agendakongresses.
Nur vage schimmerte durch, etwa bei der Kongress-Session über neue »Narrative«, dass wahrscheinlich nicht die Bildung das große Schwungrad sein dürfte, um die Gesellschaft breitenwirksam für die Nachhaltigkeit zu gewinnen, sondern die Kommunikation. »Wir brauchen Kommunikationsprozesse, die zugleich zu gesellschaftlichen Lernprozessen werden«, fasste Joachim Borner vom Berliner Kolleg für Management und Gestaltung nachhaltiger Entwicklung die neue Orientierung zusammen. Aus vielen Formaten, ob Youtube-Clips im Internet oder einer Soap-Serie im Fernsehen bis hin zu Jugendromanen und Comics, entstehe über ein »mediales Wimmelbild« letztlich »eine große Erzählung«, wohin der Weg zur Nachhaltigkeit uns bis ins Jahr 2030 führen soll. Das verlangt allerdings eine Änderung der bisherigen Strategie: weg von der Fixierung auf Bildung, hin zu einer Verstärkung der »Kommunikation für nachhaltige Entwicklung«, kurz KNE statt BNE. Ob das gelingen kann, das ist freilich eine neue forschungspolitische Erzählung.
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