Aufbruch immer wieder
Das Haus der Berliner Festspiele lädt zum 3. Tanztreffen der Jugend
Es gehe darum, künstlerische Prozesse sichtbar zu machen, sagt Martina Kessel im Gespräch. Seit drei Jahren gehört sie zur Jury für das Tanztreffen der Jugend, den jüngsten Zugewinn bei den Bundeswettbewerben der Berliner Festspiele. Wenn nächsten Monat das Treffen junge Musik-Szene schon zum 33., das Treffen junger Autoren zum 31. Mal stattfinden, muss man bedauern, wie lange der Tanz brauchte, in die Förderung durch Wettbewerbe zu kommen.
Wir sind noch in der Aufbauphase, fügt Kessel an. Wie die Jugendlichen der einzelnen Gruppen in die Ideenfindung und die Stückentwicklung einbezogen sind, soll sichtbar werden. Nicht die technische Leistung stehe im Zentrum, sondern die Summe aus Sozialarbeit und Produktqualität. Von den 58 per Video erfolgten Bewerbungen aus 13 der 16 Bundesländer sowie aus Österreich haben die acht Juroren fünf Gruppen ins Haus der Berliner Festspiele eingeladen; Vertreter von drei in die Zwischenauswahl gelangten Ensembles sind zudem Gast der acht Wettbewerbstage.
Geboten wird ihnen allen ein reichhaltiges Rahmenprogramm, das diesmal, angesichts der großen Ausstellung im Gropiusbau, den Schwerpunkt auf das Werk von Pina Bausch legt, und das nicht nur über gezeigte Filme. So fragt einer der Workshops, ein Zitat der Wuppertaler Meisterin aufgreifend: Was bewegt mich? Urbane Tanzformen, Contemporary, Improvisation, das Verhältnis von Kampf und Tanz, Battle-Kultur, Voguing und Selbsttherapie zum Vermeiden von Verletzungen stehen ebenfalls zur Auswahl. Nützlich sind die Aufführungsgespräche zu den Produktionen, weil die Tänzer und ihre Leiter hier Rückmeldung erhalten, wie auf die Zuschauer wirkt, was sie daheim gemeinsam erarbeitet haben. Dass es bei Workshops und zwischendurch zu Begegnungen der Aktiven kommt, sich Kontakte und Freundschaften ergeben, sind positive Nebeneffekte, ebenso wie die große Anzahl von Aktiven mit Migrationshintergrund, die im nonverbalen Tanz gut Eingang in die Gemeinschaft Gleichaltriger finden.
Das trifft auch auf das frisch gegründete Ensemble ENSAMPLE aus Herne zu. Unter Leitung der Theaterwissenschaftlerin Kama Frankl bestritten sieben Mitglieder zwischen 18 und 22, vier Mädchen und drei Jungen, den furiosen Wettbewerbsauftakt. Ihr »Stück01« mixt Text und Tanz zu einem großen Fragebogen um das Thema Aufbruch, wobei klugerweise offen bleibt, ob es sich um den »normalen« Aufbruch junger Menschen ins Leben oder den Aufbruch von Emigranten in eine neue Existenz im fremden Land handelt.
Du bist gegangen, nicht leicht für dich, musst mutig nach vorn sehen - mich hast du sitzenlassen, klagt bei allem Verständnis ein Mädchen: Bin ich verletzt, soll ich jetzt auch aufbrechen? Im Halbdunkel hört man nur die klackenden Schritte des Gehenden. Rote Bierkisten stapeln sich im Folgenden zu im Weg stehenden Türmen, zu Mauern, die überwunden werden wollen, zu Altären der Anbetung in der Not, doch auch zur Behausung in Bedrängnis. Immer wieder sind tänzereigene Texte eingestreut. Weshalb hast du mich nicht mitgenommen, fragt das Mädchen, was bin ich für dich? Ihr Ex kämpft schon vergebens um ein anderes Mädchen. Dass es keine Rollenzuschreibung gibt, jeder mal spricht und der Vorwärtsdrängende ist, hebt das Anliegen ins Allgemeine. Der Gegangene verteidigt sich, sie habe nicht bemerkt, dass er einen Aufbruch brauchte. Du hast dich nicht einmal umgedreht, ruft sie ihm nach und wird, als auch sie weg will, unsicher, ob sie den Wechsel wirklich will.
Für dieses altersspezifische Changieren zwischen Bleibenwollen und Fernsehnsucht finden Frankl und ihre Mitchoreografen Lin Verleger und Hendrik Michalski einprägsame Bilder, in denen die Kisten zu groß geratene Wanderschuhe werden, sich Lust am Leben in wilder Party austobt, einer gegen den Strom schwimmt. Obgleich sich der Schluss etwas hinzieht, bleiben Spielfreude und Tanzelan des Septetts zu einer passgenauen Musikauswahl im Gedächtnis.
Das gilt ähnlich für die Junior Company von CoCoonDance aus Bonn. Vom kecken Knirps bis zum tanzsicheren Teenager werfen sich 23 Tänzer unter dem Titel »Look At Me!« vehement in den Fight um Aufmerksamkeit, wie ihn Rafaële Giovanola und Marcelo Omine in Anlehnung an ein Stück ihrer Profitruppe maßgeschneidert haben. Immer wieder wird der Swing zum Glenn-Miller-Titel »In The Mood« unterbrochen, beginnt neu die Suche nacheinander. Gespannt sein darf man auch auf die Preisträger aus Berlin, München und Mainz.
Bis 30.9., Haus der Berliner Festspiele, Schaperstraße 24, Wilmersdorf, www.berlinerfestspiele.de
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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