Romantik 2.0 - es ist kompliziert

Dank Dating-Apps ist selbst die Liebe vor der Ökonomisierung nicht sicher. Von Wolfgang M. Schmitt

  • Wolfgang M. Schmitt
  • Lesedauer: 6 Min.

Vor 51 Jahren betrat ein frisch verheiratetes Paar die Bühne und sang ein Loblied auf die Unvernunft und die Bedingungslosigkeit der Liebe. Egal, was die Leute reden und ob sie seine Haare zu lang finden - ganz egal, für das Paar ist kein Hügel und kein Berg zu hoch, solange sie sich lieben. »I Got You Babe«, hieß der Song und mit ihm begannen Sonny und Cher ihre gemeinsame Weltkarriere. Mehr als ein halbes Jahrhundert später, lange nachdem sich Cher 1974 scheiden ließ und Sonny 1998 starb, sang Cher den Song vor kurzem in einer neuen Version wieder, diesmal im Duett mit dem Komiker James Corden in dessen Late-Night-Show. Denn die Zeiten haben sich geändert, so einfach wie damals ist es mit der Liebe nicht mehr.

»Es ist kompliziert«, so heißt nicht nur ein Beziehungsstatus, den man bei Facebook angegeben kann, die Aussage scheint generell die Veränderungen der letzten Jahre treffend unkonkret zu beschreiben. Aus der Liedzeile »you got me, and baby, I got you« wird folglich im digitalen Zeitalter »you swiped me, and baby, I swiped you«. Angespielt wird dabei auf sogenannten Swipe-Dating-Apps wie Tinder und Grindr, auf denen User Fotos von anderen Usern aus ihrer Umgebung angezeigt bekommen. Mit einem Wisch nach links oder rechts signalisiert man, ob man an dem anderen interessiert ist oder eben nicht. Bevor es dann zu einem Date kommt, senden sich die User häufig gegenseitig Nacktfotos zu. »Sexting« heißt das im Fachjargon. Auch von diesem Trend und darüber, dass es heute wichtiger sei, die Beziehung auf Facebook bekannt zu geben als zu heiraten, singen Cher und James Corden in ihrer parodistischen Cover-Version. Cher, die aussieht wie eine 39-Jährige, die vor ihrem 40. Geburtstag keine Angst hat, ist in diesem Jahr 70 geworden. Den Anschluss an die Jugend, so wollte sie wohl mit diesem Duett beweisen, hat sie - auch über ihr Äußeres hinaus - nicht verloren. Und in der Tat mag es beruhigend sein, dass Cher als eine der wenigen Konstanten im schnelllebigen Showbusiness auch die digitale Revolution nicht umhaut. Ob sie aber wirklich begreift, was bei all dem Dating und Sexting so vor sich geht, darf bezweifelt werden. Denn kaum jemand versteht das noch.

Fest steht: Wir wissen nicht, was wir da tun, aber wir tun es. Bereits ein Drittel der amerikanischen Hochzeitspaare, die zwischen 2005 und 2012 geheiratet haben, lernten sich über ein Dating-Portal im Internet kennen, das ergab eine Studie der Universität von Chicago. Der Komiker und Schauspieler Aziz Ansari hat sich deshalb diesem neuen omnipräsenten Phänomenen der Partnersuche angenommen und darüber ein Buch geschrieben: »Modern Romance. Auf der Suche nach Liebe im 21. Jahrhundert«.

Zusammen mit dem Soziologen Eric Klinenberg hat er quantitative und qualitative Befragungen mit amerikanischen Heterosexuellen aus der Mittelklasse durchgeführt und Dating-Profile im Netz ausgewertet. Außerdem hat Ansari eifrig Studien und Artikel zu dem Thema rezipiert und dazu seine eigenen digitalen Flirtgewohnheiten sowie die seines Freundeskreises beobachtet. Das klingt wissenschaftlicher als es ist. In erster Linie ist »Modern Romance« eine bunte Ansammlung von Anekdoten, Statistiken und eher albernen Witzchen über das digitale Suchen und Finden der Liebe. Neben Tipps und Tricks werden dem Leser aber immerhin einige erstaunliche Forschungsergebnisse mitgegeben: »In so gut wie jedem Interview bekamen wir zu hören, dass eine schlechte Ausdrucksweise oder miese Rechtschreibung sofortige Abtörner waren.« Wer hätte das gedacht, wo doch das Internet in puncto Rechtschreibung und Grammatik wirklich ein anarchischer Ort zu sein scheint. Hingegen sei die Originalität von Flirtnachrichten selten ausschlaggebend. Als Fallbeispiel wird ein junger Mann herangezogen, der nur standardisierte Textbausteine an Frauen verschickt und auch sonst den Aufwand für ein Treffen minimal hält: »Er lud potenzielle Kandidatinnen fortan also nur noch auf einen Drink ein und beschränkte sich dabei auf einige wenige Bars, die in Laufweite zu seiner Wohnung lagen.« Nach Romantik klingt das nicht, doch der Erfolg gab ihm Recht. Ansari beschreibt, wie sehr das Effizienzdenken die schöne neue Datingwelt beherrscht; neben den Algorithmen, die intransparent berechnen, wer zu wem am besten passt. Manche der befragten Nutzer sprachen sogar von »einer Art Zweitjob« und das Wort »anstrengend« hörten Ansari und Klinenberg ständig. So interessant manche dieser Aussagen auch sind, Ansari versäumt es, sie zu analysieren und in einen gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang zu stellen. Lieber unternimmt er mit »Modern Romance« den krampfhaften Versuch, irgendwie mit dem Internet Schritt zu halten, sodass man dieses Buch weniger liest als darin zu surfen - von unnützen zu kuriosen Informationen, die oft »lesefreundlich« fett gedruckt in winzigen Unterkapiteln präsentiert werden. Damit dabei die Aufmerksamkeit des Lesers nicht zu sehr in Anspruch genommen wird, lockern bunte Schaubilder, WhatsApp-Nachrichten und lustige Fotos den Text auf. Dass das Buch ein Medium der Vertiefung sein kann, ignoriert Ansari völlig. Zudem hat der schreibende Komiker weder zur Digitalisierung, zum Dating oder zur Romantik eine Haltung. Alles ist irgendwie okay und ganz witzig. Zu dem Paradoxon, dass die Sehnsucht nach romantischer Liebe heute größer denn je zu sein scheint, man aber zugleich berechnend versucht, sie durch intelligente Algorithmen und effiziente Datingstrategien zu erleben, fällt dem Autor nichts ein. Was, fragt man sich beim Lesen, wenn die Romantik nur ein Deckdiskurs ist, um die eigentliche Ökonomisierung zu verschleiern?

Das permanente Schwärmen könnte darüber hinwegtäuschen, dass ganz andere, unromantische Faktoren die Partnersuche dominieren. Das Sein bestimmt das Verliebtsein. Die Soziologin Eva Illouz hat in ihren Büchern darauf immer wieder verwiesen. Auch Alain Badiou in »Lob der Liebe« und Srećko Horvat in »Die Radikalität der Liebe« gehen kritisch mit den Partneragenturen ins Gericht, da sie letztlich eine Liebe ohne Risiko versprechen würden. Für beide Philosophen ist der Slogan der Werbeagentur »Meetic« paradigmatisch. Er verspricht »One can be in love without falling in love«. Man hätte gerne erfahren, wie sehr das ökonomische, soziale und ästhetische Kapital der User auf Online-Portalen die Erfolgsaussichten bedingen. Denn neben den Angaben zu Beruf und Freizeit werden die Profile oft von den harten Zahlen bestimmt - das fängt bei der Körpergröße an und hört unter der Gürtellinie auf. Häufig abgewiesen zu werden und die allgegenwärtige Unverbindlichkeit bei Verabredungen macht aus dem System der Glücksversprechungen eines der Enttäuschungen. Froh wirken jene Dauerdater, die Ansari beschreibt, jedenfalls nicht. In der Komödie »E-Mail für Dich« aus dem Jahr 1998 fällt ein fatalistischer Satz, in dem viel Wahrheit steckt: »Das Internet ist nur eine weitere Möglichkeit, von einer Frau abgewiesen zu werden.«

So schön es ist, viele Möglichkeiten zu haben, so belastend ist es auch. Man kann nach der Lektüre von »Modern Romance« nostalgisch werden und sich in eine Zeit zurücksehnen, als noch alles nicht so kompliziert war. Vielleicht hätte Cher ein anderes ihrer Lieder überarbeiten sollen: »If I Could Turn Back Time«.

Aziz Ansari: Modern Romance. Auf der Suche nach Liebe im 21. Jahrhundert. Goldmann, geb., 352 S., 12,99€.

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