»Es war eine schlimme Zeit«
Augenzeugen berichten über Geheimgefängnisse des ukrainischen Sicherheitsdienstes
»Am 9. Dezember 2014 ist es passiert«, erzählt der 34-jährige Bergarbeiter Nikolaj Wakaruk aus der kleinen Stadt Ukrainsk im ukrainischen Regierungsbezirk Donezk. »Maskierte Männer, die sich als Polizisten vorgestellt haben, sind am Abend in unsere Wohnung gekommen. Sie haben alles durchsucht - und alle Handys und 3000 US-Dollar mitgenommen. Als wir nicht mehr drin waren, hat einer von denen zu mir gesagt: ›Du verstehst schon, ab jetzt werden wir ein anderes Gespräch führen.‹ Schließlich wurde ich geschlagen und in einen Volkswagen gebracht, wo sie mich über andere Leute befragen wollten.«
Das ist nur der Beginn der traurigen Geschichte, die Wakaruk der ukrainischen Redaktion der Deutschen Welle erzählte. Vor einigen Tagen wurde bereits sein ehemaliger Kollege Wiktor Aschichin festgenommen, der das Referendum über die Abspaltung vom Donbass in Ukrainsk organisierte. Wakaruk nahm aber nach eigenen Angaben am Referendum gar nicht teil, obwohl er mit der Politik des offiziellen Kiew nicht einverstanden war. »Mit Aschichin und anderen Leuten haben wir uns aber stets an Abenden getroffen und die Lage diskutiert.«
Vermutlich war das auch der Grund, warum der ukrainische Sicherheitsdienst SBU sich für Wakaruk interessierte. Nach vielen brutalen Befragungen wurde er am 15. Dezember geheim in das SBU-Gebäude in Charkiw gebracht, wo der 34-Jährige schließlich eineinhalb Jahre bleiben musste. Es gab weder eine offizielle Anklage noch ein offizielles Verfahren - eigentlich hat der Fall Wakaruk aus rechtlicher Sicht niemals existiert. »Es war eine schlimme Zeit«, sagt der ehemalige Bergarbeiter. »Wir haben nur sehr wenig zu essen bekommen, duschen durften wir nur einmal pro Woche. Während dieser Zeit habe ich 30 Kilo abgenommen.«
Am 25. Juli 2016 wurde Wakaruk nach eigenen Angaben aus dem SBU-Gebäude entlassen - und konnte nach Ukrainsk zurückkehren. Der Grund, warum Wakaruk freigelassen wurde, ist wohl offensichtlich. Denn bereits am 21. Juli wurde der gemeinsame Bericht »You don’t exist« der Menschenrechtsorganisationen Amnesty International und Human Rights Watch präsentiert. Im Dokument geht es um mindestens vier der so genannten geheimen Gefängnisse, die von der SBU betrieben wurden: Außer in Charkiw, wo sich Wakaruk und Aschichin befanden, soll es derartige Einrichtungen auch in Isjum, Kramatorsk und Mariupol geben.
Allein im SBU-Gebäude in Charkiw wurden 16 Menschen festgehalten, denen Separatismus inoffiziell vorgeworfen wurde. Offenbar gab es Pläne, sie später mit den Gefangenen in den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk auszutauschen. »Die SBU respektiert die ukrainische Gesetzgebung und internationale Menschenrechtsverträge«, dementierte das offizielle Kiew die Vorwürfe von Amnesty International und Human Rights Watch. Doch während die SBU den Bericht öffentlich dementierte, wurden am 25. Juli und am 2. August nach Informationen der beiden Menschenrechtsorganisationen 13 Menschen, darunter Wakaruk und Aschichin, in Charkiw freigelassen.
Darüber berichteten Amnesty International und Human Rights Watch in einer neuen Version des Berichts, die am Ende August erschienen ist. »Wir begrüßen die Freilassung der 13 Menschen, das ist aber genau das, was die Notwendigkeit der Beendigung dieser Praxis bestätigt«, sagte John Dahlhuisen, Direktor von Amnesty International in Europa und Zentralasien. Nach Informationen der Menschenrechtler, die mit fünf Augenzeugen nach ihrer Freilassung ausführlich sprechen konnten, bleiben immer noch mindestens fünf Leute in den geheimen Gefängnissen. Kiew werde dazu aufgefordert, solche Menschen »so schnell wie möglich freizulassen«, betonte Dahlhuisen, der besonders die Folterpraktiken der SBU klar verurteilte.
Nikolaj Wakaruk, Wiktor Anichin, der Ex-Gefangene Dmitrij Koroljow und zwei weitere Menschen, die aus Angst vor Repressionen anonym bleiben, wollen nun für Gerechtigkeit kämpfen. Chancen auf eine objektive Ermittlung sehen aber auch die Experten von Amnesty International und Human Rights Watch als gering an.
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