Der Trend hält an: Arktisches Eis auf dem Rückzug
Trotz kühlen Sommers schrumpfte das Meereis 2016 auf die zweitkleinste Fläche seit Beginn der Messungen. Von Andreas Knudsen
Mitte September ist Stichtag für die Klimaforscher, wenn sie die Ausdehnung des arktischen Meereises des zu Ende gegangenen Sommers messen. Die Bilanz für 2016 verfehlte nur knapp das Rekordtief von 2012. Damals waren nur 3,39 Millionen Quadratkilometer von Eis bedeckt, während es in diesem Jahr 4,14 Millionen Quadratkilometer waren. Und dies, obwohl der Sommer auch in den arktischen Gefilden wieder kühler ausgefallen war.
Glaubt man den Klimaforschern des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven und des in Colorado ansässigen National Snow & Ice Data Center, so liegt die Ursache dieses paradoxen Vorgangs im vorausgegangenen Winter. Der nämlich war für arktische Verhältnisse viel zu warm. Die Temperaturen lagen fünf bis sechs Grad über dem langjährigen Durchschnitt. Zur Jahreswende konnten sogar Plusgrade am Nordpol gemessen werden.
Unter diesen Bedingungen wuchs das neu gebildete Eis nur auf eine Dicke von etwa einem Meter. Normalerweise wird es doppelt so stark, so dass der Kreislauf des schnelleren Abschmelzens und Zufrierens in der kommenden Saison in Gang gehalten wird. Dazu kommt, dass offenes Wasser mehr Sonnenwärme aufnimmt, während das helle Eis sie zurückstrahlt. Für diesen Sommer kam im August eine lange Periode mit starken Winden dazu, die das dünnere Eis weiter zerbrachen und über weite Gebiete insbesondere vor der sibirischen Küste zerstreuten. Lediglich ein Kern von mehrjährigem Meereseis mit einer Dicke von drei bis vier Metern verhinderte ein neues Rekordminus.
Gerade Wind und Stürme könnten in Zukunft für schnelleres sommerliches Abschmelzen sorgen. Vom Atlantik strömt in dieser Zeit wärmeres Wasser in die Arktis, wo bisher eine Schicht eiskalten Wassers die warmen Zuflüsse von der Unterseite des Eises trennt. Häufigere Stürme könnten für eine stärkere Durchmischung der Wasserschichten sorgen. Die Hydrologen verschiedener Institute sind sich jedoch nicht einig, ob und in welchem Umfang dies geschehen wird. Insgesamt ist der Abschmelztrend jedoch besorgniserregend für das globale Klima. Noch wollen sich die Wissenschaftler nicht auf eine Jahreszahl festlegen, wann die Arktis im Sommer eisfrei sein wird, aber bei gleichbleibendem Trend muss man in zehn bis zwanzig Jahren damit rechnen.
Letzteres wird in einigen Bereichen der Wirtschaft, insbesondere der Schifffahrt, durchaus begrüßt. Zurückgehendes Meereseis ermöglicht das Befahren der Nordost- und Nordwestpasse entlang der russischen bzw. kanadischen Küste. Beide Routen waren in diesem Sommer gleichzeitig befahrbar, was noch vor wenigen Jahren als ausgeschlossen galt. Einen Boom bei der Schifffahrt gab es in diesem Sommer noch nicht, aber erstmals befuhr ein Kreuzfahrtschiff die Nordwestpassage. Auch mehrere Jachten suchten das Abenteuer und durchsegelten die kanadische Inselwelt.
Im Gegensatz zum Arktischen Meer bot der Sommer einen neuen Wärmerekord für Grönland. Aktuelle Berechnungen zum Abschmelzen des Inlandeises liegen für 2016 noch nicht vor, aber die vorläufigen Meldungen beispielsweise aus Nordwestgrönland deuten auf neue Negativ-Rekorde hin. Dieses Gebiet galt bisher als relativ stabil, aber seit dem Vorjahr liegen verlässliche Daten vor, dass über den Zacharias-Eisstrom, einem der größten Abflüsse Grönlands überhaupt, jährlich fünf Milliarden Tonnen Eis in den Atlantik abfließen. Ein internationales Forscherteam, an dem auch das AWI und das GeoForschungsZentrum Potsdam beteiligt waren, entdeckte eine bisher übersehene Anomalie im grönländischen Untergrund. Ein Netz von Messstationen über die gesamte Insel maß die Landhebung auf Grund der Eisabschmelzung genauer als bisher und konnte darauf aufbauend einen Massenverlust von 272 Gigatonnen Eis, fast 20 Gigatonnen mehr als bisher angenommen, für den Zeitraum 2004 bis 2015 ermitteln.
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