Pressefreiheit durch Selbstkontrolle

Vor 60 Jahren wurde der Deutsche Presserat gegründet

  • Nora Frerichmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Nach dem Absturz des Germanwings-Airbus im März 2015 kommt ein Foto in Umlauf. Es zeigt angeblich den verantwortlichen Co-Piloten, der den Sinkflug der A320 einleitete und das Flugzeug an einer Bergwand zerschellen ließ. Zeitungen in Österreich drucken das Bild. Später kommt heraus: Der Mann auf dem Foto ist jemand anderes. Aber da belagern Journalisten schon die ahnungslose Freundin des verwechselten Mannes.

Die Katastrophenberichterstattung enthält oft Spekulationen und Mutmaßungen. Immer wieder werden sie in Extremsituationen ohne endgültige Absicherung veröffentlicht. Danach hagelt es meist Kritik - und Eingaben beim Deutschen Presserat. Nach dem Germanwings-Absturz gingen 430 Beschwerden ein, mehrfach rügte der Rat Verstöße gegen den Opferschutz.

Deutscher Presserat

Der Deutsche Presserat ist das einzige Gremium zur freiwilligen Selbstkontrolle von Online- und Printmedien. Mit den 16 Ziffern seines Pressekodexes gibt der Rat den Verlagen und Journalisten ethische Richtlinien an die Hand. Es geht um Orientierung bei kritischen Fragen der Recherche, beim Schutz von Persönlichkeit und Ehre, bei der Berücksichtigung von religiöser Zugehörigkeit und ethnischer Herkunft, aber auch beim Umgang mit Geschenken, die Medienmachern überreicht werden.

Jeder Mediennutzer kann sich beim Presserat über die aktuelle Berichterstattung beschweren. Das tun immer mehr Menschen: Im vergangenen Jahr lag die Zahl bei 2.358 Beschwerden - der höchste Wert in der Geschichte des Presserats. Rund 60 Prozent davon richteten sich gegen Online-Medien.

Der Presserat griff im vergangenen Jahr 35 Mal zur härtesten Strafe, der öffentlichen Rüge. Dazu sprach er 82 Missbilligungen und 147 Hinweise aus.

Der Rat wird heute von zwei Verleger- und zwei Journalistenorganisationen getragen: dem Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), dem Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ), dem Deutschen Journalistenverband (DJV) und der Deutschen Journalisten-Union (dju). Das Gremium wird vom Bund bezuschusst. epd/nd

Mit der journalistischen Berufsethik beschäftigt sich der Presserat nun seit 60 Jahren. Ursprünglich entstand das Gremium, um eine staatliche Medienaufsicht zu verhindern. Als Kanzler Konrad Adenauer (CDU) ein Bundespressegesetz plante, gab es schnell Assoziationen zur Presselenkung der NS-Zeit. Fünf Zeitungsverleger und fünf Journalisten ergriffen daraufhin selbst die Initiative: Zur freiwilligen Selbstkontrolle gründeten sie am 20. November 1956 den Presserat.

Der Rat wird von den Verlegerverbänden BDZV und VDZ sowie den Journalistengewerkschaften DJV und dju getragen. An den Presserat kann sich jeder wenden. Viermal im Jahr beraten Beschwerdeausschüsse über Verstöße gegen den Pressekodex, der Regeln für die tägliche Arbeit von Journalisten enthält. Dabei geht es etwa um Persönlichkeitsschutz, Trennung von Werbung und Redaktion oder den Schutz vor Diskriminierung.

Das Gremium kann Hinweise, Missbilligungen oder Rügen aussprechen. Die härteste Sanktion ist die öffentliche Rüge, die das betroffene Medium in der eigenen Ausgabe drucken soll. Allerdings kann keine Zeitung oder News-Website zur Veröffentlichung gezwungen werden. Kritiker bemängeln daher, dem Selbstkontrollorgan fehle der Biss.

Der Sozialwissenschaftler Horst Pöttker urteilt, die Selbstkontrolle sei schwerfällig. Das vielzitierte Bild des »zahnlosen Tigers« teilt der Hamburger Seniorprofessor für Journalistik jedoch nicht. »Es suggeriert, dass es stärkere Instrumente geben müsste, um Medien zu regulieren«, sagte Pöttker dem Evangelischen Pressedienst (epd). »Zwangssanktionen sind hier aber nicht angebracht, dafür haben wir Gerichte.« Die Öffentlichkeit sei zudem frei, eine Zeitung nicht mehr zu kaufen.

Seit der Gründung des Presserats hat sich die Medienwelt grundlegend verändert. Der Aktualitätsdruck ist hoch. Und durch die sozialen Medien kann jeder seine Meinung öffentlich machen. Auf den Plattformen Twitter und Facebook diskutieren nicht nur Leser, Hörer und Zuschauer, sondern auch Journalisten selbst über medienethische Fragen.

»Die Diskussion und damit auch die Medienkritik im Internet ist spontan und tagesformabhängig. Der Presserat setzt hingegen auf feste Strukturen der Streitkultur mit der Möglichkeit zu Rede und Gegenrede«, sagt Lutz Tillmanns, Geschäftsführer des Presserats. »Wir prüfen und entscheiden über Beschwerden in einem rechtsstaatlichen Verfahren. Bei uns gibt es keine Hate-Speech.«

Zwar dauere es länger, bis der Presserat zu einem Ergebnis über eine Beschwerde komme, doch würden dabei verschiedene Standpunkte diskutiert und gewichtet. Dem Gremium geht es nicht nur um die Bewertung bereits erschienener Beiträge. »Ein wichtiger Teil unserer Arbeit ist proaktiv«, erklärt Tillmanns. Der Presserat wolle Journalisten Hilfestellung liefern, formuliert Leitfäden und Empfehlungen.

Einer dieser Leitfäden lässt bisher auf sich warten. Streitpunkt ist - nicht erst seit der Silvesternacht in Köln - die Nennung der Nationalität von Straftätern. Nach Richtlinie 12.1 des Pressekodex soll sie nur dann erwähnt werden, »wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht«. Mehrere Tageszeitungen dringen auf eine Lockerung, weil ihre Leser diese Informationen inzwischen auch über andere Quellen erfahren können. Die »Sächsische Zeitung« in Dresden geht noch weiter: Sie nennt inzwischen bei allen Tätern die Herkunft - bei Ausländern ebenso wie bei Deutschen. Die Branchendebatte über die Nennung reicht bis in die Trägerverbände des Presserats.

Zwar kann Tillmanns noch keinen Termin für eine Klärung der Frage nennen. Die Pressefreiheit engagierter zu verteidigen, sieht der Presserats-Geschäftsführer allerdings für die Zukunft als besonders wichtig an: »Gerade im Hinblick auf die Verfolgung von Journalisten in der Türkei oder in Ungarn müssen wir uns auch über Ländergrenzen hinweg für eine freie Berichterstattung einsetzen.« Trotz aller Kritik: Der Presserat ist in der Branche ebenso wie in der Gesellschaft anerkannt. Zur Feier des 60. Jubiläums wird am 1. Dezember Bundespräsident Joachim Gauck in Berlin die Festrede halten. epd/nd

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