SPD verliert, Müller gewinnt
Große Koalition stürzt auf historisches Tief / AfD mit zweistelligem Ergebnis / Linkspartei bei 16,5 Prozent
Berlin. Lange Schlangen am Sonntag vor den Wahllokalen und so viele Briefwähler wie noch nie zuvor bei einer Abgeordnetenhauswahl in Berlin. Allein mehr als 525 000 der 2,48 Millionen wahlberechtigten Einwohner der Bundeshauptstadt hatten ihre Stimme schon vorher per Post abgegeben.
Rund fünf Prozent hat die SPD am Sonntag bei der Abgeordnetenhauswahl in Berlin verloren. Mit 23 Prozent behielt sie aber die Nase vorn, und der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) hat gute Möglichkeiten, seinen Posten zu behalten. Für eine Fortsetzung der Koalition mit der CDU reicht es zwar nicht. Doch es sind verschiedene Dreierbündnisse denkbar. Als sehr wahrscheinlich gilt Rot-Rot-Grün. Allerdings dürfte der umstrittene Weiterbau der Stadtautobahn A 100 wieder ein Knackpunkt bei Koalitionsverhandlungen sein. 2011 war ein rechnerisch möglicher rot-grüner Senat nicht zuletzt daran gescheitert, dass die Grünen den Weiterbau nicht zulassen wollten.
Laut Hochrechnung kam die CDU von Innensenator Frank Henkel auf 18 Prozent. Im Vergleich zur Abgeordnetenhauswahl vor fünf Jahren büßten die Christdemokraten damit ebenfalls etwa fünf Prozent ein. Für die CDU wäre das in Berlin das schlechteste Ergebnis aller Zeiten, die SPD blieb nur knapp über ihrem historischen Tiefstwert von 22,4 Prozent im Jahr 1999.
Die Grünen hielten sich mit leichten Verlusten bei rund 16,5 Prozent. Die LINKE verbesserte ihr Ergebnis auf 16,5 Prozent. Allerdings hatte die LINKE vor fünf Jahren mit nur 11,7 Prozent extrem schlecht abgeschnitten. Im Gegensatz zu den Landtagswahlen am 4. September in Mecklenburg-Vorpommern und vor zwei Jahren in Brandenburg hat die LINKE nicht noch während des Wahlkampfes an Zuspruch eingebüßt, sondern sich im Gegenteil zuletzt noch verbessert. Dies werten Kenner als Zeichen, dass die Kampagne der Partei in Berlin gegriffen und der Spitzenkandidat Klaus Lederer überzeugt habe. Anfangs hatte es die skeptische Ansicht gegeben, ein Spitzenpolitiker müsse in Schlips und Kragen auftreten. Lederer ist dagegen oft im T-Shirt zu sehen, zwar häufig im Sakko, aber nicht selten auch einfach im Kapuzenpullover.
Die Rechtsaußen-Partei AfD schaffte aus dem Stand 11,5 Prozent, damit jedoch ein bisschen weniger, als die Meinungsforschungsinstitute vorhergesagt hatten. Die FDP, die 2011 mit gerade einmal 1,8 Prozent der Stimmen an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte und aus dem Parlament herausflog, durfte sich nach den ersten Hochrechnungen Hoffnung auf einen Wiedereinzug ins Abgeordnetenhaus machen. Demnach erzielte sie 6,5 Prozent. Dafür müssen die Piraten gehen. Sie hatten bei der Wahl vor fünf Jahren 8,9 Prozent bekommen, dürften diesmal mit zwei Prozent jedoch deutlich unter der Fünf-Prozent-Hürde geblieben sein.
In Mecklenburg-Vorpommern will die SPD von Ministerpräsident Erwin Sellering unterdessen mit der CDU weiterregieren. Die Sozialdemokraten sprachen sich am Freitagabend für die Aufnahme von Koalitionsgesprächen aus, die Christdemokraten akzeptierten am Wochenende die Offerte. Kritik kam von der Linkspartei, die sich für eine rot-rote Landesregierung in Stellung gebracht hatte. Der Linksfraktionsgeschäftsführer im Landtag, Peter Ritter, kritisierte, »mit der Sellering-SPD ist eine andere Politik nicht möglich«. Der frühere Linksfraktionschef im Bundestag, Gregor Gysi, kommentierte die Entscheidung der SPD mit den Worten: »Herr Sellering hat sich entschieden, weiterhin gemeinsam mit der CDU an Stimmen zu verlieren. Außerdem hat er sich entschieden, die AfD zu stärken.« af Seiten 2 und 11
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