In die Ecke!

B. Bragg/Alien Ensemble

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 2 Min.

Manche Dinge, so scheint es, ändern sich nie: beispielsweise die Niedertracht der Sozialdemokratie, das Rezept für Stampfkartoffeln oder Billy Bragg. Billy Bragg, Sie erinnern sich? Das karierte Flanellhemd unter den Liedermachern, der letzte linke Volkssänger. Den gibt es noch. Wenn eine Helene Fischer dereinst verschwunden sein wird und ein Bushido rückstandslos aus dem Gedächtnis der Menschheit gelöscht sein wird, wird ein weißbärtiger Billy Bragg immer noch dastehen mit seiner akustischen Gitarre in den Händen und uns zu überzeugen suchen, dass wir die Labour Party wählen und den internationalen Kampf gegen die Ungerechtigkeit nicht aufgeben sollen. Mit der einen Hand wühlt er ja schon länger im Woody-Guthrie-Archiv herum, während er mit der anderen Mundharmonika spielt. Jetzt hat er wieder eine dieser Platten gemacht, die klingen wie aus einer anderen Zeit. Gemeinsam mit seinem US-amerikanischen Kollegen Joe Henry hat er eine Hand voll Folk-Traditionals, darunter natürlich auch Songs von Woody Guthrie und Hank Williams, ausgewählt und aus ihnen eine Art Hommage an die durchs Land fahrende Eisenbahn gebastelt, an ihre Gemächlichkeit, an die mit ihr assoziierte Romantik. Songs über Züge, sagte Bragg kürzlich dem Deutschlandradio, seien ja auch immer »Songs, in denen die Eisenbahn eine Metapher ist - für Sehnsüchte, Liebeskummer, Freiheit«.

Henry und Bragg sind mehrere Tage und Nächte lang per Zug von Chicago nach Los Angeles gereist, ließen sich also durchs Land gleiten, und zwischendurch sind sie immer mal wieder ausgestiegen und haben - mit wohl eher bescheidenem Equipment - zwischen den Gleisen oder in einer Bahnhofswartehalle einen der hier versammelten Tracks aufgenommen. Zwei Gitarren, zwei Gesangsstimmen: Es wird also geklampft und gejodelt, und ab und zu hört man zartes Lokomotivenrauschen oder dezentes Rangierbahnhofsrattern. Eine ganz wunderbare Platte für Altlinke, die gern abends im Lehnstuhl auf der Veranda vergangenen Zeiten nachtrauern.

Doch kommen wir rasch noch zu etwas ganz anderem: Micha Acher, Multiinstrumentalist, Jazzliebhaber und Gründungsmitglied einer der wenigen ernstzunehmenden deutschen Popbands, die diese Bezeichnung verdienen, The Notwist, hat seine Finger ja in hundert musikalischen Projekten. Seine seit 2010 existierende eigene Band, das siebenköpfige Alien Ensemble, dem auch zwei andere Notwist-Mitglieder angehören, spielt eine frei zwischen Jazz und Ambient hin- und hermäandernde Musik zum Niederknien. Wem die nicht gefällt, der muss sich zur Strafe mit dem Gesicht zur Wand in die Ecke stellen.

Billy Bragg & Joe Henry: »Shine A Light - Field Recordings From The Great American Railroad« (Cooking Vinyl/Sony)

Alien Ensemble: »2« (Alien Transistor/Morr Music)

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