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Die Heilkraft des Überschussrecyclings

Yanis Varoufakis kritisiert das »Euro-Paradox« und wirbt für sein Projekt der Rettung der europäischen Idee

  • Axel Berger
  • Lesedauer: 4 Min.

Man kann einiges gegen den ehemaligen griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis einwenden. Seine Performance aber hatte trotz aller Wirkungslosigkeit innerhalb der EU und der letztlich lediglich auf ein kapitalistisches Krisenregime gerichteten Politik der Regierung um Alexis Tsipras stets Stil. Nicht anders verhält es sich mit dem Autor Varoufakis. Und so lässt sich die aktuelle Studie über das »Euro-Paradox«, die der Ökonom bereits im Jahr 2013 zu schreiben begonnen hatte und die er nun nach seinem kurzen Ausflug in die Politik vorgelegt hat, auch mit großem Vergnügen lesen.


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* Euro-Paradox. Wie eine andere Geldpolitik Europa wieder zusammenführen kann. A. d. Engl. v. Ursel Schäfer. Kunstmann. 384 S., geb., 24 €.


Dazu trägt neben dem bilderreichen Schreibstil des »glänzenden Erklärers« (»The Guardian«) und den vielen Anekdoten bei, dass für ihn vor allem ein Aspekt im Zentrum aller Verwerfungen der letzten Jahre steht: Das fehlende »Recycling« überschüssigen Kapitals in Staaten mit positiver Handelsbilanz gegenüber jenen mit einer negativen. Eine These, die man bereits aus Varoufakis' Werk »Der Globale Minotaurus« kennt. »Kein europäisches Land kann auf Wohlstand hoffen, wenn ein anderes in permanente Zahlungsunfähigkeit und Depression getrieben wird.« Man wird in dieser zu Ende des Buches formulierten Aussage unschwer den aktuellen politischen Widerspruch zwischen der vor allem von Deutschland innerhalb der EU betriebenen Austeritätspolitik und den auf Hilfsprogramme angewiesenen Defizitländern im Süden Europas erkennen können.

Weniger aber als in seinem im vergangenen Jahr gemeinsam mit James Galbraith und Stuart Holland verfassten »Bescheidenen Vorschlag zu Lösung der Eurokrise« geht es im »Euro-Paradox« um die Genese dieses Widerspruchs innerhalb der europäischen Wirtschafts- und vor allem Währungspolitik.

Den Beginn der Katastrophe der europäischen Wirtschafts- und Finanzpolitik terminiert der Autor auf den 15. August 1971. Es war der Tag, an dem der damalige US-Finanzminister John Conolly verkündete: »Der Dollar ist unsere Währung. Und von jetzt an ist das Ihr Problem.« Damit wurde die Nachkriegsordnung des Bretton-Woods-Systems der festen Wechselkurse und der Goldbindung des US-Dollar aufgekündigt. Vorbei war es mit der Nachkriegsordnung, in der langjährige US-Überschussökonomie den anderen (westlichen) Staaten zugute kam. Übrig blieb ein Europäisches Währungssystem, aus dem sich die spätere gemeinsame Währung entwickeln sollte, »in die nichts von den Lehren eingeflossen ist, die die Schöpfer des Systems von Bretton Woods aus dem Goldstandard der Zwischenkriegszeit gezogen haben«, so Varoufakis.

Aus dem fehlenden »Mechanismus zum Überschussrecycling« folgt für den erklärten Keynesianer aber nicht nur die wirtschaftliche Misere des Alten Kontinents. Politisch sei ein um sich greifender Nationalismus gefördert und Demokratie durch die Eliten abgebaut worden. Was die europäische Vereinigung nicht nur nachhaltig desavouiert, sondern eventuell auch für absehbare Zeit verunmöglicht habe. »Die gemeinsame europäische Währung hat die Macht der Bürokraten über die gewählten Amtsträger vergrößert und dafür gesorgt, dass künftige Wirtschaftskrisen viel gravierender ausfallen«, so das deprimierende Fazit von Varoufakis. Aktuell wird man gegen diese These wenig einwenden können, auch wenn in Gestalt etwa der EU-Infrastruktur- und Sozialfonds gewisse institutionalisierte Verteilungsmechanismen bereits bestehen, so sind diese doch weit entfernt davon, einen wirklichen Reichtumstransfer innerhalb der EU zu garantieren, wie von Varoufakis gefordert.

Weiterhin sehr fraglich bleibt dagegen die Behauptung einer möglichen dauerhaften Stabilisierung des Kapitalismus durch den Ausgleich der Handelsbilanzen, die nicht einmal der gute alte John Maynard Keynes für möglich hielt. »On the long run we are all dead.« (»Auf lange Sicht sind wir alle tot.«), hatte dieser bereits 1923 den Ökonomen zugerufen, die nach der Krise einen »ruhigen Ozean« erwarteten. Nicht nur, dass die Konkurrenz von Einzelkapitalen und von Standorten letztlich eines der Grundmotive der Akkumulation darstellt, scheint diese Annahme ad absurdum zu führen. Sondern auch, dass, wie der ehemalige griechische Finanzminister immer wieder selbst betont, Defizite und Überschüsse letztlich immer ein Nullsummenspiel darstellen und daher »bloßes Phänomen der Krise, nicht ihr Grund« sein können, wie es schon Marx im »Kapital« formuliert hatte.

Wie auch immer: Die Heilkraft des Recyclings wird sich vermutlich in der Euro-Gruppe gegen Deutschland und seine Verbündeten genauso wenig durchsetzen lassen, wie Keynes Versuch von 1944, die USA zu überreden, mit der »International Clearing Union« auf globaler Ebene den Ausgleich aller Handelsbilanzen zu verankern. Da hilft keine noch so gute Performance.

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