Des Teufels Wunschliste
Die Wirkungen von TTIP und Co. auf den Hochschulsektor. Von Tino Brömme
Die schärfste und weitreichendste Kritik an den geplanten internationalen Freihandelsabkommen kommt aus der Botschaft von Ecuador. Wikileaksgründer Julian Assange, der dort seit 2012 festsitzt, bezeichnete die von der Europäischen Union geheim verhandelten Völkerrechtsverträge TTIP mit den Vereinigten Staaten, CETA mit Kanada und TiSA zum Handel mit Dienstleistungen zwischen 52 Staaten als die »größte gesellschaftliche Bedrohung der Gegenwart«.
Gefahr droht nicht nur für soziale und ökologische Standards etwa in Deutschland. Wenig beachtet stehen auch öffentlichen Bildungseinrichtungen im Fadenkreuz der Liberalisierer. Besonders deutsche (bzw. europäische) Hochschulen, zu 90 Prozent steuerfinanziert und hochgradig reguliert, sind ein großer staatlicher Sektor, den die TTIP-Strategen für den Markt öffnen und der staatlichen Kontrolle entziehen wollen. »Freihandel« bedeutet dabei in erster Linie, die Auslandsinvestitionen internationaler Bildungskonzerne rechtlich abzusichern.
Bei dem gigantischen TiSA-Abkommen wird Bildung ausdrücklich erwähnt. Gelaekten TiSA-Dokumenten zufolge soll »Staaten verboten werden, von (Bildungs-)Dienstleistern eine Niederlassung vor Ort zu erzwingen oder ausländische Kapitalbeteiligungen zu beschränken« (Wikileaks). Das interessiert Giganten wie den multinationalen Bildungsmedenkonzern Pearson, die Bertelsmann-Gruppe, Onlineanbieter wie Coursera. Auch der Netzkonzern Google dürfte ein Interesse daran haben.
TTIP und CETA tangieren das Bildungswesen indirekt. Niederlassungsfreiheit, Gleichbehandlung und »ratched clause« würden Staaten, Länder und Kommunen daran hindern, Maßnahmen für regionales Wachstum, soziale Chancengleichheit und Qualitätssicherung zu treffen. Die »ratched clause« ist eine Klausel, die verbietet, dass einmal geöffnete Bereiche wieder verstaatlicht werden. Würde Bayern seine Studentenwohnheime privatisieren und das wieder rückgängig machen wollen, stünden dem Land millionenschwere Entschädigungsklagen ins Haus.
Universitäten dürften nach TTIP und CETA bei Ausschreibungen keine Dienstleister aus ihrer Region mehr bevorzugen oder Anbieter, die umweltfreundlich produzieren und Mindestlöhne zahlen. Das beträfe Baumaßnahmen, Reinigungsfirmen, Mensen und - nicht zu vergessen: digitale Dienstleistungen. Viele Hochschulen haben Verträge mit Google Cloudservices oder nutzen Microsoft Betriebssysteme. Alternative Lösungen, auch was die Datensicherheit und -hoheit betrifft, werden unter den Freihandelsabkommen schwieriger zu realisieren sein, denn besonders US-amerikanische Technologiefirmen drängen auf »freien Datenfluss«. Versuche, personenbezogene oder forschungsrelevante Daten zu schützen, ihre Aneignung, Analyse und Verwertung einzuschränken, würden durch völkerrechtliche Verträge wie das TTIP erheblich erschwert.
Große Bildungskonzerne in den USA, deren Praktiken die Obama-Administration einen Riegel vorschieben wollte - und daran scheiterte, könnten auf das Gleichbehandlungsprinzip pochen und dieselben Subventionen fordern wie hiesige staatliche Unis. In jedem Falle würden Hochschulleitungen gezwungen, sich mehr und mehr wie gewinnorientierte Unternehmen zu verhalten; sie würden Studierende als Kunden, ausländische Studierende als Melkkühe für Studiengebühren behandeln, mit Immobilien spekulieren oder ins Börsengeschäft einsteigen. Das ist keine Utopie: Die Universität Amsterdam hat mehr als eine halbe Milliarde Euro Schulden aufgenommen, und die Freie Universität Brüssel ist seit 2015 die erste börsennotierte Hochschule Europas.
Die ungeprüfte Anerkennung von akademischen Abschlüsse und Berufsdiplomen ist eines der heißesten Eisen in diesem Prozess. Das Problem besteht bereits heute, wie mehrere Urteile des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) gegen Griechenland, Italien, Spanien und ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Slowenien gezeigt haben. EU-Recht funktioniert über Gerichtsurteile, die als Präzedenzfälle quasi Gesetz werden, und mehrfach hat der EuGH Staaten das Recht abgesprochen, ausländischen privaten Anbietern die Anerkennung ihrer Abschlüsse zu verweigern. »Im Falle des noch schwebenden Verfahrens von Slowenien würde das erhebliche Qualitätseinbußen für unser hervorragendes Hochschulwesen bedeuten«, sagt der slowenische Hochschulforscher Klemen Miklavič.
Bei der EU wird die »Freiheit des Marktes« letztlich über die Bildungshoheit eines Landes gestellt, auch wenn der Europäische Vertrag letztere garantiert. Über Ungenauigkeiten in den Definitionen - etwa was »öffentliche Bildung« oder »Erwachsenenbildung« ist - reiben sich spezialisierte Anwaltkanzleien schon jetzt die Hände. Der europäische Hochschulverband EUA fordert, das »die EU keine Zugeständnisse bei der Hochschul- und Erwachsenenbildung« macht. Auch der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) Horst Hippler kritisiert die Intransparenz der Verhandlungen und verlangt, dass Hochschulen »in den beratenden Fachgremien zu den Verhandlungen auf nationaler und europäischer Ebene vertreten sein« müssten.
Für gefährlich hält David Robinson, kanadischer Vorsitzender der Lehrergewerkschaft Education International (EI), die »Verbindung von Bildungsdienstleistungen und e-commerce mit den Entwicklungen von e-Learning und elektronischen Lernmaterialien«. US-Hochschulen und Konzerne sind führend, was Onlinekurse angeht, die Branche für Massive Open Online Courses oder MOOCs wächst weltweit um 40 Prozent jährlich. Diesem möglichen Milliardengeschäft für die Konzerne steht die Tatsache entgegen, dass Bildungseinrichtungen in Europa beim Urheberrecht für Lehrzwecke bislang großzügige Ausnahmeregeln genießen. Sollte TTIP umgesetzt werden, würden diese Regeln teuren Anschaffungskosten weichen und mit der Freiheit der Lehre wäre es vorbei.
Doch nicht nur die Lehre, auch die Hochschulforschung kommt ins neoliberale Kreuzfeuer. Der Vizepräsident für Forschung an der Beuth-Hochschule in Berlin Sebastian von Klinski mahnt, dass Forschungskooperationen und Auftragsforschung schon unter EU-Recht brisant sind, sei es die Klärung von Urheberrechten, die Haftung oder die gemeinsame Verwertung von Patenten: Durch TTIP könne das »durchaus noch aufwändiger werden und auch kostenintensiver, wenn der Fokus noch weiter gefasst werden muss«.
Nach NAFTA, dem 1994 von den USA, Kanada und Mexiko abgeschlossenen Freihandelsabkommen, gingen in den USA gut 900 000 Arbeitsplätze verloren, vor allem für Menschen mit niedrigen Bildungsabschlüssen. Die erhoffte Modernisierung des Hochschulwesens von Mexiko blieb aus, der südliche Nachbar der USA blieb Billiglohn- und Niedrigbildungsland. Diesen Effekt hätte auch TTIP auf die ärmeren EU-Länder.
All diese Probleme werden durch die Freihandelsabkommen verschärft oder erst hervorgerufen. Es genügt daher nicht, dass Hochschulen nur eine Ausnahmeregelung für die Bildung in den Verträgen fordern. Zahlreiche andere Klauseln in TTIP, CETA und TiSA werden - so sie nicht in Gänze gestoppt werden - die Bildungspolitik und die Bildungseinrichtungen ohne kugelsichere Weste ins Sperrfeuer des Marktes werfen.
Der Autor ist Herausgeber des Nachrichtendienstes für Europäische Hochschulpolitik ESNA (esna.tv) in Berlin.
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